Streit um Internet und Urheberrecht: "Politik kommt zu spät"

Lars Klingbeil im Gespräch mit Susanne Führer · 15.05.2012
Vor dem Hintergrund der eskalierenden Urheberrechtsdebatte im Internet hat der netzpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Lars Klingbeil, den Politikern vorgeworfen, sie seien seit drei Jahren in der Urheberrechtsfrage untätig. "Da sind wir unserer Verantwortung nicht nachgekommen", sagte Klingbeil.
Susanne Führer: Wer hätte gedacht, dass das alte und trockene Urheberrecht einmal solche Emotionen entfachen wird. Rund 6000 Schriftsteller, Künstler, Fotografen, Wissenschaftler sollen inzwischen den Appell "Wir sind die Urheber" unterzeichnet haben. Ein Appell, der dazu aufruft, das Urheberrecht zu stärken und zu bewahren. Dann kam der Gegenschlag. Unbekannte unter dem Decknamen Anonymous stellten persönliche Daten von rund 50 Appellunterzeichnern ins Netz, also die Adresse, Telefonnummer, Fax, E-Mail, manchmal auch den Familienstand. Unter der Überschrift "Fuck your copyright blah blah blah". Und nun haben fast 5000 eine Art Gegenaufruf unterschrieben, "Wir sind die Bürger", der für eine Reform des Urheberrechts eintritt. Lars Klingbeil ist der netzpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und nun am Telefon. Guten Morgen, Herr Klingbeil!

Lars Klingbeil: Schönen guten Morgen!

Führer: Wie erklären Sie sich die Emotionen, die jetzt bei der Debatte ums Urheberrecht hochkochen?

Klingbeil: Ja, es ist in der Tat spannend zu sehen, dass das Urheberrecht gerade zu einem der zentralen Konflikte der digitalen Gesellschaft wird. Das ist auch gut, dass viele sich in die Diskussion einbringen, und ich analysiere es für mich so, dass wir natürlich heute eine massive Unsicherheit haben auch durch das Internet, was Urheberrechtsfragen angeht. Wir haben Rechtsunsicherheit bei den Nutzern und auch gerade durch die Wahlerfolge der Piraten haben wir natürlich gerade auch bei den Künstlerinnen und Künstlern eine große Unsicherheit, wie es weitergeht. Insofern ist es gut, dass alle sich einmischen. Ich würde mir nur wünschen, dass wir jetzt eine ehrliche Debatte anfangen und das Ganze miteinander diskutieren und nicht gegeneinander.

Führer: Gut. Aber erstaunlich ist es ja doch, dass ausgerechnet das Urheberrecht also so, ich meine die Aktion von Anonymous ist ja ohne Zweifel indiskutabel, aber auch ansonsten ist der Ton in dieser Debatte ja nicht gerade freundlich, ja, da steht die Contentmafia gegen die gewissenlosen Raubkopierer und so weiter - das wirkt doch etwas überzogen. Es gibt doch wichtigere Themen.

Klingbeil: Na ja. Es ist schon wahr, dass viele Sachen gerade überzogen sind und dass man die auch anders diskutieren muss, aber erst mal, normal ist es gut, wenn alle sich einbringen, auch wenn ich Ihnen recht gebe, dass es sich nicht gehört, da irgendwelche Adressen zu veröffentlichen. Vor ein paar Jahrzehnten konnte man überhaupt keine Urheberrechtsverletzungen begehen. Da gab es die Schallplatte, die konnte man nicht kopieren. Heute bietet das Netz viele Möglichkeiten, auch Musik, Literatur zu vervielfältigen und vor allem erleben wir, dass die Politik seit drei Jahren untätig ist in dieser Urheberrechtsfrage. Da sind wir unserer Verantwortung nicht nachgekommen.

Führer: Herr Klingbeil, Sie sitzen ja in der Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft. Nun ist das Internet nicht neu, das Urheberrechtsproblem auch nicht - warum kommt die Politik nicht aus den Puschen?

