Südafrika

Ganz in Weiß

Südafrika: Kapstadt - Hafen am 10. März 2009
Südafrika will multi-kulti sein, doch es ist eher ein Nebeneinander als ein Miteinander. Auf dem Foto ist Kapstadt zu sehen. © picture-alliance/ dpa / epa Nic Bothma
Von Dagmar Wittek · 29.07.2014
Auf halber Strecke zwischen Kapstadt und Johannesburg gibt es eine kleine Enklave von rund 900 Weißen. In Orania will niemand rassistisch sein - Schwarze sind trotzdem unerwünscht. Doch nicht nur deshalb ist fraglich, ob das Modell Orania eine Zukunft hat.
Plattes Farmland, Rinder und Schafe weiden in grau-brauner karger Buschlandschaft. Mitten in Südafrika, auf halber Strecke zwischen Johannesburg und Pretoria tauchen plötzlich grüne Luzernefelder, Pekannuss-Plantagen, Mandelbäume und Olivenhaine auf. Orania - eine kleine, 8000 Hektar große Oase, direkt am Oranje Fluss. Sie erscheint wie aus dem Nichts, drumherum ist die Landschaft harsch und karg.
Mit Englisch – wie sonst im Rest von Südafrika - kommt man hier nicht weit. Sämtliche Schilder in Orania sind auf Afrikaans, und der Radioapparat empfängt in dieser einsamen Gegend am besten den ortseigenen Bürgersender.
Dies ist Afrikaner-Gebiet: Es wird Afrikaans gesprochen, eine dem holländischen ähnelnde Sprache, die es nur in Südafrika gibt. Bis 1994 war Afrikaans die durch das rassistische Apartheidregime aufoktroyierte Landessprache. Heute ist sie eine von elf Landessprachen.
Der Dorfkern: eine ampellose Kreuzung, an der sich Oranias einziger Supermarkt, zwei Cafes, eine Tankstelle und das Besucherzentrum befinden.
"Kein Überbleibsel der Apartheid"
Der Präsident der Orania Bewegung, Carel Boshoff junior, ein 50-jähriger Philosoph, versucht gleich, mit Vorurteilen über die Enklave der Weißen aufzuräumen.
"Man sollte uns nicht als Überbleibsel der Apartheid sehen. Für uns sind alle Menschen gleich. Wir verstehen uns als Teil von Südafrika. Wir lehnen dieses Land nicht grundsätzlich ab. Aber das heutige Südafrika muss komplett neu konstruiert und erdacht werden, um allen Südafrikanern den Raum zu geben, damit sie sich frei entfalten können."
Der Sohn des Ortsgründers und seine knapp über 1000 Afrikaner-Weggefährten in Orania fühlen sich ausgegrenzt, marginalisiert, ja gar diskriminiert durch die seit 20 Jahren regierende schwarze Mehrheit. Südafrika biete derzeit, sagt Boshoff junior, nicht allen Menschen aller Hautfarben und Religionszugehörigkeiten ein Zuhause – schon gar nicht den etwa 2,5 Millionen der rund 52 Millionen Menschen in Südafrika, die sich als Afrikaner oder Buren verstehen – also als Nachkommen der Siedler aus Holland, Deutschland und Frankreich, die sich im 17.Jahrhundert in Südafrika niederließen und dort ihre eigene Sprache, Kultur und Identität entwickelten.
"Man gibt uns nichts, man macht sich über uns lustig. Den Platz hier haben wir uns erkämpft, der wurde uns nicht freiwillig angeboten."
Der drei Kirchturmspitzen zählende Ort wächst stetig an: inzwischen sind es 8000 Hektar Land, die der Orania Aktiengesellschaft gehören, zwei kleine metallverarbeitende Fabriken sowie 65 kleine Unternehmen haben sich angesiedelt. Die 300 dort lebenden Kinder haben die Wahl zwischen zwei zum Abitur führenden Schulen.
Zum erträumten Volksstaat wachsen
Siebzehn Blondschöpfe mit Sommersprossen und Schuluniform schauen auf eine orange-blaue Fahne, auf der sich ein kleiner Junge in blauen Arbeiterhosen die Ärmel hochkrempelt. Das ist der sogenannte kleine Gigant, das Wahrzeichen von Orania, erklärt Lehrerin Esna Schumann.
