Studien

Auf die Größe kommt es an

Gesundheitsprognosen mit dem Maßband?
Gesundheitsprognosen mit dem Maßband? © dpa/Karl-Josef Hildenbrand
Von Udo Pollmer · 27.06.2014
Ein langer Ringfinger bedeutet ein erhöhtes Kariesrisiko, große Menschen leiden seltener an Lungenkrankheiten, kleine leben länger. Den Zusammenhang von Körpermaßen und Krankheitsrisiko zu erforschen, ist schick. Löst die "Ideal-Größe" bald den BMI ab?
Nach dem großen Hallo, das der Body-Mass-Index, der BMI, ausgelöst hat, kapriziert sich die Fachwelt jetzt auf die Größe des Menschen. Dabei zeigte sich ein klarer Zusammenhang zwischen Wuchs, Krankheiten und Lebenserwartung. Nachdem der BMI nicht wirklich funktioniert hat – einfach weil der Körper des Säugetieres mit zunehmendem Alter schwerer und fetter wird, bietet die Größe einen besseren statistischen Halt. Denn die ändert sich beim Erwachsenen nur geringfügig.
Deshalb sind die Resultate auch reproduzierbar. Einhelliges Ergebnis: Je größer ein Mensch, desto größer ist auch sein Krebsrisiko. Über die Gründe wird fleißig spekuliert. Die einen sagen, es läge an den vielen Vitaminen, die seien Wachstumsfaktoren – auch für den Tumor. Dafür spricht, dass früher Krebskranke möglichst vitaminfrei ernährt wurden – mit Erfolg, wie es heißt. Die anderen sagen, es käme vom reichlichen Essen, das würde die insulinartigen Wachstumsfaktoren beflügeln. Wieder andere verdächtigen die Sexualhormone: Männer sind größer und erkranken häufiger an Krebs als Frauen. Und weil's so schön war, hier noch ein Befund: Blinde sind erstaunlich gut vor Krebs geschützt. Was bedeutet das? Am Essen liegt's wohl kaum.
Die Kleinen sind im Vorteil
Ein schlaksiger Körperbau hat auch Vorteile: Mit der Größe schwindet das Risiko von Schlaganfällen oder Lungenkrankheiten. Je länger die Beine und Arme, desto seltener leiden die Menschen unter Demenz, die schiere Größe sorgt für geistige Fitness im Alter. Doch insgesamt sind die Kleinen im Vorteil: Rein statistisch gesehen haben sie eine höhere Lebenserwartung als die Großen – aber viele kriegen es nicht mehr mit.
Natürlich darf die Hautfarbe nicht fehlen. Laut einer brasilianischen Studie steigt das Risiko für Schlaganfall mit der Intensität der Pigmentierung. Hingegen misslang der Versuch des US-amerikanischen National Cancer Institute, die Hautfarbe mit Prostatakrebs zu korrelieren, aber mit der Haarfarbe klappte es: Rothaarige erhalten die unerfreuliche Diagnose seltener. Dafür soll deren Melanomrisiko größer sein. Mit jeder Eigenschaft ob Schuhgröße, Kopfumfang oder Penislänge lässt sich was Hübsches verknüpfen. An Letzterem arbeitet sich eine wachsende Zahl an Experten ab. Wir dürfen auf die Ergebnisse gespannt sein.
Fingerlänge und Schizophrenie
Wie wär's mit Handlesen? Diese Kunst erlebt gerade ihr Comeback. Aus dem Verhältnis der Längen von Zeigefinger zu Ringfinger haben Ärzte aus aller Welt erstaunliche Zusammenhänge ermittelt: Mit einem längeren Ringfinger nehmen Gelenkschmerzen zu und das Kariesrisiko steigt. Komplizierte Theorien über die Hormonspiegel im mütterlichen Blut während der Schwangerschaft sollen den Zusammenhang erklären. Da ließen sich die Psychologen nicht lange bitten, denn was Ärzte können, können sie schon lange. Ergebnis: Längere Zeigefinger der linken Hand deuten auf ein Schizophrenierisiko.
Ob das mit den langen Fingern nicht zu kurz gegriffen ist? Oder zu kurzsichtig? Indische Mediziner studierten die Fingerlänge und Brillenstärke: Ja, die Pfötchen korrelieren mit der Kurzsichtigkeit. Das soll die Diagnostik ungemein vereinfachen und erlaubt, so die Mediziner, eine schnellere Früherkennung.
Die Beraterszene bringt sich in Stellung
Wie reagieren die Menschen wohl, wenn ihnen der Fernsehdoktor verkündet, mit einer Körpergröße von 1.85 Metern sei das Brustkrebsrisiko um 35 Prozent erhöht gegenüber einer Größe von 1.65 Metern? Was denken Eltern, wenn sie glauben, am Wachstum ihres Kindes deren späteres Demenzrisiko ablesen zu können? Da das Wachstum des Kindes von der Ernährung bestimmt würde, könne man durch eine nahrhafte Kost Altersbeschwerden vorbeugen – so der Rat eines israelischen Ärzteteams.
Mit jedem körperlichen Merkmal korrelieren sowohl Krankheiten als auch Befähigungen. Nachdem es beim BMI nicht so gut geklappt hat, werden wir bald eine "Ideal-Größe" angeboten bekommen. Dann kann sich die Beraterszene nach den pummeligen Gören auch an den verstörten Gesichtern schlaksiger Kinder ergötzen, wenn sie ihnen erzählen, dass sie krank werden, weil ihr Körper nicht den aktuellen Normen entspricht. Aber wenn sie sich bei Tisch genug quälen, sei der Erfolg in greifbare Nähe gerückt. Mahlzeit!
Literatur
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