Südosteuropa

Völkermord und Traumstrände

Roma-Familie im mazedonischen Skopje.
Auf dem Westbalkan sind Roma immer noch Verfolgungen und Diskriminierungen ausgesetzt. © dpa / Georgi Licovski
Alexander Korb im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 28.08.2014
Kriege, Gewalt, Armutszuwanderung: Unser Bild vom Balkan ist von negativen Klischees geprägt. Der Historiker Alexander Korb über den Einfluss von Populärkultur und Kriegen auf unsere Vorstellungen.
Liane von Billerbeck: Welches Bild wir eigentlich vom Balkan haben und von den dort lebenden Menschen, darüber will ich jetzt mit dem Historiker Alexander Korb sprechen von der Universität of Leicester, er ist dort Direktor des Stanley-Burton-Zentrums für Holocaust- und Genozid-Studien. Herr Korb, ich grüße Sie!
Alexander Korb: Guten Morgen, hallo!
von Billerbeck: Wir assoziieren mit dem Begriff Balkan häufig das Wilde, das Unzivilisierte und Gewalttätige. Woher kommt das?
Korb: Ja, vermutlich seit dem 18. Jahrhundert, allerspätestens mit der osmanischen Expansion in Richtung Mitteleuropa und eben einem starken hierzulande gepflegten Feindbild, die Türken würden sozusagen die barbarische Kultur nach Europa tragen. Und das wurde untermalt mit Bildern von sogenannten Türkengräueln, also einer stark behaupteten Gewalttätigkeit vonseiten der Türken, die damals eigentlich für Südosteuropa standen.
von Billerbeck: Nun ist ja das 18. Jahrhundert schon eine Weile her. Wieso haben sich diese Klischees so hartnäckig gehalten?
Fantasierte Gewalt wird Realität
Korb: Nun, zum einen, weil das Ganze Einzug in die Populärkultur gehalten hat, Stichwort wäre zum Beispiel Karl May, der in den 1870ern begonnen hat zu schreiben, als wieder Kriege auf dem Balkan tobten. Und ich erinnere mich selber: Als Kind gab es in meinem Elternhaus eine österreichische Zeitschrift aus dem Jahr 1876, in der Türkengräuel eben immer wieder auch bildlich abgebildet wurden, Enthauptungen et cetera, und das vermischte sich auf eine komische Art mit den Indianerkriegen, die zur selben Zeit in den USA geführt wurden, und Karl May ist auch hierfür wieder ein Beispiel. Also es hielt Einzug in die Populärkultur. Und mit jedem neuen Konflikt auf dem Balkan – und hier wären die Balkankriege von 1912 und 13 ein wichtiges Stichwort – verfestigt sich eigentlich dieser Mythos in Mitteleuropa, aber rückt auch auf eine Art näher heran. Und das Attentat von Sarajevo 1914 sozusagen verbindet dann schließlich Europa und die fantasierte Gewalt auf dem Balkan, die dann schließlich aber natürlich auch europäische Realität wird oder sich mit dem Rest von Europa zusammenfügt.
von Billerbeck: Nun hören wir ja in diesem Jahr, da der Beginn des Ersten Weltkrieges sich zum 100. Mal jährt, sehr viel davon. Trotzdem sind ja diese Ereignisse gefühlt relativ weit weg. Wieso tragen sie noch heute zu unseren Balkanklischees bei?
Korb: Nun, zum einen war ja sozusagen der Erste Weltkrieg nicht das Ende der Gewalt in Südosteuropa, sondern gerade der Zweite Weltkrieg und die 1950er-Jahre und schließlich die jugoslawischen Auflösungskriege in den 1990er-Jahren verfestigten das Bild und den Mythos. Und weniger kriegerische Ereignisse scheinen ins Bild zu passen, die sich in den letzten Jahren erst ereignet haben, beispielsweise die sogenannte Griechenlandkrise oder die eben genannte Armutsmigration. Und das sozusagen fließt ins Bild mit ein und verfestigt es – wobei ich auch sagen möchte, dass es da durchaus andere Phasen gab und unser Bild vom gewalttätigen und blutrünstigen Balkan nicht so eindeutig ist.
von Billerbeck: Wieso kam es zu diesen Veränderungen, diesen anderen Phasen, wieso hat sich das Bild da plötzlich pulverisiert?
