Störche, Kraniche und Adler

Von Reinhard Spiegelhauer · 18.03.2013
Der Südzipfel Andalusiens stellt für Ornithologen ein besonders reizvolles Reiseziel dar. Nur an wenigen anderen Orten Europas lässt sich der Zug der Vögel von ihrem Sommer- zum Winterquartier und umgekehrt so eindrucksvoll beobachten wie an der Straße von Gibraltar.
Blanca: "Ich zähle Vögel, während des Vogelzugs jetzt im Frühjahr. Wir registrieren den kompletten Vogelzug - die Vögel konzentrieren sich in dieser Gegend, weil hier die kürzeste Strecke zwischen den beiden Kontinenten liegt."

"Viel Wind hier - das beeinflusst den Vogelzug, oder?"

Blanca: "Ja, natürlich - je nach Wind kommen die Vögel in der einen oder anderen Gegend an. Im Moment haben wir Westwind, da ist dieser Ort gut, weil die Vögel hier ankommen."

Blanca stemmt sich gegen die Böen, das Fernglas aufs Meer gerichtet. Die zierliche junge Frau hat die langen Haare zu einem Knoten gebunden, damit sie nicht vor die Gläser wehen. Sie steht zusammen mit einem Dutzend anderer Vogelfreunde auf einem kleinen Felsvorsprung - am südlichen Ende der Bucht von Algeciras, im südlichsten Winkel Spaniens. Auf der anderen Seite der Bucht erhebt sich der Felsen von Gibraltar, und durch den Dunst über dem Meer zeichnet sich gegenüber, auf dem afrikanischen Kontinent, der 800 Meter hohe Jbel Moussa ab. Blanca arbeitet für Migres - eine gemeinnützige Stiftung zur Erforschung des Vogelzugs. Sie hat einiges an Ausrüstung dabei:

Blanca: "Ein Spektiv, Ferngläser und ein elektronisches Notizbuch - so müssen wir später nicht alles von Hand in die PC-Datenbank einpflegen. Die Stiftung trägt sich durch öffentliche Zuschüsse - nicht ausschließlich, aber unsere Arbeit hier wird vom andalusischen Umweltministerium finanziert."

Und schon setzt sie das Fernglas wieder an die Augen, um den Himmel nach weiteren Zugvögeln abzusuchen. Ein paar Schritte neben ihr steht Jean Jaques:

Blanca: "Gerade kommt ein Schlangenadler vorbei. Er frisst tatsächlich vor allem Schlangen, aber auch Echsen und andere Reptilien. Es kommen gerade ziemlich viele."

Jean Jaques ist pensionierter Informatiker und sein Hobby ist Birdwatching - Vogelbeobachtung. Eigentlich ist er in Südfrankreich zuhause, aber seit er im Ruhestand ist, ist er praktisch ständig unterwegs, um Vögel zu beobachten:
Jean: "Ich komme jedes Jahr hierher, es gefällt mir einfach. Vögel zu beobachten ist für mich eine Leidenschaft, die Greifvögel, die Störche. Ich gehe immer mit den Leuten von Migres mit, sie sind sehr nett. Ich komme im Frühjahr und im Herbst. Mein Lieblingsspot ist dieser hier, weil viele Vögel vorbei kommen und man sie sehr gut beobachten kann."

"Was ist das Faszinierende?"

Jean "Es ist eine Art Spiel, die Arten zu erkennen und die Vögel zu zählen. Wenn es große Gruppen sind, ist das ziemlich schwierig. Ich bin außerdem gelegentlich in Afrika, und finde es faszinierend, dass hier Vögel vorbei kommen, die ich schon im Senegal, in Mali oder im Maghreb gesehen habe."

Ein bisschen wie Indiana Jones

Jean Jaques erinnert ein bisschen an Indiana Jones, wie er da am Cap steht, mit seinen Stiefeln und dem Filzhut - allerdings trägt er keine Lederjacke sondern einen Faserpelz. Um den Hals hängt - natürlich - ein gutes Fernglas, außerdem hat er ein Spektiv dabei, eine Art besonders hochwertiges Fernrohr. Es hat einen vierstelligen Betrag gekostet, darauf thront auch noch eine teure Spiegelreflexkamera. Und dazu noch ständig in aller Welt auf Achse, nur um ein paar Vögel zu beobachten - ist das alles nicht ganz schön kostspielig?

