Stichwort: Aktienmarktsozialismus

"Sozialdividende" für die Bürger - ein Modell?

Giacomo Corneo, Wirtschaftswissenschaftler, aufgenommen am 07.05.2014 während der ARD-Talksendung "Anne Will" zum Thema: "Steuerungerechtigkeit mit System - Warum werden nur die Reichen immer reicher?" in den Studios Berlin-Adlershof.
Der Wirtschaftswissenschaftler Giacomo Corneo: "Die Wirtschaftselite demokratisieren" © dpa / picture alliance / Karlheinz Schindler
Von Paul Vorreiter · 04.10.2016
Der Volkswirt Giacomo Corneo hat den sogenannten "Bundesaktionär" erdacht. Er steht für ein Modell, bei dem der Staat Haupteigentümer aller börsennotierten Unternehmen wäre. Politisch soll er unabhängig sein. Doch wie kommt der Staat an die Aktien?
"Der Aktienmarktsozialismus würde die Wirtschaftselite demokratisieren und die Gewinne würden gleichmäßiger an die Bürger zufließen und dadurch käme es auch im politischen Bereich zu einer gleichmäßigeren Teilhabe", sagt Giacomo Corneo, Volkswirt und Professor an der Freien Uni Berlin.
Er stellt ein Konzept vor, in dem der Staat Haupteigentümer jedes börsennotierten Unternehmens ist, zum Beispiel, indem er mindestens 51 Prozent der Aktien hält. Die restlichen Wertpapiere befinden sich in der Hand von Unternehmen, Banken, Stiftungen und Pensionsfonds und werden frei gehandelt.
Ein Staat als Aktionär? Das weckt Assoziationen an VW, die Deutsche Bahn. Hat die öffentliche Hand immer ein glückliches Händchen bewiesen? Auch Corneo ist skeptisch, wenn Politiker in Aufsichtsräten sitzen. Er plädiert daher für die Schaffung einer neuen Institution, eines sogenannten Bundesaktionärs, der politisch unabhängig ist. Es handelt sich um ein gemeinwohlorientiertes Expertengremium, das genau ein Ziel verfolgt. Die Unternehmen sollen die Rendite erhöhen. Denn: Mehr Gewinn bedeutet mehr Geld für die öffentliche Hand, so das Kalkül. Und für den Ertrag hat Corneo auch schon eine Verwendung:
"Die Sozialdividende ist das Instrument, das mit der Einführung dieses Aktienmarktsozialismus einhergeht. Die Sozialdividende wäre eine universelle Transferleistung, die steuerfrei und nicht anrechnungsfähig auf Sozialleistungen jedem Bürger zustehen würde."

Nur sieben Prozent aller Deutschen sind direkte Aktionäre

So kommt also der Reichtum der Aktienmärkte in den Geldbeutel des kleinen Mannes.
"Ein sehr sympathisches Ziel, ein origineller Ansatz, schade, dass das nicht funktioniert", sagt Franz-Josef Leven, stellvertretender Geschäftsführer des Deutschen Aktieninstituts in Frankfurt am Main. Der Verband vertritt die Interessen von kapitalmarktorientierten Unternehmen, Banken, Börsen und Investoren und will die Aktie als Finanzierungs- und Anlageinstrument fördern. Nur sieben Prozent aller Deutschen sind direkte Aktionäre. Die Idee des Aktienmarktsozialismus und seiner Sozialdividende könnte möglicherweise das Interesse von mehr Bürgern wecken, am Aktienmarkt mitzumischen.
Könnte, würde, sollte - daran denkt Leven erst gar nicht. Denn das Konzept würde seiner Einschätzung nach schon bei der Umsetzung scheitern:
"Fraglich ist natürlich auch, wie der Staat an die 51 Prozent der Aktien kommen will. Ich seh' da zwei Möglichkeiten, das eine ist, er kauft sie. Dafür sind vierstellige Milliardenbeträge erforderlich. Da muss man sich überlegen, wo der Finanzminister dieses Geld hernehmen möchte. Der einzige andere Weg ist die Aktien zu stehlen, wenn der Staat das macht, heißt das vornehm Enteignung und wenn man bei uns etwas enteignen möchte, dann braucht man gute Gründe, sonst ist das Ganze verfassungswidrig. Abgesehen davon, dass große Teile der Aktien ausländischen Aktionären gehören und die dürften noch weniger erfreut sein, wenn es plötzlich heißt, dass etwas mehr als die Hälfte in deinem Depotbestand verwaltet demnächst ein deutscher Bundesaktionär."

Staatsfonds als Zwischenschritt?

Giacomo Corneo schlägt einen anderen Weg vor, einen Zwischenschritt zum Aktienmarktsozialismus. Zum Beispiel könnten sogenannte Staatsfonds gegründet werden, so wie es ihn bereits in Norwegen gibt und über die der norwegische Staat Gewinne aus der Ölförderung anlegt. Das ist aber nur ein Beispiel. Der italienische Wissenschaftler weiß, dass sein Konzept Fragen offen lässt. Er regt eine gesellschaftliche Debatte darüber an, wie es umgesetzt werden kann:
"Wir wissen, dass etwas so komplexes wie ein Wirtschaftssystem gar nicht zu planen ist. Es ist unmöglich, auf dem Tisch einfach ein Wirtschaftssystem in allen Details zu beschreiben. Vielmehr braucht man einen pragmatischen Ansatz mit einem Willen zum Lernen und zum Experimentieren."