Südostasiens Revolution und ihre Folgen

Rezensiert von Ralph Gerstenberg · 07.07.2013
Peter Fröberg Idling zeichnet in seinem Buch spannend die Geschichte Kambodschas zur Zeit der Terrorherrschaft der Roten Khmer nach. Der österreichische Kommunist Ernst Frey schildert, wie er in Vietnam gegen Frankreich kämpfte - und an den Praktiken der Revolutionäre zerbrach.
Als im August 1978 eine Delegation der Freundschaftsgesellschaft Schweden-Kampuchea in Kambodscha eintraf, starben dort mehr Menschen als in den vorangegangen Jahren. Die vier schwedischen Linksintellektuellen, unter ihnen der hoch angesehene Autor Jan Myrdal, Sohn des Wirtschaftsnobelpreisträgers, berichteten geradezu euphorisch von dem kleinen Land in Südostasien, das auf dem besten Wege sei, aus eigenen Kräften eine sozialistische Demokratie zu errichten. Ein Staudammbau, an dem 4000 Jugendliche aus allen Landesteilen beteiligt waren, wurde zum Sinnbild des kollektiven Aufbaus.

Ich frage mich, wie es ist, so zu wohnen und zu arbeiten. (…) Sehnt man sich in sein Dorf zurück, hat man politischen Streit und hält in Cliquen zusammen, tanzt man abends zu Volksmusik aus dem Radio? Wie viele treffen einander, um später zu heiraten? Ich habe große Lust hierzubleiben und mit ihnen gemeinsam zu arbeiten.
Den Widerspruch zwischen der Realität und dem, was die Reisegruppe zu berichten hatte, nahm Peter Fröberg Idling zum Ausgangspunkt für sein Buch "Pol Pots Lächeln", in dem der 1972 in Schweden geborene Autor und Literaturkritiker sich auf die Spurensuche begibt. Fröberg hat selbst jahrelang in Kambodscha gelebt. Er weiß, wie chaotisch es dort oft auch heute noch zugeht. Wie mag es damals gewesen sein, als die Infrastruktur größtenteils zerstört war und das Volk unter dem Joch der Roten Khmer stand? Wie konnte man unter diesen Bedingungen auf einer Strecke von über hundert Kilometern ein Potemkinsches Dorf errichten?

Um das herauszufinden, verfolgte Peter Fröberg Idling die Reiseroute der Delegation, spürte hochrangige Funktionäre der Roten Khmer im Dschungel auf und kontaktierte die ehemaligen Kambodschareisenden der schwedischen Delegation – zwei der vier waren bereit, sich mit ihm zu unterhalten. Ein Film mit Aufnahmen der damaligen Reise bestätigte deren Berichte.

Das traditionelle Bild des demokratischen Kampuchea ist das eines Konzentrationslagers. (…) Natürlich erwarte ich nicht exakt das, als ich den Videorekorder im kleinen Raum des Schwedischen Fernsehens anstelle (…) Aber ich erwarte vielleicht, etwas davon flüchtig im Hintergrund zu sehen. Einen Schimmer in den Augen jener, die glauben, dass die Kamera anderswohin gerichtet ist. Dass ich mit meinen Erfahrungen aus dem heutigen Kambodscha etwas sehen würde, das die Schweden nicht zu deuten wussten. (…) Irgendwo musste der Terror doch zu ahnen gewesen sein. Aber ich sehe ihn nicht. Ich sehe glückliche und gesunde Menschen.

Doch Peter Fröberg Idling sichtete nicht nur historische Aufnahmen und führte Interviews mit den Beteiligten, er rekonstruiert zugleich die Historie Kambodschas. Mit großem Sinn für Dramaturgie montiert er persönliche Beobachtungen und Reflexionen mit den Parolen der Roten Khmer, internationalen Pressemeldungen, den Reiseberichten der Schweden, atmosphärischen Porträts und historischen Szenen. So entsteht ein sehr komplexes Bild der damaligen Vorgänge in Kambodscha und der Illusionen der Linken im Westen, die ihre Hoffnungen auf das kleine Land in der Ferne projizierten, in dem längst der Terror tobte. "Pol Pots Lächeln" ist ein Buch mit der Sogwirkung eines Spannungsromans, geschrieben von einem Autor, der die selbstgerechte Besserwisserei des Nachgeborenen mit jeder Zeile zu vermeiden sucht.

