Streik der angestellten Lehrer

Lohn nach Leistung?

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Immer wieder streiken Pädagogen für eine Gleichbehandlung von angestellten und verbeamteten Kollegen. © Wolfgang Kumm/dpa
Der Lehrer Arne Ulbricht im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 03.03.2015
Nach den dürftigen Lohnsteigerungen der vergangenen Jahre findet der Lehrer Arne Ulbricht den heutigen Streik seiner angestellten Kollegen zwar richtig. Doch wenn es nach ihm ginge, würden Lehrer längst ganz anders bezahlt: nach Leistung. Streiks wären überflüssig.
Der Lehrer Arne Ulbricht hält nichts vom jetzigen System, das für angestellte und verbeamtete Lehrer unterschiedliche Bezahlung vorsieht. Ulbricht, auf eigenen Wunsch nicht verbeamtet, unterrichtet in Wuppertal Französisch und Geschichte - in Teilzeit.
Die Verbeamtung von Lehrern würde er am liebsten abschaffen. Stattdessen schlägt er dieses Modell vor: ein Grundgehalt und Boni für besondere Leistungen. Danach würden etwa Lehrer, die fachlich anspruchsvolle und korrekturintensive Leistungskurse führen, extra bezahlt. Jede Schule erhielte ihr eigenes Budget.
Bessere Arbeitsbedingungen für Lehrer
Doch um Bezahlung allein geht es Ulbricht nicht. Bessere Arbeitsbedingungen für Lehrer seien ebenso ausschlaggebend: In kleineren Klassen wäre dann mehr Zeit für einzelne Schüler. Auch die vielen Noten "für allen möglichen Kram" findet Ulbricht überflüssig:
"Es wäre gut, wenn wir weniger Klassenarbeiten oder Klausuren schreiben lassen müssten, denn dieses ganze Notenvergabesystem führt auch dazu, dass die Schüler (...) viel notenfixierter werden - und das tut der Bildung nie gut."

Das vollständige Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Von heute an wird gestreikt: Es geht um bessere Bezahlung und Altersversorgung auch bei den Lehrern. Das mit der Bezahlung ist ja höchst verschieden, je nachdem, ob ein Lehrer Beamter ist oder angestellt, ob er in Bayern oder Sachsen-Anhalt unterrichtet. Was dabei weniger zählt oder gar nicht, ist, ob er korrekturintensive Fächer hat oder nicht, ob er viele Nebenaufgaben erfüllen muss oder nicht. Lehrer ist auch mein Gesprächspartner Arne Ulbricht, aber einer, der genau nicht Beamter sein wollte. Er ist Lehrer für Französisch und Geschichte, und die Übernahme ins Beamtenverhältnis, die hat er abgelehnt, arbeitet lieber in Teilzeit und schreibt, wie ich las, inspiriert von der Lektüre des Zolas-Romans „Germinal", Bücher. 2013 erschien „Lehrer – Traumberuf oder Horrorjob?", und jetzt „Schule ohne Lehrer", und darin geht es um die zunehmende Digitalisierung und die Idee, doch wieder den Lehrer statt die Technik vor die Klasse zu stellen. Arne Ulbricht arbeitet und lebt in Wuppertal und da ist er jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen! Arne Ulbricht: Schönen guten Morgen! von Billerbeck: Herr Ulbricht, streiken die Lehrer zu Recht? Ulbricht: Ja, also ich finde schon, also die angestellten Lehrer – und die anderen dürfen ja gar nicht, die Beamten –, weil die Gehälter doch so derartig dürftig immer steigen. Ich glaube, in den letzten Jahren haben wir dann 2 oder 2,5 Prozent Lohnerhöhung bekommen, das merkt man ja nicht mal. Insofern finde ich auch, dass die Lehrer darauf aufmerksam machen könnten, dass viele von ihnen oder eigentlich fast alle, gute Arbeit machen, sehr wichtige Arbeit machen, und da kann man auch mal sagen, dass man 5,5 Prozent Lohnerhöhung haben möchte – und ich finde das im Vergleich zu anderen Gewerkschaften, was die manchmal fordern, auch absolut ok. von Billerbeck: Wie wichtig ist für Lehrer denn die Bezahlung? Wenn man viel Geld verdienen will, wird man nicht Lehrer Ulbricht: Das ist eine gute Frage. Ich meine, ich bin ja, wie Sie