Jean "Ja, schon, aber es geht keineswegs meine ganze Rente dafür drauf. Ob ich zuhause esse, oder hier, oder sonst wo, das macht keinen Unterschied. Ich suche mir immer billige Flüge, und hier bin ich mit dem Wohnmobil unterwegs. Natürlich ist der Sprit ganz schön teuer geworden - aber: genau sagen, wie viel mich diese Liebhaberei kostet, kann ich nicht."

Mehr als 300 Vogelarten sind an der Meerenge nachgewiesen - viele davon sind Zugvögel, die jeweils im Frühjahr und Herbst den Flug von und nach Afrika unternehmen. Singvögel ziehen fast immer unbemerkt, nachts - nach Schätzungen mehrere -zig Millionen. Spektakulär anzusehen sind dagegen die Tagzieher, darunter zigtausende Störche, Kraniche, Adler und andere Greifvögel – etwa eine Dreiviertelmillion insgesamt. Genau wie die "echten" Wissenschaftler machen auch die meisten "einfachen" Vogelfans umfassende Aufzeichnungen - es ist eine Art Jagd mit dem Bleistift. Und es sogar professionelle Veranstalter, die Vogelzug-Safaris anbieten:

Daniel: "Wir haben seit sechs Jahren einem Stand auf der internationalen Birdwatching Messe in Rutland, in England. Wir versuchen Reisegruppen anzusprechen, aber das ist ziemlich schwierig. Normalerweise arbeiten wir als Subunternehmer für andere Firmen, denn deren Gruppen kommen nicht nur zur Meerenge, sie fahren zuerst nach Fuente de Piedra, dann ins Gebirge von Grazalema. Dann kommen sie hierher, bevor sie in den Donana-Nationalpark fahren. Und für die zwei Tage hier nehmen sie uns als örtliche Führer, so machen sie es an den anderen Orten auch."

Der knapp 60-jährige Daniel ist ein Veteran unter den Vogelfreunden an der Meerenge. Natürlich trägt er eine Outdoor-Weste mit unzähligen Taschen für Ausrüstungsgegenstände. Zusammen mit Gleichgesinnten hat er ein kleines Unternehmen gegründet, das organisierte Naturreisen anbietet. Der Schwerpunkt liegt auf der Vogelbeobachtung. Die Experten sind aber auch im Auftrag der Naturschutzbehörde unterwegs, zum Beispiel, um die Auswirkungen von Windkraftanlagen auf den Vogelzug zu studieren. Denn wegen der starken und kontinuierlichen Winde stehen in der Region hunderte, wenn nicht tausende Windräder.

So groß sei der Konflikt zwischen Ökostrom und Ökologie gar nicht, meint Daniel. Die meisten Vögel gewöhnten sich relativ schnell an die Anlagen. Wichtig sei nur, sie nicht zu nah an wichtigen Rastplätzen zu bauen.

Daniels großes Ziel ist, an der Meerenge mehr nachhaltigen Naturtourismus zu etablieren. Die Region sei für Naturfreunde ein einmaliges Ziel, schwärmt er; imposante Geier und Adler brüten sogar an der Meerenge und sind das ganze Jahr zu sehen - aber auch viele interessante Singvögel:

Daniel: "Ja, es gibt da einiges für Touristen aus Mittel- und Nordeuropa. Hier sind zum Beispiel die Samtkopf-Grasmücke und der Einfarbstar sehr häufig, dort gibt es sie nicht. Es gibt aber auch seltenere Arten, die man hier sehen kann, im Norden dagegen nicht. Vor allem aber kann man hier den Vogelzug beobachten."

