Südafrikas Pulverfass Platinbergbau

Streik, Gewalt und Trauer

Platinmine in Rustenburg, Südafrika
Im Hintergrund: Platinmine in Rustenburg, Südafrika © imago
Von Leonie March · 23.02.2015
Es war der längste Streik in der Geschichte Südafrikas: Fünf Monate lang dauerte der Arbeitskampf der Bergarbeiter im Platingürtel des Landes. Bis heute ist dort die Stimmung angespannt.
"T-Shirts für nur zehn Rand!" preist ein Straßenhändler seine Ware an. Doch die meisten Passanten würdigen ihn keines Blickes. Tony Ndou zuckt mit den Schultern - enttäuscht und verständnisvoll zugleich. Die Leute hier, im Bergbaustädtchen Marikana, haben einfach kein Geld.
"Die Geschäfte laufen nur zwischen dem 25. und dem 7. eines Monats gut. In dieser Zeit erhalten die Arbeiter ihren Lohn. Den Rest des Monats müssen sie, wie auch wir Händler, irgendwie mit Kleingeld über die Runden kommen."
Tony Ndou hat seinen Klapptisch auf dem Parkplatz vor dem Einkaufszentrum aufgebaut, so wie andere Händler auch. Die meisten warten vergeblich auf Kundschaft. Einige Ladenlokale stehen leer. Nur am Grillstand gegenüber herrscht jetzt zur Mittagszeit reger Betrieb. Es riecht nach Holzkohle und Fleisch, das mit einem großen Schlag Maisbrei serviert wird. Eine Standardmahlzeit in Südafrika - sie ist billig und macht lange satt.
Ein Kampf ums Überleben
Doch selbst dieses bescheidene Mahl konnten sich die Bergleute der umliegenden Platinminen vor einem Jahr nicht mehr leisten. Damals standen sie mitten in einem historischen Arbeitskampf. Der Streik dauerte fünf Monate lang - von Januar bis Juni - eine Zeit, in der die Kumpel keinen Cent verdienten. Großfamilien mussten hungern, denn das Gehalt eines südafrikanischen Bergmanns ernährt im Durchschnitt zehn Verwandte. Es sei ein Kampf ums Überleben gewesen, erinnert sich Makhanya Siphamandla - Bergmann und engagierter Gewerkschafter. Auch ein Dreivierteljahr nach Streikende muss seine Familie den Gürtel noch enger schnallen.
"Bis unser Leben wieder in normalen Bahnen verläuft, wird es wohl noch mehrere Monate dauern. Erst dann werden wir die Schulden abbezahlt haben, die sich durch unbezahlte Rechnungen, nicht bediente Kredite und ausstehende Mieten angehäuft haben. Erst dann werden wir die erkämpfte Lohnerhöhung auch spüren. Aber wir bereuen nichts. Selbst wenn wir noch nicht alles erreicht haben, was wir wollten, wissen wir doch, warum wir gestreikt haben."
Gemeinsam mit zehntausenden Kollegen hatte der 30-Jährige damals bei unzähligen Protestmärschen eine sogenannte "living wage" gefordert - einen Mindestlohn, der zum Leben reicht. Die Gewerkschaft AMCU bezifferte ihn auf 12.500 Rand - umgerechnet etwa 950 Euro - mehr als das Doppelte des bisherigen Lohnniveaus. Am Ende der kraftzehrenden Verhandlungen gab sich AMCU mit einer Steigerung von durchschnittlich 20 Prozent zufrieden, gestaffelt über drei Jahre. Einen längeren Arbeitskampf hätten die Bergleute wohl kaum durchgehalten. Aber auch die Konzerne waren am Limit - der monatelange Produktionsstopp kostete sie über 1,8 Milliarden Euro.
Fördertürme bestimmen die Landschaft
Nur ein paar Straßen vom Einkaufszentrum in Marikana entfernt beginnt das Werksgelände des Lonmin-Konzerns - einem der drei größten Platinproduzenten in Südafrika. Arbeiter in Overalls überqueren ein karges Feld, auf dem Ziegen im Müll nach Essbarem suchen. Hinter einem mit Stacheldraht gesicherten Zaun ragen riesige Halden wie künstliche Berge in den blauen Himmel, Fördertürme bestimmen die Landschaft, auf den Straßen sind schwere Minenfahrzeuge unterwegs. Journalisten sind hier unerwünscht. Ein Interview ist nur in der Zentrale im etwa anderthalb Fahrstunden entfernten Johannesburg möglich. Dort bemüht sich Konzernsprecherin Lerato Molebatsi darum, Optimismus zu verbreiten.
"Ich würde sagen, dass sich die Lage mittlerweile wieder normalisiert hat. Natürlich war das ein beispielloser Streik, durch den wir enorme Verluste hinnehmen mussten. Aber wir wussten, wie wir den Betrieb nach der langen Pause wieder ans Laufen bringen. Im Vergleich zu unseren Konkurrenten haben wir uns also wirklich gut geschlagen. Wir sind wieder auf Kurs."