In mein Notizbuch schreibe ich: "Kann man von Gunnar und Marita und Jan und Hedda verlangen, dass sie die Fassade durchschauten? Hätten sie wissen müssen, wie die Zeichen zu deuten sind? Ich neige dazu, mit Ja zu antworten. Aber: Hätte ich selbst sie erkannt, falls ich 1978 dort gewesen wäre? Auserwählt in ein Land zu reisen, das ich so gut zu kennen glaubte? Ich muss sagen, ich weiß es nicht.

Buchcover: "Pol Pots Lächeln" von Peter Froberg Idling
Buchcover: "Pol Pots Lächeln" von Peter Froberg Idling© Edition Büchergilde
Peter Fröberg Idling: Pol Pots Lächeln – Eine schwedische Reise durch das Kambodscha der Roten Khmer
Aus dem Schwedischen von Andrea Fredriksson-Zederbauer
Edition Büchergilde, Frankfurt am Main 2013
252 Seiten, 22,95 Euro


Dass nicht nur schwedische Linke in Südostasien ihre Ideale Wirklichkeit werden sahen, zeigt das Buch von Ernst Frey "Vietnam, mon amour – ein Wiener Jude im Dienst von Hô Chi Minh". Frey wurde 1915 in gutbürgerlichen Verhältnissen in Wien geboren. Während seine Eltern eine Parfümerie betrieben, las der Sohn Marx und Engels. Im Gymnasialalter trat er dem kommunistischen Jugendverband bei und kämpfte im austrofaschistischen Staat für eine Räterepublik. Er wurde mehrfach verhaftet und floh, als Kommunist und Jude doppelt gefährdet, nach dem Einmarsch der Nationalsozialisten über die Schweiz nach Frankreich.

Von dort aus wollte er nach Spanien vordringen, um gegen das Franco-Regime zu kämpfen. Sein Gesuch wurde von der KP jedoch abgelehnt. Ratlos heuerte Frey bei der Fremdenlegion an und gelangte nach Indochina. Dort gründete er in der Legion eine kommunistische Zelle, nahm Kontakt mit vietnamesischen Kommunisten auf und schloss sich den Viet Minh an. Nach der Augustrevolution von 1945 verkündete Präsident Hô Chi Minh die Unabhängigkeitserklärung seines Landes.
Da die Franzosen ihre Kolonie jedoch nicht so einfach aufgeben wollten, entbrannte 1946 der Indochinakrieg, in dem schlecht ausgerüstete Viet Minh gegen eine französische Übermacht vorwiegend vom Dschungel aus agierten. Ernst Frey wurde militärischer Ausbilder und Stratege der vietnamesischen Guerillaarmee. Als es ihm gelang, den Vormarsch der Franzosen am Pass von An Khe zu stoppen, wurde er zum Oberst der vietnamesischen Armee ernannt, der noch in vielen Gefechten sein Leben riskieren sollte. 1948, nach einer überraschenden Niederlage der Vietnamesen, begannen erste Säuberungsaktionen in den eigenen Reihen. Ernst Frey wandte sich an den Generalsekretär der vietnamesischen KP, der ihm einst erklärt hatte, dass die vietnamesische Revolution niemals ihre Kinder fressen würde. Der antwortete:

Damals in der ersten Begeisterung glaubten wir, dass jeder Vietnamese automatisch auf unserer Seite, der Seite der Freiheit, stehen müsste. Heute ist das anders, und wir haben die Pflicht, die Partei rein zu halten, selbst wenn alte und schwache Genossen die Opfer sind.

Für Ernst Frey war das Verrat an seinen Idealen. Er verfiel zunehmend in Depressionen, machte einen Selbstmordversuch und kehrte 1951 in seine österreichische Heimat zurück, wo er 1994 starb. Sein Buch "Vietnam, mon amour" ist ein Erlebnisbericht, der Einblicke in einen historischen Abschnitt Vietnams gewährt, der das Land in der Folge spalten und in einen Krieg mit den USA verwickeln sollte – einen Krieg, von dem die gesamte Region, vor allem auch das benachbarte Kambodscha, betroffen war. Auch die Paranoia, das irrationale Wittern des Verrats, sowie den schleichenden Wandel von einer Idee zur Ideologie werden hier in ihren Anfängen beschrieben. So kann man Ernst Freys Buch auch als eine Art Vorgeschichte zu "Pol Pots Lächeln" lesen.

Buchcover: "Vietnam, mon amour" von Ernst Frey und Doris Sottopietra
Buchcover: "Vietnam, mon amour" von Ernst Frey und Doris Sottopietra© Czernin Verlag
Ernst Frey: Vietnam, mon amour – ein Wiener Jude im Dienst von Hô Chi Minh
Herausgegeben von Doris Sottopietra
Czernin Verlag, Wien 2013
256 Seiten, 24,90 Euro
Mehr zum Thema