Strafverteidiger lobt "gutes Urteil" zur Sicherungsverwahrung

Bernd Behnke im Gespräch mit Marietta Schwarz · 05.05.2011
Der Strafverteidiger Professor Bernd Behnke hat das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Sicherungsverwahrung begrüßt. Behnke, der bereits mehrere Sexualstraftäter vor Gericht verteidigt hat, sagte, damit werde "Ordnung in das gesetzliche Durcheinander aus den letzten zwölf Jahren" gebracht.
Marietta Schwarz: Die Sicherungsverwahrung gehört zu den hoch emotionalen und sehr brisanten Themen in der Justiz: Darf man einen Straftäter, der seine Haft verbüßt hat, für immer wegsperren, wie es Exkanzler Schröder einst forderte, um die Bevölkerung zu schützen? Und wenn ja, wie muss so eine Einrichtung aussehen? Das Bundesverfassungsgericht hat gestern dazu ein bahnbrechendes Urteil verkündet, das alle bislang geltenden Vorschriften hierzulande für verfassungswidrig erklärt. Innerhalb von zwei Jahren muss die Politik nun eine Neuregelung finden. Dazu Gudula Geuther:

Am Telefon bin ich jetzt verbunden mit Bernd Behnke, er ist Professor für Strafrecht und war mehrfach Pflichtverteidiger für Sexualstraftäter. Herr Behnke, guten Morgen!

Bernd Behnke: Guten Morgen!

Schwarz: Hat das Bundesverfassungsgericht ein gutes Urteil gefällt?

Behnke: Ja, eindeutig ja. Es ist ein gutes Urteil, es bringt Ordnung in das gesetzliche Durcheinander aus den letzten zwölf Jahren.

Schwarz: Ist das Urteil eine, wie die Opposition sagt, Ohrfeige für die Bundesregierung, oder war die mit ihren Reformen schon auf dem richtigen Weg?

Behnke: Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts hat das Therapieunterbringungsgesetz als einen ersten richtigen Schritt bezeichnet, und das ist das einzige Gesetz, das von der derzeitigen Bundesregierung letztendlich erlassen worden ist. Zu weiteren Gesetzen kam es leider nicht, aber die gesamten übrigen Gesetze, die letztendlich für verfassungswidrig erklärt wurden, stammen aus der Zeit davor, das heißt aus dem Jahre 98, im Wesentlichen bis 2004, sodass also eine Ohrfeige für die derzeitige Bundesregierung wohl eher unangebracht ist.

Schwarz: Betont wird ja jetzt, das, Zitat, "freiheitsorientierte und therapiegerichtete Gesamtkonzept". Was bedeutet das für die Praxis?

Behnke: Ja, das ist genau das, was Paragraf 1 des Strafvollzugsgesetzes aus dem Jahr 1976 – man muss sich das mal überlegen – gefordert hat, nämlich dass vom ersten Tag der Haft und natürlich auch vom ersten Tag der Sicherungsverwahrung an eine Therapie beginnen muss, das heißt eine Behandlung, eine zukunftsorientierte Programmatik starten muss, sodass die Leute dann, wenn sie tatsächlich die Haft verbüßt haben und gegebenenfalls auch noch einen Teil der Sicherungsverwahrung verbüßt haben, wieder eingegliedert in die Gesellschaft entlassen werden können. Genau das passierte aber in der Vergangenheit nie.

Schwarz: Da ist jetzt schon der Aufschrei zu hören, das wird kosten, aber ist es überhaupt notwendig, in jedem Bundesland eine Therapieeinrichtung anzubieten, oder könnte die möglicherweise auch an einem zentralen Standort sein?

Behnke: Ja, natürlich geht das auch an einem zentralen Standort, aber mein Ansatz ist eigentlich ein anderer. Eine Massierung von solchen Personen auf einem Fleck halte ich nicht für gut. Unter sozialpädagogischen beziehungsweise psychotherapeutischen Gesichtspunkten wäre es besser, wenn man kleinere Gruppen an verschiedenen Stellen letztendlich behandelt.

Man kann aber auch ausweichen zum Beispiel in das norwegische Modell, dass man sagt, man nimmt eine Insel. Wir haben nicht so viele Inseln, ich weiß aber eine andere geeignete Stelle, in der diese Leute dann abgeschottet leben, und zwar nicht eingesperrt in irgendwelchen Zellen und Zellentrakten, sondern in landwirtschaftlichen Betrieben und so weiter, sodass sie also das normale Leben erfahren und nicht 23 Stunden am Tag eingesperrt werden und eine Stunden Hofgang haben.

Schwarz: Jeder Straftäter hat ein Anrecht auf Therapie, aber ist jeder Straftäter therapierbar?