Doch auch wenn die Produktion wieder das ursprüngliche Niveau erreicht hat, lässt sich die Krise der südafrikanischen Bergbauindustrie nicht schönreden. Der Platinpreis sinkt seit Jahren, die südafrikanische Währung schwächelt, Strom- und Lohnkosten sind dagegen spürbar gestiegen. Investoren sind vom monatelangen Streik abgeschreckt worden - das zeigt sich auch in den bislang erfolglosen Versuchen von Marktführer Anglo Platinum, einige seiner Werke in Südafrikas Platingürtel abzustoßen. Schon kurz nach dem Streik kündigte das Unternehmen eine stärkere Automatisierung und Arbeitsplatzabbau an. Für den Rohstoffinvestor Peter Major sind solche Restrukturierungsmaßnahmen nicht viel mehr als Augenwischerei.
"Das ist so, als würde man versuchen, die Liegestühle auf der Titanic neu zu ordnen.
Zwischen den Arbeitnehmervertretern und den Unternehmen herrscht praktisch Krieg. Seit 20 Jahren dämonisiert der ANC die Bergbaukonzerne. Arbeitern wird gesagt, Unternehmen und Investoren seien Teufel, die ihnen etwas schulden, weil sie ihre Väter und Großväter versklavt haben. Es ist leicht, mit dieser Propaganda Wähler zu gewinnen. Der einzige Ausweg aus der Krise ist es also, die Gewerkschaften zu entpolitisieren und die Arbeiterschaft von dieser ansteckenden Krankheit zu heilen."
In der Bergarbeitersiedlung in Marikana sind die Spannungen deutlich zu spüren, die Stimmung ist aufgeheizt - doch die Wut richtet sich längst nicht nur gegen die Konzerne und das Kapital, sondern ebenso gegen die Regierungspartei ANC und die früher tonangebende Bergarbeiter-Gewerkschaft NUM. Wie die meisten seiner Kollegen hat sich Makhanya Siphamandla der neuen, radikaleren AMCU angeschlossen, die mittlerweile die Mehrheit der Platinkumpel vertritt.
"Unsere Väter, die Generation 55 plus, haben noch eine historische Verbindung zur NUM, an deren Seite sie früher gekämpft haben. Sie wollen nicht wahrhaben, dass die Gewerkschaft sie längst im Stich gelassen hat. Die jüngere Generation sieht klarer und kämpft heute für AMCU. Vielen steigt die Wut hoch, wenn sie jemanden in einem NUM-T-Shirt sehen."
Der Gewerkschafter selbst trägt ein T-Shirt mit dem Aufdruck "Gedenkt der Toten von Marikana". Eine Erinnerung an die verheerende Eskalation eines Platinstreiks im Jahr 2012. Die Bergleute fühlten sich damals von der NUM nicht mehr vertreten, stattdessen führte sie AMCU in einen Arbeitskampf, forderte zum ersten Mal den Mindestlohn von 12.500 Rand.
Die Situation eskalierte
Doch Arbeitgeber Lonmin erkannte die junge Gewerkschaft nicht als Tarifpartner an und verweigerte jedes Gespräch. Nach Tagen teils gewaltsamer Ausschreitungen zog der Konzern die Polizei hinzu, um die wütende Menge unter Kontrolle zu bringen. Die Situation eskalierte am 16. August 2012 beim sogenannten "Massaker von Marikana". 34 Bergleute starben im Kugelhagel der Polizei. Ein nationales Trauma, das zu einer weiteren Radikalisierung führte und das Klima zwischen den Gewerkschaften, Konzernen und der Regierung nachhaltig vergiftet hat.
Nur ein paar hundert Meter vom Ort des Massakers entfernt geht Mzoxolo Magidiwana den staubigen Weg durch dutzende kleine Blechhäuser entlang, in dem er und viele andere Bergleute leben. Der 26-Jährige humpelt leicht.
Toter Mann, nennen sie ihn hier. Denn es ist ein Wunder, dass Mzoxolo Magidiwana überhaupt noch lebt. Acht Kugeln trafen ihn damals bei dem Polizeieinsatz. Sie machten ihn zeugungs- und bis heute arbeitsunfähig. Lonmin zahlt sein Gehalt weiter, bis der Bericht der Untersuchungskommission vorliegt, der die Verantwortlichkeit für das Massaker klären soll. Spätestens Ende März soll er vorliegen, doch der Bergmann hat keine großen Erwartungen.
"Ich wünsche mir, der Bericht beweist, dass nicht nur wir Arbeiter an der Eskalation schuld waren, so wie es zu Beginn immer dargestellt wurde, sondern dass auch die Regierung Verantwortung trägt. Sie hat damals nicht uns, sondern die Interessen des Konzerns geschützt. Erst wenn das klargestellt wird, kann es wieder Frieden geben. Aber ich bin skeptisch, dass es dazu kommt. Diejenigen, die die Einsatzbefehle gegeben haben, sitzen noch heute am Kabinettstisch."
