Straftaten von Polizisten

Kollegen hängen in der "Mittäterfalle"

Bundespolizeiinspektion in Hannover
Die Bundespolizeiinspektion in Hannover © picture alliance / dpa / Julian Stratenschulte
Rafael Behr im Gespräch mit Liane von Billerbeck und Hans-Joachim Wiese · 19.05.2015
Ein Polizist verstößt gegen geltendes Recht. Was können Kollegen dagegen tun? Sie müssen umgehend Anzeige erstatten, sagt der Kriminologe Rafael Behr, sonst können sie selbst strafrechtlich belangt werden. Er hält das für "tragisch" - und fordert eine Ombudsstelle.
Der Vorsitzende der Polizeigewerkschaft Rainer Wendt sorgt sich um das Ansehen der Bundespolizei. In Hannover soll ein 39-jähriger Bundespolizist in der Wache am Hauptbahnhof in mindestens zwei Fällen inhaftierte Männer aus Afghanistan und Marokko gedemütigt und geschlagen und sich damit auch noch in SMS an Kollegen gebrüstet haben.
Rafael Behr ist Professor für Kriminologie und Soziologie an der Akademie der Polizei. Er führt die Vorfälle in Hannover auf "eine völlig entgleiste Gruppenkultur" beziehungsweise "Dienststellenkultur" zurück. Er glaube nicht, dass die Situation in der Dienststelle in Hannover auf die gesamte Polizei übertragen werden könne, sagte er im Deutschlandradio Kultur.
Er vermute zudem, dass die Anzeigen aus dem Kreis der Kollegen kamen – "und zwar von den Kollegen, die es nicht mehr ausgehalten haben unter diesem Menschen (…) Dienst zu machen", so Behr. Gerade jüngere und gut ausgebildete Beamte seien heute nicht mehr bereit, Zustände, die sie in einer Dienststelle vorfinden, ohne weiteres zu dulden. Und Behr betont: "Insofern muss immer wieder darauf hingewiesen werden, dass das, was in Hannover passiert ist, nicht an jeder x-beliebigen Dienststelle in Deutschland auch passieren könnte, sondern es bedarf bestimmter Zutaten, zum Beispiel diese abgeschlossenen Gruppen oder diese charismatischen informellen Führer (…), die auch Angst ausstrahlen."
Polizisten werden nur äußerst selten verurteilt
Problematisch seien allerdings die nach wie vor "verschwindend geringen Verurteilungsquoten von Polizeibeamten, die nicht immer freigesprochen werden wegen erwiesener Unschuld, sondern oftmals auch wegen Mangel an Beweisen", so Behr. "Das ist im einprozentigen Bereich, dass Polizisten überführt werden vor Gericht."
Zudem hätten Kollegen, die Anzeige erstatten, das Dilemma, dass oft auch gegen sie selbst – die Anzeigeerstatter – als mögliche Mittäter ermittelt werde. So sei es auch in Hannover.
Behr kommentierte: "Das halte ich für eine (…) geradezu tragische Entwicklung, dass jetzt die Staatsanwaltschaft gegen die Kollegen ermittelt, die dabei waren – und zwar ausschließlich im Sinne einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit. Das ist genau das, was viele Beamte daran hindert, sich Vorgesetzten anzuvertrauen. Denn das Damoklesschwert des Strafrechts oder des Disziplinarrechts hängt über ihnen. Denn wenn sie eine Straftat eines Kollegen nicht beim ersten Mal sofort anzeigen, hängen sie mit in der Mittäterfalle, weil es dann um Strafvereitelung im Amt geht. Das macht Fehlerkultur in der Polizei so schwer bis unmöglich."
Behr verlangt die Einrichtung einer Ombudsstelle oder einen Polizeibeauftragten, an den sich Polizeibeamte im Falle von Rechtsverstößen in den eigenen Reihen wenden können. Auch die Zivilgesellschaft fordere mehr Einblick in die Arbeit der Polizei, betonte er: "Die Polizei scheut den Einblick in ihre Vorgänge sehr und zwar zu Unrecht, wie ich finde."
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