Stiftungen und ihr "Sympathievorschuss"

Peter Rawert im Gespräch mit Katrin Heise · 04.01.2011
Der Notar Peter Rawert findet, dass die Bertelsmann Stiftung sicher kein Vorbild für die weitere Entwicklung des Stiftungsrechts in Deutschland sein kann. Denn in ihrer Konstruktion werden Stiftungsinteressen den Interessen den Konzerns untergeordnet.
Katrin Heise: In unserer Themenreihe zu deutschen Stiftungen, da geht es heute um die Bertelsmann Stiftung. Die steht mit rund 62 Millionen Euro Jahresausschüttung an vierter Stelle der größten gemeinnützigen Stiftungen. Sie will nach eigener Aussage frühzeitig gesellschaftliche Herausforderungen identifizieren und exemplarische Lösungsmodelle entwickeln und auch verwirklichen. Experten der Bertelsmann Stiftung sind gefragte Gesprächspartner und Berater bei fast allen großen Themen der deutschen Öffentlichkeit, und das auch ganz egal, ob die führenden Köpfe Schröder oder Merkel heißen.

Auf europäischer Ebene verhält es sich ebenso. Es gibt aber auch scharfe Kritik an der Bertelsmann Stiftung, am weitesten ging der Journalist Thomas Schuler, und zwar in seinem Buch "Die Bertelsmannrepublik Deutschland", in dem hat er nach jahrelanger Recherche die Beziehungsgeflechte zwischen Unternehmen und Stiftung aufgedeckt.

Ich begrüße jetzt Peter Rawert, er ist Notar in Hamburg, Honorarprofessor an der Universität Kiel sowie Lehrbeauftragter für Stiftungsrecht an der Hamburger Bucerius Law School. Schönen guten Tag, Herr Rawert!

Peter Rawert: Guten Tag, Frau Heise!

Heise: Herr Rawert, teilen Sie die Kritik von Thomas Schuler, finanziert die Gesellschaft quasi der Familie Mohn ihr eigenes Lobby-Institut?

Rawert: Lassen Sie es mich so sagen, es ist nicht grundsätzlich alles kritikwürdig, was die Bertelsmann Stiftung tut. Ohne Zweifel hat sie in vielen gesellschaftlichen Bereichen auch wichtige Diskussionen angestoßen. Aber was in der Tat auffällt, ist die Nähe zu den eigenen unternehmerischen Anliegen der Bertelsmanngruppe. Die Privatisierung der öffentlichen Verwaltung im Rahmen von sogenannten Private-Public-Partnerships ist in der Stiftung ein großes Thema.

Der Konzern hat aber mit Arvato ein eigenes Unternehmen, das insbesondere Kommunen anbietet, ihre Verwaltung in maßgeblichen Teilen zu übernehmen. Oder denken Sie an die Deregulierung des Mediensektors, keine Frage, dass einer der größten Medienkonzerne der Welt hierzu eine eigene Meinung hat.

Heise: Wenn es so ist, dass die Familie Mohn mit Hilfe der Stiftung vornehmlich Interesse, oder häufig Interessen eben dieses von Ihnen erwähnten größten europäischen Medienkonzerns Bertelsmann verfolgt, warum spielt die Politik eigentlich mit? Ist es tatsächlich so, wie die Grünen-Politikerin Antje Vollmer sagt, Bertelsmann ist unberührbar?

Rawert: Na ja, wie es eben in der Politik ist: Ein erfolgreicher Lobbyist ist gut vernetzt, findet Gehör, und wenn er in Gestalt einer finanziell potenten gemeinnützigen Stiftung auftritt, dann hat er einen besonderen Sympathievorschuss, und zwar quer durch alle Parteien. Inwieweit da im Einzelfall auch eine Furcht vor dem meinungsstarken Medienkonzern Bertelsmann mitschwingt, das kann ich nicht abschließend beurteilen.

Heise: In unserer Reihe über deutsche Stiftungen gibt es heute eine kritische Sicht auf die Bertelsmann Stiftung. Herr Rawert, vergleichen wir mal die Bertelsmann Stiftung mit anderen Unternehmensstiftungen: Ist Bertelsmann da eigentlich ein Einzelfall?

Rawert: Es gibt natürlich viele unternehmensverbundene Stiftungen in Deutschland. Aber das Konstrukt, das die Bertelsmann Stiftung hat, ist gewiss relativ selten. Es findet sich noch wieder bei einer ähnlichen großen Stiftung wie der Bosch Stiftung, falls Sie die erste Ausgabe des "manager magazins" in diesem Jahr gelesen haben, einer gewiss nicht wirtschaftsfeindlichen Veröffentlichung, sehen Sie, dass auch dort vergleichbare Strukturen äußerst kritisch beäugt werden. Das zentrale Problem der Bertelsmann Stiftung besteht darin, dass die Konstruktion Stiftungsinteressen systematisch Unternehmensinteressen unterordnet.

Heise: Das heißt aber nicht Ihrer Meinung nach, dass wir anhand der Bertelsmann Stiftung sozusagen eine Debatte über die Gemeinnützigkeit brauchen?

