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Sparauflagen der EU
"Mit zweierlei Maß gemessen"

Frankreich erhält zwei weitere Jahre, die EU-Defizitgrenze von drei Prozent der Wirtschaftsleistung einzuhalten. Überrascht habe ihn das nicht, sagte der FDP-Europaabgeordnete Alexander Graf Lambsdorff im DLF. Die EU-Kommission scheue den Konflikt mit Paris.

Alexander Graf Lambsdorff im Gespräch mit Silvia Engels | 26.02.2015
    Der FDP-Europaabgeordnete und Vizepräsident des EU-Parlaments Alexander Graf Lambsdorff.
    Der FDP-Europaabgeordnete und Vizepräsident des EU-Parlaments Alexander Graf Lambsdorff. (Imago / Rainer Unkel)
    Vor dem Hintergrund des Umgangs mit anderen Ländern halte er die gestern bekannt gewordene Entscheidung der EU-Kommission für "schwierig", so Lambsdorff. Griechenland, Italien und Spanien sei man mit Härte begegnet, Frankreich, Italien und Belgien, die es seit Jahren nicht schafften, den Stabilitätspakt zu erreichen, dagegen nicht. Es werde mit zweierlei Maß gemessen. Die EU-Kommission schrecke davor zurück, "sich mit Paris und Berlin anzulegen".
    Die Regierung in Paris muss im April allerdings Details zu geplanten Reformen präsentieren. Für dann erwartet Lambsdorff eine breitere Diskussion und "gegebenenfalls Konsequenzen". EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker, der die Situation in Frankreich gut kenne, müsse daran Interesse haben.

    Das Interview in voller Länge:
    Silvia Engels: Rückblende: Seit dem Jahr 2001 haben französische Regierungen nur in den Jahren 2006 und 2007 ein wichtiges Stabilitätskriterium des Maastricht-Vertrages erfüllt. Danach darf das jährliche Staatsdefizit nicht über drei Prozent der Wirtschaftsleistung liegen. In allen anderen Jahren riss Paris diese Messlatte, und das wird vorerst auch so bleiben. Gestern hat die EU-Kommission zugestanden, dass Frankreich das Defizitkriterium erst 2017 wieder erfüllen muss. Ursprünglich sollte das schon in diesem Jahr der Fall sein.
    Am Telefon ist Alexander Graf Lambsdorff, Vorsitzender der FDP-Gruppe im Europäischen Parlament und Befürworter des Stabilitätspakts. Guten Morgen, Herr Lambsdorff!
    Alexander Graf Lambsdorff: Guten Morgen, Frau Engels.
    Engels: Hat die Entscheidung der EU-Kommission Sie überrascht?
    Graf Lambsdorff: Nein, die hat mich nicht überrascht. Das war zu befürchten. Es war so, dass Frankreich durch eine wahnsinnig schwierige Phase gegangen ist, gerade mit dem Versuch, Wirtschaftsreformen aufs Gleis zu bringen, und man von Brüssel aus mit großer Spannung immer nach Paris schaute, ob die das denn wohl schaffen würden. Und nach allem, was vorher vorgefallen war, auch mit der Nominierung von Pierre Moscovici zum Wirtschafts- und Währungskommissar ergab sich ein Gesamtbild, das einfach eine Überraschung jetzt hier nicht hat entstehen lassen.
    "Es wird mit zweierlei Maß gemessen"
    Engels: Haben Sie denn Verständnis dafür, dass man Paris mehr Zeit gibt?
    Graf Lambsdorff: Ich finde das gerade vor dem Hintergrund der ja doch zum Teil auch Härte, mit der die Programmländer angefasst worden sind, also Griechenland, Spanien, Portugal und Irland, natürlich etwas schwierig, denn hier wird offensichtlich mit zweierlei Maßstäben gemessen. Das sind Länder - es geht um Frankreich, Italien und Belgien, um über Frankreich hinaus auch ein bisschen zu schauen -, die alle tatsächlich ja seit Jahren es nicht schaffen, den Stabilitätspakt einzuhalten, die Staatsverschuldung in Grenzen zu halten. Dort wird Nachsicht geübt, während man mit den Programmländern doch mit großer Härte vorgegangen ist. Das hat ja dort auch Erfolge gezeitigt. Spanien und Portugal sind wieder auf einem Wachstumspfad, für Irland gilt dasselbe, Griechenland ist ein Sonderfall. Aber bei Frankreich, Italien und Belgien, finde ich jedenfalls, wird hier mit zweierlei Maß gemessen.
    Engels: Von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker gibt es ja das auf große Mitgliedsstaaten gemünzte Zitat, die Länder mögen Lektionen nicht, die aus Brüssel kommen. Muss die Kommission die Sparfrist für Frankreich auch deshalb immer weiter verlängern, weil sie sich gegenüber großen Mitgliedern einfach nicht durchsetzen kann?

