Straßenpfarrer in Italien

Don Vinicios Traum von einer anderen Kirche

Der italienische Priester Don Vinicio Albanesi
Der italienische Priester Don Vinicio Albanesi © Imago
Von Marina Collaci · 21.06.2015
"Zu sexistisch, zölibatär und klerikal": Der italienische Priester Don Vinicio Albanesi kämpft für eine radikale Veränderung der Kirche. Er lebt mit seiner christlichen Gemeinschaft in einem Behindertendorf in den Marken - in dem die Würde des Menschen das höchste Gebot ist.
"Die Kirche ist zu sexistisch, sie ist zölibatär und klerikal. Und das verzerrt meiner Meinung nach nicht bloß das Bild der Kirche, sondern auch die von ihr gepredigten Inhalte, ja selbst ihre Theologie."
Don Vinicio Albanesi ist einer der wichtigsten Pfarrer Italiens. Er leitet die Comunità di Capodarco, eine Laienbewegung, deren Zentrum ein Behindertendorf ist, mit Quartier in einem historischen Weiler in der mittelitalienischen Region Marche. Die Comunità bietet keinen Luxus - und doch hat Albanesi eine fast luxuriöse Lösung gefunden für die Schwerbehinderten, die mit ihm zusammenleben.
Respekt und Liebe sollen bei der Pflege immer präsent sein, und die Würde der Menschen ist für alle hier oberstes Gebot. In seiner Rolle als Straßenpfarrer, als Chef einer katholischen Basisbewegung und zugleich als Lehrer für kanonisches Recht kämpft er seit Jahren an gegen die Dinge, die seiner Meinung nach in der Kirche falsch laufen.
"Die Kirche hinkt in nicht zu rechtfertigender Weise der Zeit hinterher, und dafür gibt es keinerlei theologische Begründung. Wir haben einen Gott, der niemanden diskriminiert, da ist es völlig unverständlich, dass die eine, die weibliche Hälfte der Menschheit bei uns weiterhin diskriminiert wird."
Don Vinicio arbeitet auch mit Drogenabhängigen, Gefangenen, Flüchtlingen
"Der Traum von einer anderen Kirche. Ein Kanoniker aus der Peripherie schreibt dem Papst": So heißt sein letztes Buch, das er Franziskus geschickt hat, in der Hoffnung, der reformerische Elan des argentinischen Papstes könne die Tür öffnen für eine radikale Veränderung der Kirche.
"Wir könnten doch wenigstens damit beginnen, Frauen als Diakone einzusetzen; keine Norm steht wirklich dagegen, und wir könnten auch Verheiratete als Diakone zulassen. Damit würde die Kirche endlich für die gesamte Gemeinschaft der Gläubigen geöffnet."
Don Vinicio ist unermüdlich, er arbeitet auch mit Drogenabhängigen, Gefangenen, Flüchtlingen oder illegalen Einwanderern. Er meint, ein Pfarrer soll ein Hirte sein, der streng nach den Schafen riecht, um die er sich kümmert.
"Die Kleriker, also die Bischöfe, die Priester, die Mönche haben sich das Monopol auf den Glauben verschafft, das Volk Gottes bekommt so seinerseits die bescheidene Rolle der Gläubigen zugewiesen. Doch stärker noch denn als Gläubige werden sie als Untertanen behandelt, die man führen und belehren muss. In Wahrheit müsste Kirche etwas ganz anderes sein. Wir haben ein völlig hierarchisches Schema."
Die sogenannten Straßenpfarrer Italiens wie Don Vinicio Albanese oder Don Luigi Ciotti, der mit der von ihm geschaffenen Bewegung gegen die Mafia kämpft, haben einen großen Beitrag für die Kirche geleistet: Mit ihrem Engagement sind sie ein moralisches Beispiel auch für Menschen, die nicht glauben, auch für die, die sich von der Amtskirche entfernt haben. Doch sie wurden bis jetzt nicht besonders geschätzt im Vatikan.
"Ich bin nicht so sehr auf Opposition gestoßen, sondern vor allem auf Gleichgültigkeit, denn die Ausrichtung ist entweder von der Liturgie oder vom Katechismus geprägt. In dieser Sicht haben die Amtsträger das Monopol der Wahrheit. Zuerst kommt bei ihnen der Glaube, dann die Hoffnung, und dann muss man auch noch ein bisschen Caritas zeigen, mit dem Risiko allerdings, dass die Caritas als bloßes Almosen interpretiert wird, als eigentlich überflüssig, während der Glaube viel nobler ist. Ich dagegen habe festgestellt, dass echter Glaube nur möglich ist, wenn man sich dem Leben draußen stellt."
Franziskus' Worte sind ganz nach seinem Geschmack
Der Umgang der Priester mit den Gläubigen muss sich deshalb komplett ändern, meint Don Vinicio.
"Die normalen Menschen haben eine fragmentarischen Glauben, in Versatzstücke geteilt, sie denken nicht theologisch. Umso wichtiger ist es, ihnen zuzuhören, um ihre Lebensgeschichten zu begreifen. Man kann ihnen dann ein Ideal zeigen. Aber es ist völlig klar, dass jeder Mensch auf seine Weise, nach seinen Kräften diesem Ideal zustrebt, wir können ihn auf diesem Weg nur begleiten, und wir sollten aufhören, uns übergroße Sorgen zu machen, wenn nicht alles funktioniert, wenn nicht alles den Regeln entspricht. Wer ist schon zu 100 Prozent regelkonform?"
Die Worte von Papst Franziskus über den Alzheimer der Kirche, seine harsche Kritik an Priestern, die das wirkliche Leben ausblenden und stattdessen die Gläubigen immer nur mit abstrakten Vorschriften traktieren - sie sind ganz nach dem Geschmack Don Vinicios.
"Eine Tür ist geöffnet worden, aber wir stehen erst am Anfang, wir müssen die Strukturen ändern, sonst sind es am Ende die Strukturen, die dich erst zur Anpassung zwingen und dann zum Schweigen bringen."
Schweigen aber muss Vinicio Albanesi vorerst nicht. Obwohl seine Ansichten für viele Konservative im Klerus wie Häresie klingen, wurde er vor einigen Monaten zusammen mit drei anderen Straßenpriestern von der italienischen Bischofskonferenz dazu berufen, in einer Kirchensendung des italienischen Staatsfernsehens RAI regelmäßig das Evangelium auszulegen. Der Wind, so scheint es, dreht sich unter Papst Franziskus - und die Zeiten, in denen Don Vinicio Einzelkämpfer war, sind vorbei.
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