Rawert: Wir brauchen insgesamt sicherlich schon eine Gemeinnützigkeitsdebatte in Deutschland. Wenn der Staat einen Steuerverzicht übt aus guten Gründen, im Interesse der Subsidiarität, wenn er Steuervorteile gewährt in Form von Steuerfreiheit auf Stiftungsebene oder Spendenabzug bei denjenigen Personen, die einer Stiftung Zuwendungen machen, dann hat die Öffentlichkeit einen belegbaren Anspruch auf einen gewissen Return on Investment.

Heise: In der Öffentlichkeit werden Stiftungen ja sogar immer beliebter und vor allem immer als Garant für Gemeinnutz wahrgenommen. Letztes Beispiel: Der Politiker Heiner Geißler hat bei der Bebauung von Stuttgart 21 für diese freiwerdenden Grundstücke jetzt sogar eine Stiftung vorgeschlagen, um eben zu verhindern, dass dort Grundstücksspekulanten zum Zuge kommen würden. Ist das eine gute Idee Ihrer Meinung nach?

Rawert: Also um es vorwegzuschicken: Ich habe zu Stuttgart 21 in der Sache keine Meinung, ich weiß nicht, welches Bahnhofskonzept richtig oder falsch ist. Die Stiftungsvorschläge von Heiner Geißler erscheinen mir allerdings grotesk. Also Bodenspekulation, die ja mit diesem Vorschlag verhindert werden soll, lässt sich hierzulande mit anderen Mitteln, nämlich denen des Bauplanungsrechts bekämpfen.

Das Problem ist doch, wenn der Staat öffentliches Eigentum in privatrechtliche Stiftungen einbringt, dann verschenkt er etwas. Und dazu ist er nach Haushaltsrecht eigentlich nicht befugt. Und schlimmer noch, er entzieht diese Grundstücke, also öffentliches Eigentum, doch der Kontrolle durch demokratisch legitimierte Gremien wie Parlamente und Gemeinderäte. Er sagt uns, dass die Gremien einer Stiftung in Stuttgart, wie auch immer sie besetzt sein werden, dauerhaft klüger sind als die von der Mehrheit der Bevölkerung in regelmäßigen Abständen gewählten Volksvertreter.

Die Argumente, mit denen so eine Stiftung Stuttgart 21 gefordert wird, sind nach meinem Dafürhalten nichts anderes als eine Art Selbstentmannung der Demokratie. Stellen Sie sich doch mal vor, man hätte in den Zeiten, in denen Kernkraft noch mehr Befürworter hatte als heute, eine Stiftung errichtet, die den dauerhaften Betrieb von Zwischen- und Endlagern für Atommüll unabhängig von parlamentarischen Entscheidungen gewährleisten soll. – Wie fänden wir das denn?

Heise: Denn am Ziel einer Stiftung kann man ja nicht rütteln.
Der Notar Peter Rawert findet, dass die Bertelsmann Stiftung sicher kein Vorbild für die weitere Entwicklung des Stiftungsrechts in Deutschland sein kann. Das zentrale Problem: In ihrer Konstruktion werden Stiftungsinteressen den Interessen den Konzerns untergeordnet.

Rawert: Am Ziel einer Stiftung, am Zweck einer Stiftung kann man in der Regel nicht rütteln. Er soll ja gerade losgelöst werden vom ursprünglichen Willen des Stifters und idealtypisch auf ewig wirken.

Heise: Wollen wir doch noch mal zu den Unternehmensstiftungen wie eben beispielsweise der Bertelsmann Stiftung zurückkehren: Die sind ja sehr populär. Warum eigentlich? Seit der Reform vor zwei Jahren ist ja die Erbschaftssteuer für Unternehmen de facto sowieso abgeschafft. Warum also diese Popularität?

Rawert: Also ich glaube, Stiftungen sind jetzt mittlerweile unabhängig von steuerlichen Erwägungen für Unternehmer populär geworden, weil der Gedanke einer Stiftung ja die dauerhafte Erhaltung eines Vermögens zu einem bestimmten Zweck ist. Und mancher Unternehmer, also auch abseits der Größenordnung von Reinhard Mohn und seiner Bertelsmann Gruppe, mancher Mittelständler überlegt sich natürlich, was mache ich mit dem Vermögen, was ich aufgebaut habe, mit dem Betrieb, den ich großgezogen habe, für den ich aber keine passenden Nachfolger habe. Da kommt der Stiftungsgedanke zunehmend ins Spiel und das ist ja auch gar nicht verwerflich, immer unter der Voraussetzung: In der Verbindung von Unternehmen und Stiftung bleibt klargestellt, dass das Unternehmen der Stiftung dient und nicht die Stiftung dem Unternehmen.

Heise: Und das heißt, da würde die Bertelsmann Stiftung jetzt aber klar ein Negativbeispiel darstellen?

Rawert: Da ist die Bertelsmann Stiftung aus meiner Sicht zumindest kein Vorbild für die weitere Entwicklung des Stiftungsrechts in Deutschland.

Heise: Peter Rawert, Stiftungsexperte. Danke schön für dieses Gespräch, Herr Rawert!

Rawert: Bitte schön, Frau Heise!
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