    Graf Lambsdorff: Das könnte man hier vermuten, das wäre fast zu befürchten. Auf der anderen Seite: Spanien ist auch ein großes Mitgliedsland und Spanien als Programmland musste sich durchaus einiges gefallen lassen. Ich glaube, es ist tatsächlich eine Situation, bei der in allererster Linie der Blick sich nach Frankreich richtet. Jean-Claude Juncker kennt als Luxemburger die französischen Verhältnisse, kennt auch das Problem der Reformunfähigkeit dort, und er hat natürlich sehr genau beobachtet, was mit dem Wirtschaftsreformgesetz passiert ist, das jetzt gerade dort verabschiedet worden ist. Da musste ja die sozialistische Regierung zu einer Art Notfalldekret greifen, dem Artikel 49/3 der französischen Verfassung, um das überhaupt umsetzen zu können. Man hatte Angst vor einer Abstimmung im Parlament; man hat das Ganze also per Verordnung erlassen, ein Riesenskandal. In Deutschland wäre das gar nicht vorstellbar. Das auf der einen Seite.
    Frankreichs Wirtschaftsminister Emanuel Macron: Nach ihm ist das Gesetz benannt
    Frankreichs Wirtschaftsminister Emanuel Macron: Nach ihm ist das Gesetz benannt (ALAIN JOCARD / AFP)
    Auf der anderen Seite ist der Inhalt dieses Gesetzes jedenfalls so, dass man sagen kann, es geht in die richtige Richtung, hier werden geschützte Berufe liberalisiert, hier wird mehr Sonntagsarbeit zugelassen, hier werden bestimmte Wirtschaftssektoren auch geöffnet. Mit anderen Worten: ein Dilemma. Aber der Blick nach Frankreich zeigt, dass die Kommission, ich sage mal, doch zurückschreckt gerade bei Deutschland und Frankreich, sich mit diesen beiden Hauptstädten anzulegen.
    "Jean-Claude Juncker will, dass breiter diskutiert wird"
    Engels: Paris muss ja nun bis April Details zur Haushaltssanierung vorlegen. Sonst droht, so die EU-Kommission, eine Verschärfung des Defizitverfahrens. Glauben Sie denn nach den letzten Jahren, was das Nachgeben gegenüber Frankreichs angeht, noch daran?
    Graf Lambsdorff: Im Moment höre ich die Worte, aber wie Ihrer Frage ja auch zu entnehmen ist, der Glaube fehlt ein wenig. Das hat auch etwas mit der internen Dynamik in der Europäischen Kommission zu tun. Es gibt ja dort ein Dreieck aus Kommissaren, die sich um dieses Thema kümmern sollen. Das ist einmal der schon erwähnte Pierre Moscovici, aber dann auch Valdis Dombrovskis aus Lettland, einem Land, das ja sehr harte Reformen absolviert hat und sehr erfolgreich absolviert hat, und Jyrki Katainen, dem finnischen Hardliner, der genau auf deutscher Linie liegt, wenn es darum geht, den Stabilitätspakt einzuhalten. Was wir beobachtet haben bei den internen Prozessen allerdings ist, dass Moscovici seine Stellung sehr stark ausgenutzt hat, die beiden anderen lange im Dunkeln gelassen hat darüber, wie es weitergehen soll. Insofern kann ich jetzt auch nicht erkennen, warum sich das bis April ändern soll, es sei denn, Jean-Claude Juncker macht deutlich, dass seine Neustrukturierung der Kommission mit Vizepräsidenten, die eine Aufsichtsrolle haben, wirklich glaubwürdig umgesetzt wird. Insofern hat Juncker ein Interesse daran - so sehe ich das jedenfalls -, dass im April etwas anders vorgegangen wird, dass breiter diskutiert wird und dass dann gegebenenfalls auch Konsequenzen gezogen werden.
    "Portugal und Spanien sehen die Erfolge"
    Engels: Breiter diskutiert, das ist ein Stichwort. Erwarten Sie nach dieser Entscheidung, dass andere Länder wie Irland, wie Portugal oder auch Griechenland nun ihren Sparkurs mittelfristig endgültig über Bord werfen?
    Graf Lambsdorff: Bei Irland erwarte ich das definitiv nicht. Das Land ist an die Finanzmärkte, an die Kapitalmärkte zurückgekehrt. Das Land exportiert wieder mehr als es importiert. Das gleiche gilt für Portugal und Spanien. Diese Länder sehen ja in den Zahlen schon die Erfolge, die eine liberale Wirtschaftspolitik bringt. Das ist eine Politik, die dort unter großen Problemen nur umgesetzt werden konnte, unter großen auch Härten zum Teil für die Bevölkerung, aber jetzt sieht man, dass solide öffentliche Finanzen und liberalisierte Wirtschaftspolitik durchaus etwas bringen. Ich gehe davon aus, dass in diesen Ländern das nicht geschehen wird. Was das für die Diskussion um Griechenland bedeutet, das kann ich allerdings nicht sagen.