"Ganz wichtig ist für uns, den Kindern beizubringen, dass wir gerne selber arbeiten und dass wir stolz auf von uns geleistete Arbeit sein wollen. Daher gibt es bei uns keine Strafarbeiten, denn Arbeit an sich ist gut. Sie bringt Fortschritt und Veränderung. Dafür steht dieser kleine Gigant und das bringe ich schon den Vorschulkindern bei."
Dahinter steckt die Hoffnung, Kinder heranzuziehen, die in Orania bleiben wollen und den Ort durch ihre Arbeitskraft zum erträumten Volksstaat wachsen lassen.
"Ich bin Ernst. Ich bin sechs Jahre alt, ich mag die Schule hier, wir malen, es gibt viele Bücher und wenn ich groß bin, will ich Pilot werden. Aber jetzt muss ich erst mal mit meiner Mama ins Büro."
Magdalene Kleinhans holt ihre zwei Söhne Ernst und Rikkus zum Mittagessen nach Hause. Heute soll es schnell gehen, daher fahren sie mit dem Auto. Normalerweise gehen sie zu Fuß oder nehmen das Rad, das die Fünf- und Sechsjährigen schon alleine fahren können. Andernorts in Südafrika wäre das aus Sicherheitsgründen kaum möglich.
Südafrika sitzt auf einem Pulverfass
Beim Mittagessen erzählt Magdalene Kleinhans, wie sich ihr Leben verändert hat, seit sie vor vier Jahren von Südafrikas Hauptstadt Pretoria hierher zogen.
"Wir leben jetzt entspannter. Und wenn man entspannter ist, kann man sich auch mehr um andere kümmern. Wir haben jetzt mehr Zeit für unsere Kinder, die Familie, das Haus und die Nachbarn. Hier kennt jeder jeden, das kann zwar auch mal zu Schwierigkeiten führen. Aber für mich ist so ein gemeinschaftliches Leben wichtig, in dem man in der Schule, dem örtlichen Gemüseladen oder der Kirche aktiv ist. Das fühlt sich sicher an."
Die extrem hohe Kriminalität in Südafrika war - wie für viele andere hier auch - ein Hauptgrund, warum Familie Kleinhans nach Orania zog. Südafrika sitzt auf einem Pulverfass: Nirgendwo in der Welt ist die Kluft zwischen arm und reich so groß wie dort. Hinzu kommt, dass, bedingt durch das Erbe der Apartheid, die Verteilung von Gütern, Ressourcen und Bildung nach wie vor extrem ungleich ist. Meistens sind es nach wie vor die Weißen, die zu denen gehören, die Geld haben.
Weiße haben aber auch das Gefühl, häufiger Opfer von Verbrechen zu werden als Schwarze. Statistisch ist dies zwar nicht haltbar, Kriminalität und Gewaltverbrechen betreffen alle in Südafrika. Dennoch: Die weiße Minderheit hat mehr zu verlieren und fühlt sich deshalb angreifbarer. In Orania aber, sagt der 33-jährige Familienvater Jako, gibt es keine Verbrecher. Aber es gehe ihnen um noch viel mehr in ihrer Enklave.
"Es geht nicht nur darum, sich sicher zu fühlen, sondern auch darum, dass man kulturell, sprachlich und religiös aufgehoben ist. Es geht darum, in einer Gemeinschaft zu leben, die Dich für das, was Du bist, respektiert.
Als Afrikaner eben, meint das Paar einstimmig. Magdalene versucht zu beschreiben, was und wie Afrikaner sind.
"Die alten weißen Präsidenten in Ehren halten"
"Afrikaner sind sehr stark. Wenn wir uns etwas in den Kopf gesetzt haben, dann ziehen wir es durch. Wir sind Kämpfer mit eisernem Willen. Wir geben nicht auf und arbeiten sehr hart, um so zu sein, wie wir sein wollen."
