Streitlustiger "Beton"-Macher

Von Danja Antonovic · 16.03.2011
Mit 19 erlebt er hautnah den jugoslawischen Bürgerkrieg. Sascha Ilic ist heute ein Vertreter der alternativen Literaturszene Serbiens. Er gibt die politisch-literarische Streitschrift "Beton" heraus. Serbien ist Gastland auf der Leipziger Buchmesse.
Das Handy klingelt und bimmelt, es sind Freunde, die vorbeikommen wollen. Wir sitzen in der Stammkneipe der ""Beton""-Macher, in einer Belgrader Kafana, einer Balkan-Institution: Hier trifft sich jung und alt, hier wird dem Gast überlassen, ob er stundenlang vor einem Espresso hockt – oder einen gewaltigen Kalbskopf in Aspik verzehrt.

Sascha bestellt Espresso mit Milch und beginnt zu reden. Mir gegenüber sitzt ein hochgewachsener, stiller Enddreißiger. Er wirkt jünger. Auffällig, seine großen, dunklen Knopfaugen. Als er von dem Tag erzählt, der sein Leben verändert hat, schleicht sich ein verlegenes Lächeln ein:

"Am 17. September 1991 wurde ich einberufen. Das war der Beginn der Balkankriege. Ich war der jugoslawischen Kriegsmarine zugeteilt und erlebte wie die Bomben auf Dubrovnik fielen, es war schrecklich."

Hautnah erlebt Sascha den aufkeimenden Nationalismus, er führt heimlich Tagebuch, verbrennt es am Ende, aus Angst.

"Meine einzige Hoffnung war, unversehrt diese Zeit zu überstehen, und einigermaßen normal aus dem Krieg zurückzukehren und mein Studium fortzusetzen. Es hat etwa drei bis fünf Jahre gedauert, bis ich wieder 'normal' denken konnte."

Der Krieg macht aus einem in Literatur verliebten jungen Mann einen politisch engagierten Literaten. Sascha Ilic schreibt, veröffentlicht in kleinen, unabhängigen Verlagen, diskutiert und debattiert. Nach dem Literaturstudium wird er in der Nationalbibliothek in Belgrad als Redakteur angestellt. Er heiratet. Wenn er von seiner fünfjährigen Tochter spricht, wird sein Lächeln breit, die Augen strahlen.

Der Krieg aber lebt im Kopf weiter. Mit Verbitterung stellt er fest, dass die Fragen, auf die seine Generation Antworten sucht, nicht beantwortet werden. Für die neuen Demokraten, die Milosevic im Oktober 2000 verjagt haben, sind Faschismus, Nationalismus und Kriegsverbrechen keine Themen, über die man schreibt:

"Kürzlich habe ich untersucht und nachgerechnet, was meine Generation in den letzten zehn Jahren getan hat. Und habe begriffen, dass wir 26 Bücher veröffentlich haben! Bücher die als unnötige und unangebrachte Literatur gebrandmarkt wurden."

2006 entsteht die Streitschrift ""Beton"". Sascha und seine drei Freunde prangern in ihren Texten die Politik Serbiens an, die Belgrader Oppositionszeitung "Danas" druckt erst zweimal und inzwischen nur noch einmal monatlich die ""Beton""-Texte als Kulturbeilage des Blattes. Die literarischen und politischen Texte hinterfragen die Verantwortung der Intellektuellen in Zeiten der Kriege, decken vorhandene Verbindungen zwischen Nationalismus und Literatur auf.

"Ne dirajte mi Kosovo" – "Fass mein Kosovo nicht an" – der Song der "Beton"-Autoren konterkariert flammende Politikerreden, Kosovo betreffend. Für Sascha Ilic ist die Kosovo-Frage eine der wichtigsten in Serbien:

"Eine große, unischtbare Mauer trennt Kosovo und Serbien.Wir möchten eine Brücke bauen. In Leipzig stellen wir zwei Sammelbände vor: einmal junge Literatur aus Kosovo, in Serbisch übersetzt, und neue serbische Literatur – auf Albanisch."

Albanische und serbische Literatur werden nun gemeinsam in Leipzig auf dem Stand von "Traduki" vorgestellt. Das Netzwerk, das Übersetzungen unbekannter europäischer Literaturen ins Deutsche fördert, veröffentlicht während der Messe auch die Streitschrift "Beton" Nummer eins auf Deutsch. Und: Zum zweiten Mal kommen Sascha Ilic sowie drei "Beton"-Autoren, dank Traduki, nach Leipzig. Denn, das serbische Kultusministerium hat für aufmüpfige Literaten auf ihrem Stand keinen Platz frei.

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