Touristisch kaum erschlossen

Aber nicht nur für Vogelfreunde, auch für andere Naturliebhaber gibt es viel zu entdecken. Gleich hinter der Küste erhebt sich ein Gebirge, an dessen Flanken die größten zusammenhängenden Korkeichenwälder Westeuropas stehen - schon vor vielen Jahren ist das Gebiet zum Naturpark erklärt worden. Touristisch sind diese Schätze bisher aber kaum erschlossen. Daniel freut sich, dass die Regierung begonnen hat, Naturtourismus zu fördern:

Daniel: "Inzwischen sind das Umweltministerium aktiv, das Tourismusministerium und das Ministerium für Innovation und Entwicklung. Es ist eine Querschnittsinitiative. Und tatsächlich gibt es die meisten Experimente dieser Art in Andalusien, weil es Tourismus-Ziel Nummer eins ist. Es gibt ambitionierte Förderprogramme, Stände auf Tourismusmessen - als kleines lokales Unternehmen könnten wir das alleine nicht machen, schon nur nach Rutland zu fahren, war für uns eine ökonomische Herausforderung."

Ein paar Kilometer westlich von Algeciras, in Richtung Windsurf-Spot Tarifa, hat die andalusische Regionalregierung ein Informationszentrum zum Vogelzug eingerichtet. Es liegt etwas versteckt im Bergdorf Pelayo, an der Nationalstraße 340, die dort auch den Korkeichen-Naturpark streift. Auf einem kurvigen Weg fährt man ein paar hundert Meter den Hang hinab und landet vor dem kleinen weißen Haus, in dem das Informationszentrum untergebracht ist. Cristina leitet es, sie empfängt die Besucher gerne auf dem kleinen Vorplatz:

"Ein ideales Mittel zur Umwelterziehung"

Cristina: "Die Wahl fiel auf mich, denn ich bin ausgebildete Pädagogin und Lehrerin und habe naturkundliche Kenntnisse. Das Zentrum ist ein ideales Mittel zur Umwelterziehung - und um den Menschen das faszinierende Phänomen des Vogelzugs näher zu bringen."

Den Audioführer gibt es auf englisch und spanisch - er begleitet durch eine große und sehenswerte Ausstellung. Sie ist in einem tiefer gelegenen Anbau hinter dem Haus untergebracht. Ein kunstvolles, dreidimensionales Mosaik auf dem Boden zeigt die Straße von Gibraltar - die afrikanische und die europäische Küste, samt den Erhebungen des Jbel Moussa und des Felsen von Gibraltar. Die Küstenform zeigt es ganz deutlich: die Meerenge ist der sicherste Weg, um von einem Kontinent zum anderen zu kommen. Von der Decke hängt ein überdimensionales Mobile mit Nachbildungen von Vögeln:

Cristina: "Ist das nicht eine unterhaltsame Art, einige wichtige Vogelarten vorzustellen? Hier zum Beispiel, der Mauersegler. Er hält den Rekord im 'ununterbrochen in der Luft bleiben' - ich glaube, zwei Jahre. Sie paaren sich sogar beim Fliegen... Warte, jetzt geht der Dokumentarfilm los - da, ein Schwarzer Milan ..."

Ein Projektor wirft den Film auf eine riesige Leinwand. Eindrucksvolle Nahaufnahmen von Greifvögeln, zumeist aus der Luft aufgenommen. Dann gleitet die Kamera über die Landschaft der Meerenge hinweg, der Betrachter nimmt selbst die Perspektive der segelnden Vögel ein. Faszinierend. In mehreren Räumen gibt es weitere, kleinere Projektionen, Schaubilder, Infotafeln. Natürlich kann man im Informationszentrum auch Kartenmaterial kaufen, bebilderte Führer und Bestimmungsbücher. Ganze Schulklassen machen Ausflüge hierher - für sie gibt es im großen Garten sogar einen nachgebauten Vogelbeobachtungsstand, wo sie gut getarnte Vogelnachbildungen entdecken können.