Klingbeil: Na, es ist eine komplexe Frage. Ich hab das innerhalb der SPD-Fraktion gemerkt. Wir diskutieren seit einem Jahr innerhalb des Kreativpaktes auch mit Kreativen über die Frage, wie geht es mit dem Urheberrecht weiter. Da stellen sich viele komplizierte Fragen, aber die SPD wird jetzt in der kommenden Woche auch Vorschläge zur Reform des Urheberrechts machen und wird aber dann auch zum Dialog einladen. Und weil wir auch für uns erkannt haben, und das ist eine ganz wichtige Botschaft, dass sich bei diesem Konflikt nicht eine Seite durchsetzen kann. Wir müssen das Urheberrecht in einem gesellschaftlichen Konsens weiterentwickeln. Und deswegen wünsche ich mir auch, dass jetzt eine gewisse Abrüstung stattfindet und dass eine ehrliche Debatte miteinander anfängt.

Führer: Also Sie laden zum Dialog, die Piratenpartei hatte ja schon einen runden Tisch vorgeschlagen. Ich hab so ein bisschen den Eindruck, dass jetzt aufgrund der Wahlerfolge der Piratenpartei plötzlich die anderen Parteien merken, ach, vielleicht sollten wir da doch mal was unternehmen.

Klingbeil: Wir haben die Diskussion, wie gesagt, schon vor einem Jahr angefangen mit Kreativen, die fest bei uns auch in die Arbeitsstrukturen der Fraktion eingebunden waren.

Führer: Also, entschuldigen Sie, Herr Klingbeil, schon vor einem Jahr klingt etwas lächerlich.

Klingbeil: Na ja, es gibt seit zwei Jahren jetzt die neue Legislaturperiode, ich bin jetzt selbst seit zwei Jahren dabei, und dann dauert es natürlich auch, bis solche Debatten dann losgehen. Aber Sie haben recht, Politik kommt zu spät.

Führer: Ist es eigentlich ein Thema, bei dem die klassischen Parteigrenzen eingehalten werden? Oder geht das querbeet? Ist vielleicht das auch das Problem, dass die Parteien selbst gar nicht so richtig wissen, sind wir jetzt dafür oder dagegen, worum geht es eigentlich?

Klingbeil: Es gibt schon auch innerhalb der Fraktionen natürlich große Debatten. Es gibt eine junge Generation von Netzpolitikern, die natürlich auch auf das ganze Abmahnwesen hinweist, die auch auf neue Nutzungspraktiken hinweist, die dann auch mit dem groß geworden ist, und da braucht es, glaube ich, auch innerhalb der Fraktion, bis sich da so ein bisschen der Ausgleich auch der Interessen gefunden hat.

Führer: Ja, aber wie verlaufen denn die verschiedenen Ansichten? Anhand der Parteigrenzen? Also hat die CDU eine andere Position als die SPD, als die Grünen? Oder geht das da querbeet?

Klingbeil: Na ja. Also ich merke schon, dass natürlich gerade die Union sehr stark auch die Fragen der Rechtsdurchsetzung betont. Also da gibt es ja immer wieder Vorstöße auch für Warnhinweismodelle. Es gibt Vorstöße für dieses sogenannte Three-Strikes-Out, dass man sagt, wer beim illegalen Download erwischt wird, dem wird das Internet gesperrt. Also solche Vorschläge sind mit der SPD nicht zu machen.

Führer: Also es gibt schon parteipolitische Unterschiede?

Klingbeil: Da gibt es parteipolitische Unterschiede, ja.

Führer: Sagt Klaus Klingbeil, der netzpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion im Deutschlandradio Kultur. Jetzt kommen wir mal zum eigentlichen Problem. Sie haben ja schon ein paar Vorschläge gerade genannt, Herr Klingbeil, dass die Urheber nicht um den Lohn für ihre Leistung gebracht werden wollen, ist verständlich. Aber man fragt sich ja auch ein bisschen: Ist die Bedrohung durch das Internet und die Raubkopierer wirklich so groß? Also es gibt ja weiterhin eine Musikindustrie, die Verlage existieren auch noch, Fahrräder werden auch täglich gestohlen und trotzdem läuft der Fahrradverkehr weiter.