auch schon angedeutet haben, für ein ganz anderes Bezahlmodell: Sie haben ja schon darauf hingewiesen, dass es extrem korrekturintensive Fächer gibt und Fächer, in denen man vielleicht auch phasenweise nicht so viel zu tun hat oder sich zumindest nicht überarbeiten muss. Und ich glaube, für Lehrer ist die Bezahlung ... Also wenn man wirklich einen Beruf haben will, in dem man sehr gut bezahlt wird, dann wird man nicht Lehrer, dann versucht man, als Akademiker irgendwo in der Wirtschaft unterzukommen. Insofern glaube ich, dass die Bezahlung für Lehrer jetzt nicht der Grund ist, um Lehrer zu werden, aber natürlich will man trotzdem auch hin und wieder ... von Billerbeck: ... ein bisschen Geld haben. Ulbricht: ... ein bisschen Geld haben, man will auch hin und wieder das Gefühl haben, dass die eigene Leistung besonders gewürdigt wird. Und das wird sie nicht, wenn man Nullrunden bekommt oder Gehaltserhöhungen von 2 Prozent. von Billerbeck: Wie lässt sich denn nun diese ungleiche Bezahlung, Sie haben das ja schon erwähnt, von beamteten und angestellten Lehrern ausgleichen, genauso wie die Unterschiede zwischen dem einen und dem anderen Bundesland? Ulbricht: Das ist wirklich extrem problematisch, weil eigentlich müsste man die Angestellten-Gehälter massiv erhöhen, also die Bruttogehälter, damit sie am Ende auf dasselbe Nettogehalt kämen. Das ist fast unmöglich, weil die Beamtengehälter ja dann meistens angeglichen werden. Ich plädiere ja dafür, dass man einfach sagt: Okay, Lehrer müssen eigentlich nicht verbeamtet sein, man schafft die Verbeamtung komplett ab und die nachfolgenden Generationen werden dann mehr in einem System bezahlt, in dem es auch wirklich konkret darum geht, an welchen Schulen sie arbeiten, an welchen Schulen gerade ihre Fächer besonders dazu führen, dass man besonders viel Arbeit hat – und dann führt man so ein Leistungsmodell ein. Dann wäre unser Ruf auch gleich viel besser. Wir gelten ja immer noch leider im Volksmund oft als faul, und ich glaube, die Verbeamtung ist daran auch schuld, weil es ja heißt, ach, wir müssen ja auch nichts tun, wir sind ja verbeamtet. Ich glaube, wir täten uns und dem ganzen System einen Riesengefallen, wenn man einfach sagt: Lehrer werden nicht mehr verbeamtet, Lehrer werden eher nach Leistung bezahlt. Ja, ich glaube, dann wären einige Lehrer auch viel motivierter und ich hätte kein schlechtes Gewissen für mein Gehalt: Meine Fächer sind jetzt an der Schule, an der ich gerade bin, nicht besonders arbeitsintensiv und ich verdiene aber genauso viel wie diejenigen, die sich dumm und dämlich korrigieren. Ich finde, da gäbe es viele Möglichkeiten, das gerechter zu machen. Ein Grundgehalt und Boni für besondere Aufgaben von Billerbeck: Ich habe in einem „SZ"-Artikel von Ihnen gelesen, dass Sie da ein richtiges Modell schon sich erdacht haben, nämlich ein Grundgehalt, das relativ niedrig sein soll, plus Boni, wahrscheinlich für die, die sich dumm und dämlich korrigieren. Was wäre gut an so einem Modell? Ulbricht: Also erst mal – relativ niedrig: Also fair muss natürlich ein Lehrer, der auch studiert hat, trotzdem bezahlt werden. Aber Sie haben recht: ein Grundgehalt, das okay ist, und dann kann man Boni für verschiedene Sachen einführen. Das ist natürlich kompliziert, aber warum nicht ein kompliziertes System für mehr Gerechtigkeit einführen? Zum Beispiel, ich habe Kollegen, die gehen zwei, drei Mal pro Jahr auf Klassenfahrt. Da arbeitet man eigentlich durchgehend, weil man ja die Aufsichtspflicht auch durchgehend hat. Ich habe dazu erstens gar nicht unbedingt Lust, und zweitens auch gar keine Zeit, weil ich ja, wie Sie gesagt haben, auch Bücher schreibe und mir das auch sehr wichtig ist. Dann: Wer Leistungskurse übernimmt, der hat doch