Streit um Gothas Schätze

Von Blanka Weber · 25.07.2011
Das Schloss Friedenstein in Gotha ist ein barockes Ensemble mit einem historischen Theater und einer der wichtigsten Bibliotheken der frühen Neuzeit. Allerdings ziehen verschiedene Interessenten an dem Schatz: Die einen wollen forschen, die anderen wollen die alten Bücher in geputzte Vitrinen stellen.
"Jetzt gehen wir in den Magazinbereich, wo die historischen Bestände aufbewahrt werden. Zu dem Bereich haben unsere Leserinnen und Leser keinen Zutritt, aber sie können jedes einzelne Buch, was sie online finden, bestellen, wir holen das dann innerhalb einer Stunde 'raus, damit sie es im Lesesaal benutzen können."

Die Bibliothekarin blickt auf die mehr als vier Meter hohen Bücherregale. Bis zur Decke ist der Raum gefüllt mit Literatur der frühen Neuzeit. Eine Lebensaufgabe, sagt Katrin Paasch, für all jene, die diese Bestände erschließen wollen:

"Das sind Bücher, die gedruckt worden sind im 16., 17., 18. Jahrhundert und die im Ostturm des Schlosses Friedenstein schon nahezu ununterbrochen seit 1800 aufgestellt worden sind."

Zwei Drittel des Bestandes sind bereits erfasst und können von Wissenschaftlern genutzt werden:

"Wir sind jetzt gerade dabei, das 18.Jahrhundert zu katalogisieren und natürlich diesen riesigen Bestand von Zehntausenden Handschriften, wo tatsächlich aber Millionen Dokumente drin enthalten sind, auch noch online zu erschließen."

Hin und wieder finden sich wahre Raritäten, wie kürzlich ein Brief von Adam Neuser mit religionsgeschichtlicher Abhandlung.

Es ist die viertgrößte bundesdeutsche Bibliothek der frühen Neuzeit - mit einem Makel: Man kennt sie kaum. Vor mehr als zehn Jahren kam sie in Obhut der Universität Erfurt, damals noch unter der Leitung von Peter Glotz. Die Pläne waren vielversprechend. Denn bis dato waren die Bestände mehr verstaubt als erforscht. Jahrzehntelang war dies nicht geschehen. Es sollte sich ändern. Zumal auch Paul Raabe, der ehemaliger Direktor der Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel im Blaubuch für kulturelle Leuchttürme dem Gothaer Bücherschatz einen hohen Wert bescheinigte, einen, der mehr ins Rampenlicht gehört - was bis heute nicht geschehen ist. Wenn nach Oberbürgermeister Knut Kreuch geht, muss sich dringend etwas ändern.

"Der Schatz Gothas ist dieses Barocke Universum, bestehend aus allen Teilen des Friedenstein. Und nur wenn wir diese Teile zusammengefügt lassen als ein Ganzes, dann werden wir den großen Auftritt auch schaffen. Friedenstein ist die große Dachmarke. So hat es Paul Raabe geschrieben. Er hat gesagt: Thüringen hat zwei große Dachmarken - Weimar und den Friedenstein zu Gotha."

Was die Anna-Amalia-Bibliothek für Weimar ist - könnten Herzog Ernsts Bücherschätze für Gotha werden. Immerhin: Was nach "großem Ganzen" klingt ist ein Tauziehen der Interessenten. Museumsmacher der Stiftung Schloss Friedenstein würden den Bücherschatz gerne übernehmen, doch die Universität Erfurt will ihn nicht aus den Händen geben.

Die Bibliothek ist kein Leichtgewicht, sagt Martin Mulsow, Professor der Universität Erfurt, der in Gotha forscht. Kritik derer, die die Bücher ausstellen und vermarkten wollen, weist er zurück:

"Das ist legitim, vom Tourismus her zu denken oder von politischen Perioden her zu denken. Wir brauchen natürlich als Forscher einen langen Atem. Ich bin jetzt seit drei Jahren dabei, das Renommee von Gotha aufzubauen. Es muss unter den anderen Frühneuzeit-Instituten in Deutschland, aber auch in anderen Ländern bekannt werden, dass diese Schätze hier sind. Als ich von Amerika hierher berufen wurde, wurde gefragt - Aha, du gehst nach Gotha. Wo ist das denn? Also, völlig unbekannt dieser Ort."

Ein Ort, in dem Forscher ein Lebenswerk zu vollbringen hätten, wenn sie alles schaffen möchten. Ein Ort, dessen Bücherregale sich vor Schätzen biegen und der eine Dachmarke aufbauen will - doch damit nicht zum Zuge kommt.

"Also es wäre das falsche Bild, dass wir solche Elfenbeinleute sind, die da im Häuschen sitzen und sich nur über die Handschriften beugen. Wir gehen alle auch sehr viel nach außen und haben die Kontakte nach außen."

Jährlich forschen etwa 20 junge internationale Stipendiaten in der Bibliothek. Ein Anfang ist gemacht, bei einem unendlichen Pensum, sagt Martin Mulsow:

"Viel größere Aufgabe sind die Handschriften. Das wird möglicherweise Jahrzehnte dauern, sozusagen in der Wissenschaft ein fast unabgeschlossener Prozess, weil immer nach älteren Katalogisierungsmustern neue Interessen da sind, das ist ein Alltagsprozess. Das ist auch nichts Schlimmes, das es so lange dauern wird, das ist eine sehr, sehr gründliche Sache."

Sollten Forschungsstellen der Universität und großzügige Stipendien einer privaten Stiftung wegfallen, so käme diese gründliche Sache gehörig ins Wanken - doch so genau möchte das niemand formulieren. Die Forscher sind optimistisch und fest entschlossen, das barocke Universum erstmal auf wissenschaftliche Füße zu stellen.

1.400 Briefe von und an Martin Luther gehören zu den Beständen, eine bedeutende historische Koran-Sammlung und hunderte historische Weltkarten der Sammlung Perthes - um nur einiges zu nennen. Auch der spätere Prinz Albert von Großbritannien, Spross des Hauses Gotha, revanchierte sich Zeit seines Lebens mit britischen Bücherkisten, die er nach Thüringen bringen ließ. All das ist spannende Geschichte und Basis einer Dachmarke - an der momentan vorbei gedacht wird.

Glücklich scheint niemand zu sein mit dem jetzigen Universum hoch über dem Friedenstein zu Gotha, dass sein barockes Erbe der Welt präsentieren, doch erst den Staub aus den Regalen kehren will.