Stipendien

Eine fünfjährige Erfolgsgeschichte

Ein Davidstern in der Magen Abraham Synagoge im Libanon
Symbol des Volkes Israel: der Davidstern © AFP/Joseph Eid
Von Stefanie Oswald · 31.10.2014
Das Ernst-Ludwig-Ehles-Studienwerk (ELES) unterstützt junge Juden, die die Mittel für ein Studium nicht aufbringen können. Doch um Geld allein geht es nicht. Das Programm ermutigt zur Auseinandersetzung mit dem Judentum.
Neversdorf bei Hamburg. Ein Stuhlkreis in einem nüchternen Frühstücksraum. Es ist neun Uhr morgens und die Sonne scheint zum Fenster herein. Kantorin Jalda Rebling hat zum Schacharit, zum Morgengebet, geladen.
Nur ein paar müde Studierende sind gekommen, denn gestern abend wurde bis weit nach Mitternacht heftig diskutiert. Auf Einladung der Udo-Keller-Stiftung Forum Humanum veranstaltet das jüdische Studienwerk ELES an diesem Wochenende ein sogenanntes Studienkolleg. Diesmal geht es um "alternative Inszenierungen des Erinnerns". 15 Stipendiatinnen und Stipendiaten unterschiedlichster Fächer diskutieren darüber, wie Erinnerung künstlerlisch oder literarisch verarbeitet werden kann. Max Czollek beispielsweise promoviert mit ELES Unterstützung über Antisemitismus. In Neversdorf stellt er Lyrik aus seinem Band "Druckkammern" vor.
"Positionen entwickeln, ohne das Gefühl zu haben, sich nach außen rechtfertigen zu müssen"
Czollek: "Für viele Kontroversen hat ein Text gesorgt, den ich normalerweise nicht vorlese, aber hier in dem Kreis vielleicht schon: Er mag Lieder/ die sich anhören wie selbstgemacht. Unter der Dusche mastubiert er gerne/ das ist unkompliziert. Er hat gute Freunde/ Wenn es sein muss, denkt er an Auschwitz."
Nicht alle Teilnehmer des Seminars sind selbst künstlerisch tätig. Und mit ihren Studienfächern – z.B. Musik, Psychologie oder auch Zahnmedizin – hat das Kolleg wenig zu tun. Aber darum geht es nicht. Denn hier sollen sich die jungen Leute mit ihrem jüdischen Selbstverständnis auseinandersetzen, sagt ELES-Geschäftsführer Johannes Frank:
Frank:"Wir sagen: Wir wollen euch mit eurer gesamten Geschichte als Gesprächspartner untereinander und für uns auch. Und die Frage, was es interessant macht, ist die Erfahrung für viele unserer Stipendiaten, die sie bei ELES machen: Dass sie nicht die einzigen sind. Das heißt, sie sind nicht in einem Raum unter dreißig anderen, sondern sie sind 30 Juden in einem Raum und können miteinander diese Positionen entwickeln, ohne das Gefühl zu haben, sich nach außen rechtfertigen zu müssen."
Dmitrij Belkin, der für die Promovierenden-Förderung zuständig ist, ergänzt:
"Was die jüdischen Themen angeht, und das ist auch das Starke bei unseren Veranstaltungen, so mischen sich hier das Persönliche mit dem Intellektuellen mit dem Politischen. Russland, Israel, Ukraine, Deutschland, Polen, Ungarn und so weiter – das mischt sich alles in diesem sogenannten Jüdischen in Deutschland."
"Sie ermutigen uns unsere Projekte durchzuführen"
Belkin stammt selbst aus der Ukraine, hat dort und in Tübingen Geschichte studiert. Besonders eine idelle Förderung hat er immer vermisst. Das geht auch seiner Kollegin Eva Lezzi so, die sich als Jüdin während ihrer Dissertation über Kindheitsautobiografien der Schoah an der Berliner Freien Universität oft allein gefühlt hat.
Lezzi: "Das ist etwas, wo ich denke: Schön, dass die das haben und eine gewisse Einsamkeit nicht mehr notwendig ist im akademischen Nachdenken oder in akademischen Strukturen."
Das empfinden auch die Stipendiatinnen in Neverdorf so, die sich nach einem langen Tag beim Abendessen stärken, bevor es zur letzten Diskussionsrunde geht. Anna Schapiro stammt aus einer jüdisch-russischen Einwandererfamilie, sie ist Bildhauerin und besucht mit ELES' Unterstützung eine Meisterklasse an Hochschule für Bildende Künste in Dresden:
Schapiro: "Ein Punkt, als ich aufgenommen wurde, war, dass ich es gar nicht so kannte, aus meinem Alltag, in jüdischer Gesellschaft zu sein und dass ich daran eigentlich gemerkt habe, was es bedeutet, über mache Themen noch lockerer oder direkter sprechen zu können, ohne Samthandschuhe."
Layla Zami hat einen französich-karibischen Hintergrund, promoviert dank ELES in Kulturwissenschaften.Sie meint:
"Was auf jeden Fall funktioniert: Dass sie uns ermutigen, unsere Projekte durchzuführen. Und es hilft schon auch, sich in Deutschland wohlzufühlen."
Stabil bei 300 Stipendiaten
ELES-Geschäftsführer Johannes Frank bilanziert:
"Ich würde sagen, ELES ist eine sehr große Erfolgsgeschichte. Wir hatten nicht gedacht, dass wir stabil bei 300 Stipendiaten bleiben können, beispielsweise. Wir dachten, dass wir vielleicht eher um die zweihundert perspektivisch haben werden, aber das ist eine Annahme, die sich zum Glück überhaupt nicht bewahrheitet hat, sondern wir haben immer viel zu viele Bewerbungen und müssen viel zu viele ablehnen."
Dass es inzwischen nämlich überhaupt wieder eine solch große, vielfältige jüdische Studentenschaft in Deutschland gibt, ermutigt. Und wie geht es weiter? Die Programmverantwortlichen sind dabei, neue Akzente zu setzen. Eva Lezzi möchte die Künstlerförderung stärken und die kreativen Potentiale der ELES-Stipendiaten fördern. Dmitrij Belkin will mit ihnen eine neue Sprache entwickeln.
Belkin: "Ich glaube schon, dass die neue Sprache der Kommunikation über das Jüdische in diesem Land absolut notwendig ist. Und ich sehe es dann als meine kleine Herausforderung – oder unsere – , dass wir einfach versuchen, eine reflektierte Sprache zu kreieren. Dass man denkt: Wie schaffe ich das zwischen diesem Jüdisch-bleiben und Sich-öffnen, zwischen diesem Nicht-vergessen und gleichzeitig Reflektieren. Also wie finde ich mich."
Ein anspruchsvolles Programm. Auf die Ergebnisse darf man gespannt sein.