Jeder könne in Orania leben, erklärt Jako. Jeder, der ihre Ansichten und Überzeugungen teile, fügt der hochgeschossene junge Mann hinzu. Angeblich verstünden sie sich einfach nur als eine kulturelle Gruppe, die nicht nach Hautfarbe unterscheide, sondern andere Kriterien anlege: Afrikaanssprachig muss man sein, bekennender Christ, die alten weißen Präsidenten Südafrikas in Ehren halten, und den höchsten Feiertag der Buren zelebrieren, den Tag, an dem 1838 rund 500 Buren eine blutige Schlacht gegen weit über 10.000 schwarze Zulu-Krieger gewannen. Auf jeden Fall die beiden letzten Forderungen schließen die 80 Prozent der schwarzen Bevölkerung in Südafrika aus.
Das heißt: Für Schwarze ist in Orania kein Platz. So wie für Buren - außer in ihrer kleinen Enklave - im Post-Apartheid Südafrika kein Platz sei, meint Jako Kleinhans.
"Wir werden diskriminiert - wegen unserer Sprache, unserer Kultur, unserer Traditionen. Es gibt eine neue Form des Rassismus gegen uns, speziell wenn es um Arbeitsplätze geht. Wir haben das selber erlebt."
Tatsächlich machen es staatliche Fördermaßnahmen zugunsten von zu Apartheidzeiten benachteiligten Volksgruppen heut den Weißen schwerer, einen Arbeitsplatz zu bekommen. Arbeitgeber sind per Gesetz dazu angehalten, zunächst Schwarze und Farbige einzustellen, um so langfristig einen sozialen Ausgleich zu erwirken. Die meisten Schulen unterrichten in Englisch. Rein Afrikaans sprachige Universitäten gibt es nicht mehr. Da sei es nicht überraschend, dass sich Menschen, die zuvor vom Apartheidsystem massiv profitiert hatten, zurückgesetzt fühlten, argumentiert Georgina Alexander, Wissenschaftlerin am Institut für Rassenbeziehungen.
"Oraniern ist keine Bedeutung beizumessen"
"Es wird in einer Gesellschaft immer Gruppen geben, die sich an den Rand gedrückt fühlen. Aber die können ja gerne nach Orania ziehen, so lange sie niemand anders wehtun. Ehrlich gesagt, sehe ich da keine Zukunft für sie. Aber wir haben eine hervorragende Verfassung, die ein Versammlungsrecht garantiert und es allen gestattet so zu leben, wie sie wollen - so lange sie die Rechte von anderen nicht einschränken. Das garantiert ihnen die Verfassung."
Die Forscherin am Johannesburger Institut für Rassenbeziehungen ist der Meinung, dass den Oraniern keinerlei Bedeutung beizumessen sei. Sie seien eine gesellschaftliche Randerscheinung, keine Revoluzzerzelle, von der irgendeine Gefahr ausgehe.
"Grundsätzlich kommen Südafrikaner verschiedener Hautfarben ganz gut miteinander klar. Tagtäglich, wenn man sich umschaut, sieht man sie miteinander interagieren und sich integrieren. Mehr und mehr Menschen realisieren, dass wir alle nur Menschen sind. Eine jüngst vom Institut für Gerechtigkeit und Aussöhnung erstellte Studie stellt fest, dass heute wirtschaftlicher Status und Einkommen die Gesellschaft spaltenden Faktoren sind. Heißt: Wie viel verdient man, wo und wie wohnt man? Da geht es um materielle Dinge. Die Hautfarbe spielt eine untergeordnete Rolle."
Jeder vierte Südafrikaner ist arbeitslos. Weiße sind kaum darunter. Nur ein Prozent aller Weißen, aber 42 Prozent aller Schwarzen gelten als arm. Dafür gibt es zwei Gründe: Erstens das Erbe der Apartheid, in der Weiße bevorzugt behandelt wurden, bessere Ausbildungen erhielten und ihren Kindern einen besseren Start ins Leben geben konnten. Und zweitens Südafrikas Demographie: nur neun Prozent der Gesamtbevölkerung sind weiß, wohingegen über 80 Prozent schwarz sind.
Geborgenheit wie in einer großen Familie
Trotzdem haben die Buren zunehmend das Gefühl, keine Chance und Zukunftsperspektiven in Südafrika zu haben. Wahr ist, dass vor allem Afrikaner, die nur die minimale Schullaufbahn von acht Jahren durchlaufen haben, im jungen Südafrika kaum Aussichten auf einen Job haben.