auch einen ganz extrem hohes Korrekturaufkommen, und Leistungskurslehrer müssen fachlich unglaublich gut sein. Ich selbst könnte es inzwischen, glaube ich, gar nicht mehr, Leistungskurse übernehmen, weil ich irgendwie fachlich das vielleicht gar nicht mehr hinkriegen würde, weil ich in den letzten Jahren nicht so gefordert war fachlich. Und dann kann man für ganz viele verschiedene Dinge an der Schule einfach Boni einführen, und das würde aber bedeuten, dass eine Schule eigentlich ... also dass man entweder von Staats wegen sagt, da und für bestimmte Leistungen gibt es die und die Sonderzahlung, oder dass man einfach sagt – das fände ich viel besser: Eine Schule bekommt ein Budget, das soll ruhig hoch sein, weil Bildung einfach sehr wichtig ist, und dann entscheidet die Schule selbst, wie sie die einzelnen Lehrer bei sich bezahlt. Und wenn sie sagt, alle werden gleich bezahlt bei uns, dann sollte man aber zum Beispiel Deutschlehrer weniger Stunden unterrichten lassen, weil Deutschlehrer immer unglaublich viel zu korrigieren haben, egal, an welcher Schulform sie sind. Und an der Schule, an der ich gerade arbeite, müssen dann halt die Sportlehrer wirklich mehr Geld bekommen als jemand wie ich, der ein vergleichsweise angenehmes Lehrerleben hat. Und ich glaube, das ist möglich, aber nicht, wenn wir in diesem System bleiben, in dem wir jetzt sind, die Beamten und die Angestellten, und die Gewerkschaften möchten ja auch, dass alle flächendeckend gleich bezahlt werden. Dann kann man so ein System natürlich nicht einführen. Lehrer müssen für allen möglichen Kram Noten geben von Billerbeck: Also da haben wir jetzt das Modell mal eben serviert bekommen von Arne Ulbricht. Frage zum Schluss: Es geht ja immer nur ums Geld beim Streik. Aber es gibt doch sicher noch andere Gründe, andere Bedingungen, Arbeitsbedingungen, die Lehrer brauchen an der Schule? Ulbricht: Ja, unbedingt. Ich finde, wir werden ja auch insgesamt gar nicht so schlecht bezahlt. Ja gut, das Thema hatten wir ja eigentlich jetzt auch schon. Was mir ganz wichtig wäre, fände ich, dass man Klassenteile ändert, dass man zum Beispiel sagt: Schulklassen haben 20, 22 Schüler, mehr nicht, weil dann hat man auch entsprechend weniger zu korrigieren und man kann sich viel mehr um den einzelnen Schüler kümmern, als wenn man 32 Schüler hat. von Billerbeck: Dann braucht man natürlich mehr Lehrer, ist klar. Ulbricht: Dann braucht man mehr Lehrer, und ich meine, das ist ja auch nicht schlecht, oder, wenn man mehr Lehrer hat. In einigen Fächern werden die Engpässe dann noch größer, das ist natürlich ein Problem, in naturwissenschaftlichen Fächern. Aber dann hätte man mehr Lehrer, aber auch viel mehr Zeit, um sich um einzelne Schüler zu kümmern. Ich glaube, das wäre etwas, aber würde, wie Sie schon gesagt haben, sehr viel Geld kosten. Und was ich nicht verstehe, ist: Also Lehrer müssen so oft inzwischen Noten geben, für allen möglichen Kram müssen wir Noten geben und wir müssen mit den Schülern ganz viele Notengespräche führen, das macht jeder Lehrer einzeln, und ich denke einfach, es wäre gut, wenn wir weniger Klassenarbeiten oder Klausuren schreiben lassen müssten. Denn dieses ganze Notenvergabesystem führt ja auch dazu, dass die Schüler quasi für alles benotet werden, inzwischen viel notenfixierter werden, und das tut der Bildung nie gut, wenn Schüler nur für Noten lernen. Und wir hätten tatsächlich ein bisschen weniger Arbeit und könnten uns viel mehr um die Inhalte kümmern. von Billerbeck: Arne Ulbricht war das, Buchautor und Lehrer in Wuppertal am heutigen Lehrerstreiktag. Ich danke Ihnen! Ulbricht: Alles klar, schönen Tag noch! Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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