Der 26-Jährige setzt sich schwerfällig auf einen Stuhl vor sein kleines Häuschen -einen selbstgebauten Raum aus Wellblech, den er sich mit seinen beiden Brüdern teilt. Von außen hat er das Blech grün angemalt, kleine Fenster eingepasst und es sich drinnen so wohnlich wie möglich eingerichtet. Doch die Armut bleibt unübersehbar.
"Die meisten hier sind müde und frustriert, so wie ich auch. Wir sind es leid, immer die Dummen zu sein, immer wieder Versprechen zu hören, die dann nicht gehalten werden. Alle warten darauf, dass sich hier endlich etwas grundlegend ändert. Das würde schon damit beginnen, dass wir das Fenster öffnen können, um frische Luft zu atmen. Momentan riecht es hier durch herumliegenden Müll und mangelnde Abwasserversorgung wie in einem Schweinestall. Aber wohin sollten wir sonst ziehen? Das macht die Leute wütend."
Ein Symbol für das rassistische Regime
Die verheerenden Lebensverhältnisse sind ein Dauerkonfliktthema in der südafrikanischen Bergbauindustrie, das auch während des Streiks wieder hochkochte. Während der Apartheid mussten dunkelhäutige Arbeiter in Wohnheimen leben - diese berüchtigten Hostels waren ein Symbol für das rassistische Regime.
Chronisch überfüllte Mehrbettzimmer und fatale hygienische Verhältnisse führten zu Gewalt und Krankheit. Kein Wunder also, dass viele Bergleute sich nach der demokratischen Wende ein eigenes Dach über dem Kopf suchten. Bis heute entscheiden sich viele gegen die teils renovierten oder neuen Werkswohnungen und für ein Wohngeld. Bisweilen mit fatalen Konsequenzen.
Überall im Platingürtel wachsen illegale Siedlungen, wie jene in Marikana. Bergleute kassieren das Wohngeld, um es an ihre Familien in die ländliche Heimat zu schicken oder um es anderwärtig auszugeben. Dafür nehmen sie eine ärmliche Bleibe in Kauf.
Momentan herrscht so etwas wie Waffenruhe - die Konzerne seien bemüht, das zerrüttete Verhältnis zu Gewerkschaften und Arbeiterschaft wieder zu kitten, betont Lonmin-Sprecherin Lerato Molebatsi.
"Der Tarifvertrag gilt bis 2016. Bis dahin wir wollen wir sicherstellen, dass das gegenseitige Vertrauen spürbar gewachsen ist. Wir sind zuversichtlich: Schon jetzt ist das Verhältnis zu den Arbeitern wesentlich offener geworden. Mit einer Vielzahl von Maßnahmen unserer Kampagne "We dig to build" - wir graben um aufzubauen - wollen wir beweisen, dass uns das Wohlergehen unserer Arbeiter, die Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse und die Entwicklung des gesamten Landes wirklich am Herzen liegen."
Aus Sicht der Gewerkschaften jedoch sieht die Zukunft nicht ganz so rosig aus. Der Kampf gehe weiter, betont AMCU-Mann Makhanya Siphamandla.
"Für die Arbeitgeber ist es zu schwierig, die Veränderungen zu akzeptieren. Wir machen es ihnen nicht so leicht, wie früher die Gewerkschaft NUM. Wir bleiben bei unserer Forderung nach einem Mindestlohn von 12.500 Rand. Momentan erholen wir uns alle erst mal von den finanziellen Verlusten. Aber nächstes Jahr sind wir bereit für einen neuen Streik."
Kampf um soziale Gerechtigkeit
Der Mindestlohn von 12.500 Rand ist zu einer Art magischen Zahl geworden - ein Symbol für den Kampf um soziale Gerechtigkeit, gegen die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich in Südafrika. Der verletzte Bergmann Mzoxolo Magidiwana zieht das Hosenbein über sein Knie und zeigt auf die Narben seiner Schussverletzungen. Das soll nicht umsonst gewesen sein, sagt er zum Abschied kämpferisch.
"Ich bin beim nächsten Streik wieder mit dabei. Auch wenn er noch länger dauert und wir wieder hungern müssen. Selbst wenn wir dabei unseren Arbeitsplatz oder sogar unser Leben aufs Spiel setzen. Wir wissen ja, dass sie nicht davor zurückschrecken, uns zu töten, wenn wir uns wehren. Aber uns bleibt nichts anderes übrig, als weiter zu kämpfen. Unsere Kinder leben heute in den gleichen armen Verhältnissen, in denen wir aufgewachsen sind. Sie laufen Gefahr ebenso wenig Bildung zu bekommen, sodass auch ihnen nichts anderes übrig bleibt, als in den Bergwerken zu schuften, wie Generationen vor uns. Bei diesem Kampf geht es also um die Würde und die Zukunft unserer Kinder. Wir können nicht zurück."
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