"Störenfrieda" Kathryn Cicoletti

Finanzexpertin übersetzt Wall-Street-Sprache

Die Dax-Kurve auf der Anzeigetafel im Handelssaal der Börse in Frankfurt am Main
Die Dax-Kurve auf der Anzeigetafel im Handelssaal der Börse in Frankfurt am Main © dpa / Frank Rumpenhorst
Von Kerstin Zilm · 23.06.2015
Sprechen Sie das Fachchinesisch der Aktienmärkte? Die ehemalige Hedgefond-Managerin Kathryn Cicoletti beherrscht die Sprache der Wallstreet nicht nur, sie übersetzt sie in Alltagssprache - und legt damit offen, dass ihre Kollegen gar nicht verstanden werden wollen.
"Kapital", "Dividende", "Leitzins", Negativzins" "Leerverkauf" - Wird Ihnen schwindlig, wenn Sie diese Wörter hören? Denken Sie: ich werde nie verstehen, was an der Börse passiert und schon gar nicht, wie ich am besten mein eigenes Geld anlege. Das liegt vor allem daran, dass Vermögensberater und Börsen-Reporter dazu neigen, Ihnen diesen Jargon um die Ohren zu hauen. Mit dem Ziel, selbst möglich schlau dazustehen und Sie zu verwirren. Das sagt Kathryn Cicoletti, Hedgefond-Expertin und Störenfried der Finanzmärkte.
Freundlich lächelnd schaut Kathryn Cicoletti - eine schlanke Finanzexpertin mit langem blonden Haar - in die Kamera und fragt die Zuschauer: "Verwirren Sie die Zahlen vom Aktienmarkt?". Kathryns Mission ist es, diese Verwirrung aufzulösen.
Auf ihrer Website "Makin Sense Babe" übersetzt sie Finanzjargon in Alltagssprache.
"Was bedeutet kurzfristige, beziehungsweise langfristige Anleihe? Sie leihen einem Unternehmen oder einer Regierung Geld und bekommen dafür Zinsen. Das ist alles."
Sie stellt in Video-Sketchen Lügen, Manipulationen und falsche Prognosen von Anlageberatern bloß:
"Ich habe hier einen Zeitungsartikel, der legt nahe, dass Vermögensverwalter wie Sie falsche Bezugsdaten benutzen, damit Ihre Aktienauswahl besser aussieht als sie in Wirklichkeit ist. Stimmt das?"
Kollegen missbrauchen Fachjargon
Sieht sich die 38 Jahre alte Hedgefond-Expertin mit Berkeley-Abschluss und 13 Jahren Erfahrung an der Wall Street selbst als Störenfried?
"Nicht wirklich. Ich finde mich ziemlich harmlos verglichen mit anderen Leuten. Auf dem Finanzmarkt werde ich als Unruhestifterin gesehen, weil ich kein Problem damit habe, Mythen zu entlarven und versteckte Wahrheiten aufzudecken, die andere ohne nachzudenken hinnehmen."
Cicoletti entdeckte als junge Senior-Analystin bei Banken und Vermögensverwaltern in New York schnell, dass es vielen Kollegen und Börsenjournalisten wichtiger ist, vor Kunden und Fernsehzuschauern klug auszusehen, als ihnen Portfolio und Aktienfonds verständlich zu erklären. Sie merkte auch, dass manche selber nicht wissen wovon sie redeten.
"Ich habe immer die Zahlen überprüft, die uns die Leute für Risikomanagement in unserer Firma gaben. Wenn sie nicht stimmten, habe ich darauf hingewiesen."
Das war ungewöhnlich, besonders für eine Mitt-Zwanzigerin. Aber ich hab mir überhaupt nichts dabei gedacht.
Cicoletti registrierte irritiert, dass Kollegen unverständliche Charts und Fachjargon missbrauchen, um Anleger einzuschüchtern.
"Die ganze Branche basiert darauf, dich zu verwirren, damit du sie dafür bezahlst, dein Geld anzulegen. Ich bin dagegen davon überzeugt, dass die Mehrheit der Bevölkerung total in der Lage ist, ihr Geld allein anzulegen und gut zu schlafen, ohne dass sie jederzeit wissen, wo der DAX steht."
Cicoletti reiste für ihren Job zu Hedgefond-Managern und Investoren in aller Welt. Sie verdiente mehr als eine halbe Million Dollar. Pro Jahr! Trotzdem hatte sie vor zwei Jahren genug, kündigte und gründete ihre eigene Firma in Los Angeles: "Makin Sense Babe".
"Ich war überbezahlt!"
Sie lernte Sketche schreiben und Filme schneiden. In ihren Videos entlarvt sie mit einer Mischung aus Standup Comedy, Comic Strip und Blick durchs Schlüsselloch was Vermögensverwalter normalerweise vor uns geheim halten wollen.
"Fragen Sie sich, was der jüngste Abstoß-Trend von Tech-Aktien bedeutet? Sie sind am richtigen Ort. Denn ich werde hier in meinem Anzug und mit meiner teuren Uhr sitzen und Sie überzeugen, dass ich alles weiß. Dabei habe ich keinen blassen Schimmer, was los ist. Jeder weiß: es ist nicht wichtig, was Du als Finanzexperte sagst, sondern dass du wiederholst, was Du im Wall Street Journal gelesen hast und hoffst, dass Dein Kunde Dich nicht darum bittet, es zu erklären."
Praktische Tipps und Antworten auf persönliche Finanzfragen gibt Cicoletti auf facebook, twitter und in ihrem wöchentlichen Newsletter. Noch hat sie weniger als 1000 zahlende Abonnenten aber die Tendenz ist steigend. Das Magazin Forbes verglich sie mit Jon Stewart von der "Daily Show". Immer öfter wird sie von Medien zu Wirtschaft-, Finanz- und Frauenthemen interviewt.
Cicoletti sagt, ihre ehemaligen Kolleginnen und Kollegen nehmen es ihr nicht übel, dass sie sich über Wall Street lustig macht. Manche hätten selbst davon genug, möchten aber nicht aufs Geld verzichten. "Ich war überbezahlt!" sagt Cicoletti dazu und schwimmt auch hier gegen den Strom:
"Letztendlich sind Geld und diese ganzen Finanzsachen doch langweilig und nicht wirklich wichtig. Es geht um Freundschaften, zwischenmenschliche Beziehungen. Geld macht nicht glücklich."
Mehr zum Thema