    Engels: Drehen wir es einmal anders herum. In den von Ihnen erwähnten Ländern gibt es auch zum Teil große Protestbewegungen, die den Sparkurs ablehnen und die eigentlich Parteien unterstützen, die eher ein Ende dieses Konsolidierungskurses verlangen. Ist es nicht vielleicht an der Zeit, mehr auf die Menschen zu hören und in dem Fall auch diesem Drängen nachzugeben, weil der Sparkurs zu hart war?
    Teilnehmer des "Marsches für Veränderung" am 31.1.2015 in der spanischen Hauptstadt Madrid, zu der die neue Partei Podemos aufgerufen hatte. 
    Podemos in Spanien hat viel Zulauf. (picture-alliance / dpa / Elena Shestenina)
    Graf Lambsdorff: Hier geht es in allererster Linie bei dem, was Sie beschreiben, um Spanien. Diese großen Protestbewegungen in Irland oder Portugal sehe ich nicht. Aber Podemos ist ähnlich wie Syriza in der Tat, da haben Sie völlig Recht, eine große und wichtige Protestbewegung, die auch in Umfragen sehr weit oben steht. Nun muss man dazu eines sehen: Die Protestbewegungen nähren sich natürlich - ich will das mal so formulieren - daraus, dass die Reformen auch soziale Härten mit sich bringen, dass insbesondere die Arbeitslosigkeit in dieser Umstrukturierungsphase sehr hochgeht. Die Arbeitslosigkeit ist das, was Volkswirte einen nachlaufenden Indikator nennen. Das heißt, die Zahlen verbessern sich schon überall, aber die Arbeitslosigkeit sinkt erst etwas später, sechs bis zwölf Monate später. Insofern ist die Frage - und ich glaube, da kann man auch ein bisschen optimistisch sein -, wenn die Arbeitslosigkeit wieder sinkt, wird Podemos dann noch Erfolg haben. Ich glaube das, ehrlich gesagt, nicht, jedenfalls nicht im selben Maße wie bisher. Die entscheidende Frage in Spanien in dem Kontext ist allerdings, können sich die Volkspartei und die Sozialistische Partei dort von diesen korrupten Machenschaften befreien, die ihnen in den letzten Jahren nachgewiesen worden sind, denn auch das ist ein Boden, auf dem Podemos natürlich gedeiht.
    "Keine Beunruhigung an den Märkten"
    Engels: Die Arbeitslosigkeit sinkt erst später, sagen Sie. Eine schnelle Reaktion, wenn ein Konsolidierungskurs verlassen wird, erleben wir immer an den Währungs- und Finanzmärkten. Das heißt, fürchten Sie Folgen für den Euro?
    Graf Lambsdorff: Das hätten wir schon sehen müssen. Ich glaube ganz im Gegenteil, dass die Märkte relativ beruhigt sind, denn der Pfad, den Frankreich beschritten hat, mit diesem Reformgesetz, dem Loi Macron, ist einer, der von den Märkten durchaus begrüßt worden ist. Die Kommission hat jetzt, ich sage mal, sanften Druck gemacht auf Frankreich, nicht genug Druck nach meinem Dafürhalten, aber immerhin sanften Druck. An den Märkten sehe ich jedenfalls keine Beunruhigung. Das wäre ja in der Tat, genau wie Sie sagen, sofort gekommen. Das war aber nicht zu sehen, sondern die Märkte sehen hier einen Weg, auf dem Frankreich ist, bei dem ein gewisser Optimismus da ist, allerdings nicht die Härte, die die Kommission hätte an den Tag legen müssen.
    Engels: Dann noch ein kurzer Blick in die deutsche Innenpolitik. Erwarten Sie Reaktionen, wenn man gerade kurz vor einer Abstimmung über Sonderkonditionen für Griechenland steht, wenn nun Frankreich Sonderkonditionen bekommt?
    Graf Lambsdorff: Nein. Ich glaube, dass das in der deutschen Politik schon getrennt wird. Griechenland - und darum geht es ja am Freitag in der Abstimmung im Bundestag - ist ein ganz besonderer Fall. Da steht die Zustimmung des Bundestages ohne jeden Zweifel fest und das auch schon seit Tagen. Daran wird sich nach meinem Dafürhalten überhaupt nichts ändern.
    Engels: Alexander Graf Lambsdorff, Vorsitzender der FDP-Gruppe im Europäischen Parlament. Vielen Dank für Ihre Zeit.
    Graf Lambsdorff: Danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.