Vom Schreckensort zum Sehnsuchtsort – und zurück
Korb: Ich würde sagen, dass es sozusagen keine statische Entwicklung ist, sondern immer unterschiedliche Wellen. Beispielsweise ist der österreichisch-ungarische Zugriff auf Südosteuropa, also seit dem späten 19. Jahrhundert, eben von ganz anderen Bildern zunächst einmal geprägt. Es wird die österreichische Riviera erfunden, sozusagen das mondäne Badeleben in Dalmatien, das ja dann bis in die 1970er auf eine Art seine Fortsetzung findet. Und gerade die 70er-Jahre sind ja eine Phase, wo Südosteuropa eben für schöne Urlaube steht und als Sehnsuchtsort gilt wegen seines libertären Kommunismus. Also es gibt dort keine Gesetzmäßigkeit, sondern nach Kriegen und nach Konflikten, würde ich sagen, gibt es Bilder, wo sozusagen schnell die Strände und das Leben der Menschen wieder in unsere Erinnerung rücken.
von Billerbeck: Österreich hat also den Balkan zum Teil entbalkanisiert, wenn man die Klischees betrachtet.
Korb: Es war ein Versuch, der allerdings wahrscheinlich als gescheitert gelten dürfte, ja.
von Billerbeck: Ja. Nun lehren Sie in Großbritannien. Wie sieht man denn den Balkan dort?
Korb: Er ist weit weg.
von Billerbeck: Ist ja auch eine Insel.
Korb: Ja. Und allerdings sieht man ihn auch durch die Brille der Armutszuwanderung, wobei wenig differenziert wird zwischen Osteuropa und Südosteuropa. Aber die Diskussion, wie Armutszuwanderung begrenzt werden könnte, ist im Moment in Großbritannien genauso krass wie in Deutschland.
Normalisierung zeichnet sich ab
von Billerbeck: Heute gibt es ja in Berlin die Westbalkankonferenz. Da werden die Stichworte ja auch wieder Armutszuwanderung, Flüchtlingsproblematik heißen, neben den wirtschaftlichen Themen, die diskutiert werden. Aber irgendwie, wenn ich unser Gespräch jetzt so rekapituliere, dann haben wir die ganze Zeit nur negativ vom Balkan geredet, außer dass es ein schöner Urlaubsort auch war und ist. Aber es gibt ja zum Beispiel auch diesen wunderbaren Balkan-Pop, also Musik, die einen eigentlich nicht ruhig auf dem Stuhl sitzen lässt. Ist das auch wieder quasi die Kehrseite unseres Klischees?
Korb: Nein, das würde ich nicht sagen, dass sozusagen alles, was Positives oder Interessantes zu uns kommt, seien es Filme oder seien es Bekanntschaften oder sei es Musik, dass sie wieder sozusagen auf eine Art mit unseren Stereotypen behaftet seien. Das sozusagen muss jeder für sich hinbekommen, sein Interesse für Südosteuropa sozusagen vorurteilsfrei zu halten und seine Kenntnisse zu vertiefen.
von Billerbeck: Und wenn die Balkanstaaten näher an die EU heranrücken – das ist ja auch das Interesse vieler, gerade der Nachfolgestaaten von Jugoslawien –, wird sich dann auch unser Balkan-Bild, unser klischeebehaftetes Bild ändern?
Korb: Ja und nein. Zum einen ist ja sozusagen der Großteil des Balkans bereits Mitglied der EU, Kroatien, Rumänien, Bulgarien und andere Staaten, und Griechenland selbstverständlich, und eigentlich haben wir einen Backlash zu beobachten in den letzten Jahren, der eben mit auch an der Finanzkrise lag. Auf der anderen Seite ist es, glaube ich, eine Entwicklung, die, ja, selbstverständlich zu einer Vertiefung der Beziehung führen wird und zu einer Normalisierung. Insofern glaube ich in der Tat, wenn die Balkanstaaten erst alle Mitglied der Europäischen Union sind und dann ihre verbrieften Rechte auch haben werden, dass sich auf lange Sicht unser Bild entbalkanisieren wird.
von Billerbeck: Der Historiker Alexander Korb von der Universität Leicester über unser Bild vom Balkan. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Korb: Gerne, auf Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.