Ihnen bietet Magdalene Kleinhans Möglichkeiten. Vor drei Jahren gründete sie eine Call Centre, das für rein Afrikaanse Organisationen arbeitet. Das Nischengeschäft scheint zu boomen. In kürzester Zeit konnte Magdalene zwanzig zuvor arbeitslose Frauen aus Orania anstellen. Für die 29-jährige Yolandi Jonck ging damit ein Traum in Erfüllung. Sie konnte von der Hauptstadt Pretoria nach Orania ziehen, denn die finanzielle Absicherung ist eine Voraussetzung, sich hier niederzulassen
"Ich habe mich in die Farmlandschaft verguckt. Ich liebe das langsamere Leben. Mir ist hier klar geworden, dass ich nicht wie im Hamsterrad leben will. Das stresst nur. Ich bin jetzt seit eineinhalb Jahren hier und habe nicht vor, je in die Stadt zurückzuziehen."
Ihr gefällt, dass alle mehr Zeit füreinander haben und sich gegenseitig helfen. Sie habe das Gefühl von Geborgenheit wie in einer großen Familie. Und sitze trotzdem nicht gelangweilt Zuhause rum.
"Es gibt hier zwei ganz gute Ausgehmöglichkeiten. Ich hatte schon befürchtet, dass ich nur noch lesen und meine Nägel lackieren würde. Aber wir gehen tanzen, auch in den benachbarten Orten. Außerdem ist Kimberley nicht so weit weg. Das sind nur 160 Kilometer. Das letzte Mal war ich vor drei Monaten da, nur um drei Stunden in einem Einkaufszentrum zu verbringen. Ich brauche das nicht, darauf habe ich keine Lust mehr."
Ihr Ziel momentan: bald heiraten. Ihr Freund ist Bure und managt bereits eine Milchkuh- und Schaffarm. Wenn sie einmal verheiratet sind, wird sie den Haushalt schmeißen. Auch wenn sie mit schwarzen Kindern gemeinsam auf die Schule gegangen ist und ihr bester Freund indischer Abstammung war, als sie noch in der Stadt lebte – mit einem Mann anderer Hautfarbe zusammen zu sein, kann sie sich nicht vorstellen.
"Niemals interkulturelle Beziehungen"
"Ich würde niemals eine interkulturelle Beziehung eingehen. Ich halte das nicht für richtig. Ich war mal mit einem aus Holland zusammen. Er war weiß. Aber es hat nicht funktioniert, weil da zwei Kulturen aufeinanderprallten, die nicht zusammenpassen. Es geht nicht um die Hautfarbe, es geht um die Kultur. Ich bin Afrikaans und deshalb, nee, das würde ich nicht tun."
Als Rassistin will sie sich und die anderen Oranier aber auf keinen Fall verstanden wissen.
"Wir sind schlicht stolz auf Orania. Hier geht es nicht um Hautfarben und Rassenzugehörigkeit, sondern um kulturelle Lebensgewohnheiten. Die meisten hier sind keine Rassisten, ich kenne zumindest keine."
Aber sich selbst sehen sie als Opfer von Rassismus und heben ihre ganz eigene Kultur hervor, die bedroht sei. Sie gelte es zu verteidigen, zu bewahren und zu pflegen, betont Jaco Kleinhans.
"Südafrika bietet derzeit für seine vielfältigen Kulturen keine Heimat. Immer weniger ziehen ihre Kinder in ihrer Muttersprache groß. Es gibt einen kulturellen Zerfall. Es gibt zwar eine Art neue Kultur, die westlich und britisch dominiert ist, aber das ist nicht das, was uns vorschwebt. Wir wollen unsere Kultur aufrechterhalten.
Orania unterhält mit einer Gruppe der Xhosa im Ostkap Beziehungen. Eine freiwillige schriftliche Vereinbarung regelt sogar, dass sie sich regelmäßig austauschen, um voneinander zu lernen, wie Autarkie, Unabhängigkeit und ein eigener Volksstaat erreicht werden könnten.
Keinerlei Vermischung, sondern ein Nebeneinander unterschiedlicher Volksgruppen, die ihre spezifischen Sprachen und Traditionen pflegen – so stellen sich Oranier ein multikulturelles Südafrika vor. Ein vielleicht nicht rassistisches Lebensmodell, so aber sicherlich doch - in einer mehr und mehr urbanen, globalen und transkulturellen Welt - ein Auslaufmodell.