Klingbeil: Ja. Genau das ist der Punkt, wo ich sage, wir müssen auch ein Stück weit zu einer Entschärfung der Diskussion kommen. Wir sehen auf der einen Seite, dass immer mehr Menschen für digitalen Content auch bezahlen, da wachsen die Zahlen. Die Musikindustrie hat auch vermeldet, dass es mit den Umsätzen wieder nach oben geht. Also ich denke nicht, dass durch das Internet Künstler ernsthaft bedroht sind. Aber es gibt natürlich Praktiken, über die man sich unterhalten muss, es gibt Debatten über Filesharing, ob das legalisiert werden soll. Und da befürchten Künstlerinnen und Künstler, glaube ich schon, dass nicht genügend Wertschätzung für ihre Arbeit stattfindet.

Führer: Ja, aber Sie beschreiben immer weiterhin den Ist-Stand. Also ich vermisse einen Vorschlag. Volker Kauder zum Beispiel, also Ihr Kollege von der CDU-Bundestagsfraktion, sagt, man soll sich vielleicht überlegen, ob man Privatkopien von kopiergeschützten Medien legalisieren darf.

Klingbeil: Die Privatkopie, das haben wir auch in der Enquete diskutiert, die muss es auch im digitalen Zeitalter geben. Das kann aber nicht bedeuten, dass ich die Privatkopie für alle zugänglich mache. Also im sogenannten Filesharing. Da habe ich selbst Probleme mit, da muss der Content schon bezahlt werden. Was ich glaube, was ganz wichtig ist, ist dass wir politische Rahmenbedingungen schaffen, um sogenannte Streaming-Dienste wie "Spotify", die ja jetzt in Deutschland funktionieren, die sich anscheinend auch durchsetzen, dass man solchen Geschäftsmodellen keine Steine in den Weg legt, und dann wird sich das auch aufs digitale Zeitalter auswirken.

Führer: Dieser Gegenappell zu dem Appell "Wir sind die Urheber", also "Wir sind die Bürger", dort heißt es, wir möchten nicht, dass zur Durchsetzung des Urheberrechts zu unverhältnismäßigen Mitteln gegriffen wird. Also die wenden sich gegen Netzsperren, gegen anlasslose Überwachung und Datenspeicherung im Netz. Können Sie sich damit anfreunden?

Klingbeil: Das unterstütze ich sehr. Und ich gehe, ehrlich gesagt, auch davon aus, wenn man mit den Kreativen diskutiert, dass die kein Interesse daran haben, dass diejenigen, die sie unterstützen, dass ihre Fans, dass die flächendeckend überwacht werden, dass es da auch zu Netzsperren kommt. Das, worauf wir den Fokus legen wollen, sind die illegalen Plattformen. Es hat jetzt erste Erfolge gegeben gegen "Kino.to", gegen "Megaupload", die ja auch gesperrt werden können, und da sagen wir, muss es eine bessere internationale Kooperation geben. Wir haben das auch an anderen Debatten, zum Beispiel über Kinderpornografie gesehen im Netz. Wenn die Behörden international anfangen, da besser zu kooperieren, wenn man da auch die Strafermittlungsbehörden besser ausstattet, dann kommt es da zu Erfolgen. Und der zweite Bereich, wo wir noch mal ran wollen, ist die Frage Hostprovider, also diejenigen, die wirklich solche Inhalte anbieten, dass man die stärker in die Verantwortung nimmt und nicht sagt, ihr dürft, ihr habt damit nichts zu tun. Wenn ihr Inhalte anbietet, dann müsst ihr auch Verantwortung übernehmen und da geradestehen.

