Stephen Kings "Revival"

Vom Pfarrer zum Fanatiker

Der US-Bestsellerautor Stephen King
Der US-Bestsellerautor Stephen King © picture alliance / dpa / Maja Hitij
Von Marten Hahn · 30.04.2015
In Stephen Kings Roman "Revival" liegt zwischen friedlichem Provinz-Alltag und blutigen Schicksalsschlägen nie mehr als eine Seite. Und doch kommt der Showdown des etwas redundanten Romans über einen wahnsinnigen Pfarrer völlig überraschend.
Alles ist gut, in der kleinen Gemeinde Harlow in Neuengland. Kinder spielen vor den Häusern der Eltern, die Väter schrauben in ihrer Freizeit an Oldtimern, und seit der neue charismatische Pfarrer Jacob in der Stadt ist, ist auch die Kirche wieder gut gefüllt. Doch es dauert nicht lang, bis das erste Gesicht in Fetzen hängt: Frau und Sohn des Pfarrers sterben in einem brutalen Autounfall.
Zeichnet Stephen King ein Idyll, dann nur um es wenig später mit dem Hammer zu zerschlagen. Das wissen Fans des großen amerikanischen Horrors spätestens seit Kings Kurzgeschichte "Der Mann, der Blumen liebte" (1977). Und auch in Kings neuem Roman liegen zwischen friedlichem Provinz-Alltag und blutigen Schicksalsschlägen, zwischen Teenage-Sex und Heroin-Junky-Elend nie mehr als eine Seite.
Aber es ist nicht die Idylle der Provinz, die King in "Revival" zertrümmert, sondern die Idylle des gesunden Geists. Der Roman erzählt die Geschichte eines Pfarrers, der vom Glauben abfällt und trotzdem zum Fanatiker wird, im Namen der Wissenschaft, im Namen der heilenden, "geheimen Elektrizität".
"Die Religion ist das theologische Gegenstück zu einer Versicherungspolice, deren Prämie wir Jahr für Jahr bezahlen", nur um irgendwann zu entdecken, dass die Firma gar nicht existiert, verkündet Pfarrer Jacob nach dem Tod seiner Familie. Später wird er sagen: Zwischen einem Pfarrer und einem Scharlatan gibt es keinen Unterschied.
Wenig schlanke Sprache
Doch wer hofft, in "Revival" eine valide Antithese zu religiösem Fundamentalismus zu finden, der wird enttäuscht. Echte Hoffnung hat der "King of Horror" nicht im Angebot. Verstoßen von seiner Gemeinde tingelt Jacobs fortan als Wunderheiler durch die USA – mit zweifelhaftem, ja mörderischem Erfolg.
Leider ist der "King" ein wenig altersschwach geworden. Die wenig schlanke Sprache ergibt ein wenig schlankes Buch. Redundant und unpräzise breitet King eine gar nicht einfallslose Idee auf über 500 Seiten aus – Platz, von dem die Charaktere nicht profitieren.
Kings Erzähler, ein alternder Rock-Gitarrist und Ex-Junky, übt sich in musikhistorischen Referenzen und Name-Dropping. Das scheint plausibel, ist aber nur schwer genießbar. Ähnlich wie die onkelhafte Coolness des Romans.
Gut möglich, dass sich ein Autor hier hinter den sprachlichen Defiziten seines Erzählers versteckt. Gut möglich aber auch, dass King seinen Lektor mal in den Urlaub schicken sollte. Oder ihn aus diesem zurückholen. Das heißt nicht, dass der Bestseller-Autor – der im Nachwort auch seinem Rechercheassistenten dankt – nicht mehr weiß, was er tut. Angst ist Kings Geschäft. Immer noch. Das Einlullen, das in den Schlaf singen und Alpträume entfesseln.
Der Showdown des Romans kommt so überraschend wie die Endstation der städtischen Straßenbahnlinie. Aber eine Endstation von atemberaubend, schrecklicher Trostlosigkeit. So grauenvoll und verstörend und nihilistisch, dass einem nur die Erkenntnis bleibt: Wissen ist Wahnsinn. Und: Keine Religion ist auch keine Lösung.
Stephen King: "Revival"
Heyne, München 2015
512 Seiten, 22,99 Euro

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