Studie

Die soziale Funktion des Pfandsammelns

Ein Einkaufswagen mit leeren Bierflaschen steht an einer Wiese in Hannover.
Ein Einkaufswagen mit leeren Bierflaschen steht an einer Wiese in Hannover. © picture alliance / dpa / Julian Stratenschulte
Von Liane von Billerbeck · 31.03.2014
Der Soziologe Sebastian J. Moser legt mit seinem Buch über Pfandsammler eine bewegende Studie vor, die eine scheinbare Randfigur der Städte porträtiert und damit mitten ins Herz der Gesellschaft sticht.
Wären Sie darauf gekommen, dass es eine stoffliche Verbindung zwischen Jürgen Trittin und der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 gibt, eine aus dünnem Blech? Richtig, es ist eine Dose, die diese Verbindung herstellt, genauer: das Dosenpfand. Der damalige Bundesumweltminister Trittin führte es ein. Seitdem bekommt man auch für Einweggetränkeverpackungen Pfandgeld.
Und, ebenfalls seit 2006, hält sich hartnäckig die Mär von den sagenhaften Einkünften, die ein Pfandsammler angeblich erzielen könne. Woran nicht Jürgen Trittin, sondern die Massenveranstaltung WM schuld ist, bei der tatsächlich einiges zu verdienen war. In allen größeren Städten suchen seitdem Pfandsammler nach Flaschen und Dosen in Mülleimern, um 8, 15 oder 25 Cent Pfand dafür zu erhalten.
Der Soziologe Sebastian J. Moser hat als erster Wissenschaftler nicht nur die Orte beobachtet, an denen Pfandsammler fündig werden, er hat auch gemessen, welche Strecken und welche Gewichte sie bewältigen. Vor allem aber hat er Pfandsammler nicht nur als Forschungsobjekt betrachtet, sondern auch mit ihnen gesprochen.
Die Auszüge aus den Gesprächen sind Teil einer bewegenden Studie, die eine scheinbare Randfigur der Städte porträtiert und damit mitten ins Herz der Gesellschaft sticht.
Soziale Funktion des Sammelns
Die Pfandsammler, meist als "Penner" diffamiert, verdienen mit ihrer Arbeit aus der Sicht der Umwelt nur minimale Beträge zu ihren geringfügigen Einkommen, niedrigen Renten oder Hartz-IV-Leistungen hinzu und werden dafür auch noch verachtet. Doch warum hält sie das Naserümpfen vieler und die ökonomische Ineffizienz nicht ab von ihrer Tätigkeit? Es ist das Sammeln an sich, das sie reizt, und seine soziale Funktion.
Wer sammelt, muss seine Wohnung verlassen, er bewegt sich an Orte, wo viele Menschen sind, ist also eine Art fremder Bekannter. Wer sammelt, wird zumindest zeitweise Teil einer Gesellschaft, zu der er längst nicht mehr gehört.
Das Buch ist also nicht nur eine Studie über eine "urbane Sozialfigur", es ist auch eine Studie über Armut und vor allem Einsamkeit. Anders als bei früheren Ähren- und Lumpensammlern kann Moser keinen Gruppenstolz bei ihren Nachfolgern ihnen entdecken. Sie bleiben Einsame, halten Distanz untereinander und zur Restgesellschaft.
Zwei Arten von Sammlern
Und so begegnen sich in Mosers Studie zwei Arten von Sammlern: der Soziologe, der beobachtet, fragt, notiert auf der einen Seite, und der Pfandsammler, der sucht, sammelt und findet, auf der anderen. Der eine besitzt die Freiheit, seine wissenschaftliche Sammeltätigkeit, unterstützt von Freunden und Kollegen, finanziert vom Staat, zu einem produktiven Ende zu führen, an dessen Ende Anerkennung steht.
Der andere, der Pfandsammler, entflieht durch sein Sammeln der Einsamkeit, er hilft, öffentliche Plätze von Flaschen und Dosen zu befreien. Anerkennung aber erfährt er nicht.
Dass mit Verhältnissen etwas nicht stimmt, in denen zwei so extreme Arten von Sammlern nebeneinander existieren, ist das Fazit des Soziologen – und der Leserin.

Sebastian J. Moser: "Pfandsammler. Erkundungen einer urbanen Sozialfigur"
Hamburger Edition, Hamburg 2014,
270 Seiten, 22 Euro

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