"Stück Plastik" in der Berliner Schaubühne

Selbsthass de luxe

Die Berliner Schaubühne am Lehniner Platz wurde von Jürgen Sawade von 1975 bis 1981 umgestaltet.
Die Berliner Schaubühne am Lehniner Platz wurde von Jürgen Sawade von 1975 bis 1981 umgestaltet. © dpa / picture alliance / Hubert Link
Von Tobi Müller · 25.04.2015
Mittelschicht, Ausbeutung, Kunst, Komödie - es ist alles dabei, was das zeitgenössische Bühnenstück braucht in Marius von Mayenburgs "Stück Plastik". Und wenn das Publikum ein bisschen besser hinsieht, kann es laut lachen - über sich selbst.
In der Berliner Schaubühne ging das Festival für Internationale Dramatik, F.I.N.D, mit einer Eigenroduktion zu Ende. Der Autor, Dramaturg und Übersetzeer Marius von Mayenburg inszenierte gleich seinen eigenen Text: "Stück Plastik". Darin kommt eine Kleinfamilie der oberen Mittelschicht bereits ins Schlingern, wenn es um die Anstellung einer Putzfrau, pardon: Reinigungskraft geht. Es wird viel gestritten, es geht um Kleinigkeiten und die allergrößten moralischen Fragen. Und ein berühmter Künstler, für den die Frau des Paares arbeitet, darf ein richtiges Ekel spielen. Mittelschicht, Ausbeutung, Kunst, Komödie: Ein Themencocktail, als hätte ihn die französische Erfolgsautorin Yasmina Reza geschüttelt.
Tatsächlich dockt "Ein Stück Plastik" da an. Bei Rezas "Gott des Gemetzels", in dem die obere Mittelschicht als moralisch lächerlich, super egoistisch und beziehungsunfäfig dargestellt wird, und auch ein bisschen bei ihrem Welthit "Kunst" , wo hinter dem Kunstbetrieb stets die Leere, die Scharlatanerie vermutet wird, was ein populistischer Topos ist, aber es geht bei Reza ja weniger um die Kunst als um einen virtuosen bürgerlichen Selbsthass, dessen lange Tradition im modernen Drama sie zu einer vielleicht letzten Blüte treibt. Bei Mayenburg gibt es aber auch formale Entsprechungen.
Ein Reigen aus schlechtem Sex, sozialer Schere und gescheiterten Träumen
Die Höllle sieht in der Schaubühne aus wie der Himmel, also ganz weiß. Weiß auch wie ein White Cube, ein Museumsraum. Die menschlichen Objekte: Der Arzt, gespielt von Robert Beyer, der das Häufchen Elend in Weiß nervös und kräftig spielt, seine Gattin, von Marie Burchard, verständnisvoll bis zum Anschlag mit plötzlichen Ausbrüchen, und ihr pubertierender Sohn Vincent (Laurenz Laufenberg). Dazu eine böse Karikatur eines Konzeptkünstlers, dem Sebastian Schwarz extrem deutlich eine blasierte und zynische Fassade gibt, und bei dem die Artzgattin assistiert, selbst eine gescheiterten Künstlerin. Und, die zentrale Figur: Die Putzfrau, die Jenny König so ruhig spielt, wie man ein stilles Zentrum eben spielen muss. Die Fehler machen sowieso alle andern Figuren, also die Putzfrau duzen, ihr die alten Kleider der Gattin anbieten, sie vollabern und demütigen, ohne es zu merken. Es ist ein Reigen aus schlechtem Sex, sozialer Schere, gescheiterten Träumen und viel Häme.
Marius von Mayenburg schreibt und er führt auch Regie. Man sagt manchmal: Autoren, die inszenieren, haben keine Distanz zu ihren Texten. Mayenburg ist ein Theaterfuchs, ein Dramaturg und Dramatiker und eben auch Regisseur, der die Wirkung der Bühne fast zu gut kennt. Klar hätte man von den 140 Minuten einiges wegstreichen können, ein Nicht-Autor wäre da strenger gewesen. Aber das ist nicht das Hauptproblem des Abends.
Mayenburg legt Wert drauf, eine Komödie geschrieben zu haben. Ist ihm das gelungen? Nicht immer, oder: Kommt drauf an, was man darunter versteht. Er walzt Missverständnisse in irre Dialoge aus, die sich verselbständigen, und legt damit die überzogenen Selbstbilder der Figuren immer wieder frei. Das ist die klassische Distanznahme, mit der die Komödie arbeitet. Aber die Komödie wäre eigentlch auch die Gattung, in der die Dinge am Ende gelingen, die vorführt, dass man gerade nicht zwingend den Mist verzapfen muss, den man sich gegenseitig zur Belustigung aller erzählt. Mayenburg ist im Kern vielleicht doch eher ein Tragödiendichter, denn hier geht alles schief. Und dann gibt es, das verrät die Tragödie am klarsten, so etwas wie ein Ort der Wahrheit, nämlich die Musik. Die Putzfrau singt Covers, von Adele über Britney Spears bis Eurythmics ganz am Schluss. Jenny König macht das toll, in schön queren Elektro-Arrangements. Aber die Wahrheit bei der Putzfrau, die Musik als Wahrheit, das ist halt auch Kitsch.
Das Milieu des Stückes liegt nicht weit weg vom vermuteten Publikum der Schaubühne: Eher wohlhabend, früher eher linksliberal. Soll man hier auf sich selbst schauen, oder doch auf die anderen? In der Schaubühne gibt es in zwei Wochen eine Uraufführung von Yasmina Reza, die extra für dieses Theater ein Stück geschrieben hat, inszeniert wird es vom Chef selbst, von Thomas Ostermeier. Zwei Paare, berühmte, tolle Schauspieler wie Nina Hoss und Mark Waschke. Die gehobene Mittelschicht hasst sich gerade von Herzen in der Schaubühne und lacht dabei entschlossen.
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