Südafrikanischer Fotograf Pieter Hugo über Ruanda

"Die idyllisch wirkende Landschaft ist auch ein Schlachtfeld"

Pieter Hugo: "1994" in der Stevenson Gallery
Pieter Hugo: "1994" in der Stevenson Gallery © Stevenson Gallery
Von Leonie March · 29.01.2017
Im Jahr 1994 hat sich im ostafrikanischen Ruanda ein grausiger Völkermord ereignet. Der südafrikanische Fotograf Pieter Hugo porträtiert Kinder, die nach dem Schicksalsjahr in Südafrika und Ruanda geboren wurden - in naturalistischen Settings, aber fern jeden Idylls.
Fragend blickt der kleine Junge vom Foto an der Wand auf das künstlerische Chaos. Er steht fast bis zu den Knien nackt in einem Tümpel mitten im Wald. Ausgesetzt? Ausgeliefert? Jedenfalls wirkt sein Portrait ein wenig fremd in diesem Umfeld: Auf dem Tisch liegen Knochen und Schädel neben Kameraobjektiven. Gegenüber hängen die großformatigen Fotografien, die Pieter Hugo berühmt gemacht haben: Ein zerlumpter Gaukler mit einer Hyäne an der Leine. Ein blutüberströmter Darsteller eines nigerianischen Horror-Films.
"Mich interessiert Makabreres einfach. Die Kinder sind dabei keine Ausnahme. Sie sind nicht so unschuldig, wie man immer annimmt. Sie können gemein, sogar böse sein. Ich denke aber auch an Sigmund Freud, den Horror der Kindheit und die tiefen Prägungen während dieser Zeit. Davon kann sich jeder überzeugen, der mit Kindern Zeit verbringt. Ihre Haut ist so viel dünner als unsere."
Es sei nicht leicht gewesen, die Kinder auf eine unsentimentale Weise zu porträtieren, sagt der 40-Jährige, selbst Vater zweier Töchter. Aber es ist ihm gelungen. Fast möchte man die Augen abwenden, so durchdringend sind die Blicke der Kinder. Sie schauen direkt in die Kamera. Anklagend oder nachdenklich, traurig oder trotzig. Manchmal auch träumerisch. Aber nie umspielt auch nur ein kleines Lächeln ihre Mundwinkel. Kindlich – jedenfalls im herkömmlichen Sinne – wirken diese Kinder nicht.
Pieter Hugo: "1994" in der Stevenson Gallery
Pieter Hugo: "1994" in der Stevenson Gallery© Stevenson Gallery
Er habe Kinder ausgewählt, deren Blick eine eigene Persönlichkeit, eine gewisse Klarheit ausdrücke, erzählt der Fotograf. Sie wurden nach dem Ende der Apartheid in Südafrika und nach dem Völkermord in Ruanda im Jahr 1994 geboren. Die Vergangenheit laste nicht so sehr auf ihnen, wie auf seiner Generation. Gleichzeitig aber leben sie natürlich mit den Konsequenzen, dem Echo früherer Ereignisse.

Zwischen Trauma und Neuanfang

Pieter Hugo findet dafür eine ausdrucksstarke, komplexe Bildmetapher. Er hat die Kinder in naturalistischen Settings porträtiert. Sie liegen in malerischen Bachläufen, sitzen auf nackter Erde, stehen auf blühenden Wiesen. Doch nichts daran ist idyllisch oder unschuldig.
"Die Landschaft in Ruanda ist unglaublich aufgeladen. Im Gegensatz zu den Vernichtungslagern der Nazis hat sich der Völkermord in Ruanda überall abgespielt. In jeder Bananenplantage, jedem Bach, jeder Böschung. Dadurch entsteht eine psychologische Ambiguität: Die idyllisch wirkende Landschaft ist auch ein Schlachtfeld. Man hat den Eindruck, dass man nur an der Erdoberfläche kratzen muss, um eine Leiche zum Vorschein zu bringen."
Ein Mädchen sitzt zurückgelehnt auf dem aufgewühlten Boden eines Abhangs. Halb von der Erde ausgespuckt, halb von ihr verschlungen. Zwischen Geburt und Tod. Zwischen dem Trauma der Vergangenheit und der Chance auf einen Neuanfang. Diese Kontraste spiegeln sich auch in den Porträts aus Südafrika wieder.

Hyperästhetische Bildsprache

Ein blonder Junge liegt wie zum Einschlafen zusammengerollt auf kargem Boden. Oder schützt er sich vor einem Angriff? Schließlich ist das Land auch in der Heimat des weißen Fotografen konfliktbeladen. Die Vertreibung schwarzer Südafrikaner in die Townships und Homelands während der Apartheid schwingt hier mit. Die seit Jahren schwelende Diskussion um eine Enteignung weißer Farmer. Ohne diesen Kontext ist es schwierig, die für Hugo typische, hyperästhetische Bildsprache zu entziffern. Doch der Künstler selbst winkt ab.
"Ich weiß nicht, ob man das unbedingt alles vorher wissen muss. Im besten Fall findet man die Fotos interessant und taucht dann ein bisschen tiefer in die Materie ein."

Porträts mit skurriler Note

An Vielschichtigkeit mangelt es nicht. Einige Kinder tragen teilweise viel zu große Hemden oder altmodische Blümchenkleider mit zu langen Ärmeln. Die Porträts bekommen dadurch eine skurrile Note. Doch gestellt sei das kaum, betont Pieter Hugo. Er habe den Kindern weitgehend freie Hand gelassen, sowohl bei der Haltung, in der sie porträtiert werden wollten, als auch beim Outfit.
"Ich habe einige von ihnen gebeten, eigene Kleider anzuziehen, die sie auch zur Kirche tragen, um den Bildern einen Touch Spektakel zu verleihen. Einiges habe ich in Ruanda auch auf dem Markt gekauft, meistens Altkleiderspenden aus dem Westen. In Europa würden einige dieser Stücke mittlerweile als Vintage- oder Retro-Mode gelten. Aber von dieser Interpretation ahnen die Afrikaner, die sie tragen, nichts."
Eine Prise humorvoller Sozialkritik, die jedoch angesichts der durchdringenden Blicke der Kinder und der Wuchtigkeit der Thematik eher untergeht. Was bleibt sind ein ungemütliches Gefühl und viele Fragen. Die Bilder brennen sich ins Gedächtnis. Es ist ein teils verstörendes, teils hoffungsvolles Porträt einer jungen Generation.
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