Strom statt Pferd

Von Eva-Maria Götz · 16.05.2006
Am 16. Mai 1881 setzte Werner von Siemens die erste elektrische Straßenbahn auf die Schiene. Seine Blütezeit erlebte das Nahverkehrsmittel in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts. Auch wenn die Tram heute keine herausragende Bedeutung mehr hat, ist sie aus den meisten Metropolen dieser Welt nicht wegzudenken.
"Eigentlich geht die elektrische Straßenbahn eher auf ein Versehen zurück. Werner von Siemens hatte die Absicht, in Berlin eine Hochbahn zu bauen. Er hat dafür entsprechende Pläne bei den entsprechenden Verwaltungen eingereicht, die Verwaltung war eher skeptisch, moderner Krimskrams."

Der Ingenieur Werner von Siemens ließ sich durch die ablehnende Haltung der Berliner Bürokraten nicht beirren, erklärt Klaus Dieter Matschke, Straßenbahndirektor der Berliner Verkehrsbetriebe. Siemens plante ein modernes Hochbau-Schienen-Netz für die Metropole, die kurz vorher ihre Millionenzahl überschritten hatte.

Pferdekutschen auf Schienen existierten bereits seit Beginn des 19. Jahrhunderts. Nun gab es weltweit die verschiedensten Versuche, die Pferde auszuspannen: Experimentiert wurde mit Pressluft, Natron, Petrolium, Gas und Dampf als Energiequelle. Den Durchbruch brachte das dynamo-elektrische Prinzip der Firma Siemens & Halske.

"Siemens hat dann eine Grubenbaustrecke in Lichterfelde, damals noch vor den Toren von Berlin zur Verfügung gestellt bekommen und dort am 16. Mai 1881, nachdem ein Probebetrieb über mehrere Monate gelaufen ist, seine erste elektrische Bahn vorgestellt. Ein großer Erfolg, und damit hat Werner von Siemens den Grundstein gelegt für das, was man heute Straßenbahn, Stadtbahn und auch U-Bahn nennt."

Der erste Wagen war noch eine umgebaute Pferdebahn: Einstiegsplattformen vorne und hinten, die zum Aufsteigen während der Fahrt animierten. Anfangs löste der Fahrer auch die Fahrkarten. Die Bahn hatte eine quietschende Bremse, eine eindrucksvolle Signalglocke und Platz für 20 Personen, die sie mit einer Spitzengeschwindigkeit von 20 Stundenkilometern beförderte.

Die neue Art der Fortbewegung setzte sich schnell durch. 1913 stritten sich allein in Berlin 16 Straßenbahngesellschaften mit 116 Linien um die Fahrgäste. Ab den 20er Jahren einigte man sich dann immerhin auf einen Einheitstarif von zehn Pfennigen:

"Der Schaffner war die Institution, die dafür Sorge zu tragen hat, dass das Geld in die Kasse kam, dass aber auch die Fahrgäste informiert waren, dass beim Kuppeln an den Endstellen dann die Türen umgehangen, der Stromabnehmer umgelegt wurde. Das war schon eine gestandene Persönlichkeit, ob er als Fahrer seinen Dienst verrichtet oder als Schaffner oder Schaffnerin, es war eben was Besonderes, dokumentiert durch diese Dienstbekleidung, damals noch die Uniform mit den entsprechende Rangzeichen, die erkennen ließen: Hier gibt es jemanden, der Bedeutsames in dieser Stadt leistet."

Ihre Blütezeit hatte die Straßenbahn in den 30er Jahren: auf der Erde, in der Luft, auf Schienen schwebend oder an Schienen hängend und auch im Untergrund beförderte sie die noch nicht vom Individualverkehr träumenden Massen, die sich mit liebevoll romantischem Blick revanchierten und der Bahn ihr Ständchen sangen.

Besonders die Endstation-Metapher hatte es den Dichtern angetan. Und diese Endstation erreichte die Bahn dann auch selbst Mitte des vergangenen Jahrhunderts: Straßenbahnfahren wurde unmodern. In Paris, London und West-Berlin und anderen Metropolen verschwanden die Bahnen aus dem Stadtbild.

Zu neuen Ehren kam die Tram mit der Energiekrise: Sie ist umweltfreundlich, kostengünstig und sicher. Und wenn sie auf eigenen Straßenspuren mit eingebauter grüner Ampel-Welle fährt, sogar auch noch schneller als das nebenan im Stau stehende Auto.

"Hier erleben wir ja zurzeit eine große Renaissance, insbesondere in Frankreich, in den USA, wo also sehr, sehr viele neue Straßenbahnbetriebe entstehen. Derzeit gibt es circa 350 Straßenbahnunternehmen in 51 Ländern der Erde, davon 70 Prozent in Europa."

Tendenz steigend. Mit den umgebauten Pferdewagen von einst haben die hydraulischen Niederflurbahnen nichts mehr zu tun. Sie sind bis zu 40 Meter lang und erreichen Geschwindigkeiten von bis zu 70 Stundenkilometern, inzwischen auch ohne Fahrer. Allen Bedenken von einst zum Trotz rollt die "Elektrische" in die Zukunft, vollklimatisiert und weltweit.