Entlang der Küste gibt es insgesamt 17 ausgewiesene Vogelbeobachtungsposten. Und wo auch immer man in den Wochen des Vogelzugs Vogelbeobachter sichtet – es ist sehr wahrscheinlich, dass Briten darunter sind. Sie gelten als Erfinder des Birdwatching.

Eric: "Sie interessieren sich einfach für alles Naturkundliche. Und sie haben schon immer alles aufgeschrieben, waren wahrscheinlich die Ersten, die das systematisiert haben. Aber ich glaube, inzwischen haben uns die Skandinavier deutlich überholt. Sie schreiben jedenfalls die besten Vogelführer."

Eric kommt aus Preston in der nordwestenglischen Grafschaft Lancashire. Vor ein paar Jahren ist er mit seiner Frau an die Costa del Sol übergesiedelt. Damals waren die Lebenshaltungskosten in Spanien noch sehr viel niedriger als in England. Das ist zwar vorbei, aber wenigstens ist ja das Klima noch immer besser als in der Heimat – und: man kann so herrlich den Vogelzug beobachten. Eric betreibt Birdwatching, seit er denken kann. Er ist gut getarnt unterwegs, mit olivfarbener Cargo-Hose und heidegrünem Faserpelz. Schließlich sollen die Vögel so nahe kommen, wie nur möglich. Ehefrau Patrica dagegen hebt sich mit ihrem Blondschopf, Blue Jeans und rotem T-Shirt deutlich vom Buschwerk ab. Ist sie etwa nur wegen ihres Ehemannes dabei?

Patricia: "Nein, ich habe selbst beschlossen, Birdwatching zu mögen. Mir macht es Spaß. Weil die Arten so unterschiedlich sind. Und hier ist toll, dass man all diese wundervollen Vögel, die die Reise von Afrika nach Europa machen, in so großer Zahl sehen kann, während eines einzigen Besuchs."

"Aber ist denn nicht ein Vogel einfach nur ein Vogel?"

Patricia: "Aber nein, nein, nein, nein! Die Vielfalt der Federkleides, der Gestalt, ist einfach faszinierend – und dann das Ganze an sich, wenn du zum Beispiel irgendetwas Besonderes entdeckst, eine Seltenheit, die es die Reise wert macht."

Faszination Federkleid

Zum Beispiel einen Schmutzgeier – elegant segelt er durch die Luft, ähnlich gezeichnet, wie ein Storch, aber selbst für einen Laien leicht erkennbar: knallgelbes, nacktes Gesicht; Federkrause, die sich vom kurzen Hals bis zum Hinterkopf hochzieht. Patricia hat ihn gespottet:

Patricia: "Über jenem Bergkamm …"

Eric: ""Ja"

Patricia: "… dann etwas hoch und links."

Eric: "Ja… Ja, das ist gut!"

"Man muss ja ganz schön präzise sein, wenn man dem Partner einen Vogel zeigen will."

Patricia: ""Ja"

Eric: "Ja, wir bemühen uns … Pat sagt normalerweise: links von dem Baum! Und zwar mitten im Wald ..."

Patricia: "Ja, oder: auf dem Busch dort drüben! ‚Welchem Busch?!‘ … es macht Spaß!"

Die Hobby-Vogelfreunde sind auch in diesen Wochen wieder viel unterwegs, um nach Zugvögeln Ausschau zu halten. Blanca von der Stiftung Migres hat sicher auch das Fernglas um den Hals – inzwischen allerdings ohne Bezahlung. Ihr Job ist – wie viele andere - dem großen Rotstift zum Opfer gefallen, der in Spanien derzeit Zeit regiert.
Birdwatching beim Vogelzug durch Gibraltar
Beobachten und beringen.© Reinhard Spiegelhauer
Die Straße von Gibraltar mit dem Blick auf Marokko
Die Straße von Gibraltar mit dem Blick auf Marokko© Stock.XCHNG / Matthias Haeuser
Windpark an der Meerenge von Gibraltar
Windpark an der Meerenge von Gibraltar© Reinhard Spiegelhauer
Der Felsen von Gibraltar
Der Felsen von Gibraltar© Stock.XCHNG / jswefu makkeö
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