Störenfried Aydin Akin

Protest auf zwei Rädern

Aydin Akin protestiert mit dem Fahrrad für eine gleiche Behandlung aller Ausländer.
Aydin Akin, der Fahrrad-Protestler © Änne Seidel
Von Änne Seidel · 19.01.2015
In Berlin-Schöneberg, Neukölln oder Kreuzberg kennt man ihn: Aydin Akin protestiert auf dem Fahrrad für eine gleiche Behandlung aller Ausländer. Seit fast zehn Jahren rollt er Tag für Tag durch die Straßen – unüberhörbar und unübersehbar.
So Herr Akin, auf geht’s? - Ok. - Los geht’s. - Dann gehen wir.
So, wohin fahren wir denn jetzt? - Jetzt Goltzstraße, und dann Exerzierstraße, dann Hauptstraße, ja.
Wie viele Kilometer sind Sie schon gefahren? - 117.000. Die genaue Kilometerzahl bis gestern habe ich eingetragen, ich glaube so 117630 oder so was. - Und wie viele Kilometer fahren Sie am Tag? – So im Durchschnitt 40.
Jetzt bei der Kreuzung mache ich natürlich weiter.

Megafon: "Warum dieser Unterschied zwischen steuerzahlenden Ausländern? Gleiche Recht für alle Ausländer! Warum dieser Unterschied zwischen steuerzahlenden Ausländern? Gleiche Recht für alle Ausländer!"
Und schon bereue ich, dass ich keine Ohropax eingepackt habe. Vom stillen Protest hält Aydin Akin nichts.
Ich will die Leute zumindest aufwecken. Damit sie wissen: Akin ist das auf der Straße, er gibt nicht nach!
Hier ist das Café, da sind sehr viele Leute da, aber sie bewegen sich gar nicht. Mache ich sie mal ein bisschen wach!
Die Passanten starren mit großen Augen
Akins Taktik geht auf. Viele Passanten bleiben stehen, starren uns mit großen Augen nach. Manche versuchen, die Texte auf Akins leuchtend gelben Plakaten zu entziffern, die um seinen Hals und an seinem Fahrrad baumeln.
Meine wichtige Botschaft ist, dass man an erster Stelle hier in Deutschland Unterschiede zwischen steuerzahlenden Ausländern beseitigt.
Doppelpass zum Beispiel. Was soll denn das? Stellen Sie sich vor: Ich bin Türke. Doppelpass? Darf ich nicht. Meine ältere Tochter darf nicht. Und meine kleine Tochter, nach 1990 geboren, darf es. Was ist das für ein Gesetz?

Wie sind denn die Reaktionen der Leute am Straßenrand? - Als erstes Mal: Verrückter! Nicht normaler Mensch, nicht normaler Geist und so weiter, was ich da mache. Aber jetzt ist die Sache anders geworden. Meistens werde ich liebevoll empfangen auf der Straße. Und…
Es ist noch rot! – Oh, ja. Ah ja, jetzt ist grün.
Und was machen Sie bei Glatteis? – Ich muss fahren, ich muss fahren. Ich habe mir vorgenommen: Ob Glatteis, ob Regen, ob Schnee, egal, ich muss fahren, ich werde fahren. Diese Strecke muss wissen, dass ich nicht aufhöre.
Fahren wir hier rechts? - Ja, ja. - Jetzt kommen wir gleich zum Rathaus Neukölln, nicht? – Ja.

Das Neuköllner Rathaus ist der Höhepunkt der heutigen Tour. Akin möchte dem Bürgermeister ins Gewissen reden.
Megafon: "Ein Teil der Ausländer hat in diesem Lande mehr Rechte als die anderen, sogar per Gesetz."
Umarmung und Schokoriegel zur Begrüßung
Der Neuköllner Bürgermeister lässt sich nicht blicken. Dafür stürmt nach der Rede eine Passantin auf Akin zu, umarmt ihn und schenkt ihm einen Schokoriegel.
Ich habe etwas für Sie! – Oh, danke, danke schön, vielen Dank! – Ich habe heute an Sie gedacht!
Also, gehen wir? – Zum Büro? Ja. Zum Büro, zum Büro.
Wenn die Kinder nicht in der Schule sind, abends, ist es hier ganz voll. Ich habe hier Geschenke für die Kinder. Nach der Schule warten sie auf mich. Und ich verteile hier und da vorne.
Müssen wir hier links? – Links, ja, ja.
Jetzt sind wir angekommen? Das ist Ihr Büro hier? – Ja, jetzt sind wir angekommen.

Dann verschwindet Akin in seinem kleinen Büro und zieht sich um. In Nullkommanichts wird aus dem Fahrrad-Protestler Akin der Steuerberater Akin – mit Brille, ordentlich gekämmtem Haar und Rollkragenpulli.
Ich habe auch langsam kalte Füße, Sie nicht? - Nein, noch nicht. Bei mir, wenn ich mich bewege, fühle ich mich immer voll gut.
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