Führer: Aber ist das nicht ein bisschen ein Wettkampf von Hase und Igel? Inzwischen gibt es ja "Kinox.to".

Klingbeil: Genau deswegen muss man sich ja anschauen, wie man in der internationalen Strafverfolgung da auch vorankommt, aber wenn man diese Verfahren verbessert, wird man den Fokus gegen diese illegalen Plattformen richten können. Und das ist mir allemal lieber und das ist auch wichtiger, als dass wir den 16-jährigen verfolgen, der irgendwo mal ein paar Songs illegal herunterlädt und dann mit Abmahnungen über tausend Euro bestraft wird.

Führer: Aber noch mal zurück zu der Frage. Wie wollen Sie dann das Urheberrecht der einzelnen Künstler schützen? Sie wollen sich vor allen Dingen auf die Plattformen konzentrieren. Und der Download von einzelnen Titeln oder auch Büchern, das interessiert Sie dann nicht so sehr?

Klingbeil: Es gibt ja heute schon für diesen Bereich eine funktionierende Abmahnindustrie. Also allein im Jahr 2011 sind, ich glaube, knapp 190 Millionen Euro über Abmahnungen reingekommen, die übrigens kaum dann zu den Künstlern kommen, sondern in irgendwelchen Rechtsanwaltskanzleien bleiben.

Führer: Na, die haben ja auch die Arbeit mit den Abmahnungen.

Klingbeil: Da sieht man ja aber, dass es heute schon Möglichkeiten auch der Strafverfolgung gibt beim illegalen Download. Aber der Hauptfokus muss meines Erachtens auf den illegalen Plattformen liegen. Da brauchen wir eine bessere internationale Zusammenarbeit. Aber dann wird es noch andere Vorschläge der SPD geben, zum Beispiel die Stärkung des Urhebervertragsrechts...

Führer: Das ist ja nun wieder was anderes. Noch mal zurück zu den Abmahnungen, Herr Klingbeil. Denkt Ihre Partei eigentlich vielleicht, etwas dagegen zu unternehmen? Denn das steht ja in keinem Verhältnis.

Klingbeil: Genau. Und deswegen wird es dann - in der Enquete gab es ja schon die Forderung, es gibt ja auch einen schwarz-gelben Gesetzentwurf, der leider momentan gestoppt ist, der sagt, wir müssen die Abmahnungen deckeln, die dürfen nicht bei 1400, 1500 Euro liegen, die müssen verhältnismäßig sein. Ich glaube, der Vorschlag der Verbraucherschutzministerin und der Justizministerin liegt irgendwo um die 90 Euro. Das würden wir unterstützen, das ist leider durch die CDU gestoppt worden gerade.

Führer: Jetzt wird ja wieder die Kulturflatrate in die Debatte gebracht. Also jeder PC-Nutzer, Eigentümer zahlt sozusagen eine pauschale Gebühr, von der die Künstler dann bezahlt werden sollen. Da fragt man sich ja, wie hoch muss die dann sein, damit die Künstler davon leben können?

Klingbeil: Ja, es gibt Zahlen der Musikindustrie, die sagen, dass der durchschnittliche Nutzer im Jahr 56 Euro für Musik ausgibt. Wenn man das umrechnet, dann wäre man bei einem Modell der Kulturflatrate, allerdings haben wir ein Problem mit einer Kulturflat, mit einer allgemeinen, weil da muss auch ein riesiger Apparat aufgebaut werden. Es stellen sich Verteilungsfragen. Deswegen ist unser Ansatz, eher zu sagen, lasst uns Modelle wie "Spotify", andere Geschäftsmodelle, die auf Lizenzierung beruhen, lasst uns die eher ermöglichen, und dann kann der Nutzer selbst entscheiden, ob er in eine solche Flatrate einsteigt.

Führer: Sagt Klaus Klingbeil, der netzpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Danke fürs Gespräche, Herr Klingbeil.

Klingbeil: Sehr gerne!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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