Behnke: Nein, das ist sicherlich richtig, nicht jeder Mensch ist therapierbar, aber der größte Teil der Menschen ist therapierbar. Und auch da hat das Bundesverfassungsgericht deutliche Worte gesagt. Das, was von vielen Fachleuten bereits früher immer wieder gefordert wurde, ist nämlich die erste Stufe, die bislang fehlte, nämlich die Stufe, dass man Menschen erst mal versucht klarzumachen, dass sie krank sind und dass sie einer Therapie bedürfen.

Erst wenn diese Stufe überwunden ist, das heißt also eine Motivationsstufe überwunden ist, erst dann kann Therapie beginnen. Allerdings, um die Frage noch mal abschließend zu beantworten, auch das wird natürlich nicht bei allen Menschen gelingen und somit auch nicht bei allen Straftätern.

Schwarz: Aber was ist dann mit den Straftätern, die nicht therapierbar sind, kommen die denn auch in eine Therapieeinrichtung?

Behnke: Straftäter, die nicht therapierbar sind, kommen entweder in die Psychiatrie oder werden nach dem neuen Therapieunterbringungsgesetz in geeigneten Einrichtungen, die allerdings noch nicht vorhanden sind, unterzubringen sein.

Schwarz: Herr Behnke, es gibt natürlich Kritiker dieses Urteils, etwa aus der Polizeigewerkschaft oder der Kinderhilfe, die sagen, Karlsruhe habe die Freiheitsrechte der Betroffenen über die Sicherheitsinteressen der Bevölkerung gestellt. Was sagen Sie dazu?

Behnke: Nein, genau nicht, auch das ist eine Kritik, die geht ins Leere. Ich war gestern direkt vor Ort im Bundesverfassungsgericht und habe die Begründung gehört und kann Ihnen sagen, dass das Bundesverfassungsgericht, hier die Verfassungsrichter Landau und auch der Vorsitzende Herr Voßkuhle, eindeutig darauf hingewiesen haben, dass eben halt die Neuregelung einen Ausgleich finden muss zwischen den Öffentlichkeitsinteressen, nämlich auf Sicherheit und den Menschenrechts- und Würdeinteressen des einzelnen Straftäters. Und das geht auch tatsächlich, indem man wie das Bundesverfassungsgericht fordert, eben halt, eine Therapie beginnt sehr, sehr früh, denn das ist die beste Prävention. Und damit wird man dann auch den Interessen auf Sicherheit der gesamten Öffentlichkeit gerecht. Und nur so geht es. Und das ist auch der preisgünstigste Weg.

Schwarz: Es gibt aber eben eine enorme Angst der Bevölkerung, dass demnächst Straftäter auf freien Fuß kommen, die rückfallgefährdet sind. Können denn psychologische Gutachten das zuverlässig ausschließen?

Behnke: Also erstens ist es so, dass die nicht morgen alle freikommen. Es gibt Übergangsfristen für die Altfälle, die sogenannten Altfälle, bis zum 31.12.2011 und für alle übrigen bis zum 31.05.2013. Das heißt, die Politik ist nun endlich gefordert, da entsprechend tätig zu werden und die Menschen zu behandeln und gegebenenfalls Schleusen in die Öffentlichkeit einzurichten – ich nenne das Schleusen –, dass man Stück für Stück immer weiter in die Öffentlichkeit eingegliedert wird.

Insoweit wird die Politik also nachhaltig tätig werden müssen, und zwar schnellstens. Und das – das ist meine Kritik – nach einer langen Zeit, in der man wusste, dass solche Probleme eben halt auf die Politik zukommen. Man hat bislang immer nur alles zugepflastert, und zwar weil die Polizei kritisiert hat, dann hat der Boulevard kritisiert, dann war und, und, und, und. Ich möchte keine Medienschelte machen, aber manchmal geht es relativ schnell mit diesen Kritiken. Man muss die Leute doch mal in Ruhe arbeiten lassen. Und das wird jetzt in der Zukunft geschehen, denke ich.

Und die entsprechenden Stellen sind aufgerufen, insbesondere die Justiz ist aufgerufen, nun endlich die Strafvollzugsvoraussetzungen zu ändern und menschenwürdiger zu gestalten, auch im Hinblick darauf, menschenwürdiger zu gestalten, dass die Menschen später wieder ein straffreies Leben führen können.

Schwarz: Der Strafrechtler Bernd Behnke zum Bundesverfassungsgerichtsurteil über die Sicherungsverwahrung. Herr Behnke, danke für das Gespräch!

Behnke: Herzlichen Dank auch und guten Morgen!