Steuerrecht

Erbschaften sind immer ungerecht

Ein Testament wird geschrieben
Die gesellschaftliche Debatte über große Erbschaften sollte pragmatisch geführt werden, findet Markus Reiter. © picture-alliance/ ZB
Von Markus Reiter · 03.07.2015
Eine moralische Verurteilung von Menschen, die große Erbschaften machen, hält der Journalist Markus Reiter für falsch. Wir sollten stattdessen pragmatisch denken und einen gesellschaftlichen Konsens über Steuern und Freibeträge aushandeln.
Das ist schon eine unvorstellbar hohe Summe. 260 Milliarden Euro werden jährlich an Menschen überwiesen, die dafür nicht mehr getan haben, als Erbe zu sein. Manche sprechen bereits von der "Erbenrepublik Deutschland". Doch lohnt es sich, das Erstaunen darüber in eine empörte, moralische Grundsatzfrage umzumünzen, in die Frage nämlich: Ist dieser Milliardentransfer gerecht?
Nein, so könnte man antworten, denn das Erben sei grundsätzlich ethisch und sozial nicht zu vertreten, schließlich habe der Erbe nichts zu seinem Erb-Glück beigetragen. In früheren Zeiten wurden sogar gesellschaftlicher Stand und Ämter vererbt. Vermögen innerhalb von Generationen weiterzureichen, wäre so gesehen das letzte Überbleibsel einer alten Gesellschaftsordnung.
Heute verstehen wir uns als Leistungsgesellschaft, in der jeder die Chance hat, sich im günstigsten Falle durch Fleiß und Konsumverzicht ein Vermögen zu erarbeiten. Ein Erbe hingegen geht meist auf den Zufall der Geburt zurück. So bleiben die Reichen reich, während die Armen sich krummlegen müssen.
Auch kleine Erbschaften sind ungerecht
Allerdings gilt das für jedes Erbe. Nicht nur für Millionenvermögen und Unternehmen im Familienbesitz, sondern auch für das Häuschen der Oma. Denn wer ein Häuschen erbt, verschafft sich einen sozialen Vorteil gegenüber Menschen, die kein Häuschen geerbt haben. Das ist ungerecht.
Konsequenterweise müsste das Vererben gänzlich verboten werden. Der Staat sammelt sämtlichen Besitz eines Verstorbenen ein und verteilt ihn neu. Mit anderen Worten: eine Erbschaftssteuer von hundert Prozent. Man darf daran zweifeln, ob sie in dieser Form mehrheitsfähig wäre – oder gar verfassungsgemäß.
Zudem hört die soziale Ungerechtigkeit nicht bei materiellen Werten auf. Kinder wohlhabender Eltern bekommen zusätzlich oft bessere Manieren, höhere Bildung und gute Kontakte mit auf den Lebensweg. Darüber hinaus ist das genetische Erbe, Aussehen und Intelligenz, schrecklich ungleich verteilt.
Darum lautet die entgegengesetzte Haltung, es sei ganz und gar nicht gerechtfertigt, Menschen auch nur einen Teil ihres Erbes wegzunehmen. Der Erblasser hat während seines Lebens darauf verzichtet, sein hoffentlich bereits versteuertes Vermögen zu verjubeln. Stattdessen hat er sich entschlossen, es seinen Nachfahren zu überlassen.
Mit dieser Haltung wechselt man die Perspektive: Man blickt nicht mehr auf den unverdienten Vorteil des Erbenden, sondern auf die persönliche Freiheit des Vererbenden – nämlich mit seinem Vermögen zu machen, was er will. Dazu gehört auch, es vor oder nach seinem Tod jedem beliebigen Menschen zukommen zu lassen. Daraus folgt: eine Erbschaftssteuer von null Prozent.
Pragmatisch handeln statt Grundsatzdebatten zu führen
Es lässt sich vermuten, dass es auch diese Position schwer haben dürfte, eine Mehrheit in der Gesellschaft zu finden.
Moralisches Pathos führt also nicht weiter. Beinahe jede gesellschaftliche Frage aus dem Blickwinkel der sozialen Gerechtigkeit zu betrachten, entfernt uns nur von pragmatischen Lösungen.
Die meisten Bürger halten es für vernünftig, dass Menschen, denen ein beträchtliches Vermögen zufällt, einen Teil davon dem Staat abgeben müssen. Wie groß dieser Anteil ist, darüber lässt sich politisch streiten. Sie gehen ebenfalls davon aus, dass es bei kleinen Vermögenswerten einen Freibetrag gibt. Wie hoch dieser ist und für wen er gilt, lässt sich ebenfalls aushandeln.
Das Steuerrecht muss sich am Maßstab der Gerechtigkeit messen lassen. Das heißt aber nicht, dass es Gerechtigkeit schafft. Wer beim Erben und Vererben Grundsatzdebatten führen will, zielt an der Lebenswirklichkeit vorbei. Auch die "Erbenrepublik Deutschland" verdient einen Schuss Pragmatismus.
Markus Reiter arbeitet als Schreibtrainer, Journalist und Publizist. Er studierte Politikwissenschaft, Volkswirtschaftslehre und Geschichte an den Universitäten Bamberg, Edinburgh und der FU Berlin. Unter anderem war er Feuilletonredakteur der FAZ und schreibt Bücher über Kultur, Sprache und Kommunikation. Mehr unter www.klardeutsch.de
Markus Reiter
Markus Reiter© die arge lola
Mehr zum Thema