Steinbach: In Ruhe fundiertes Konzept erarbeiten

Erika Steinbach im Gespräch mit Britta Bürger · 11.03.2010
Die Austritte von drei Beiratsmitgliedern der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhung sieht die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen gelassen. Es gebe für diese Entscheidungen auch sehr persönliche Gründe, sagt Erika Steinbach.
Britta Bürger: Lange galt die Publizistin Helga Hirsch als treue Verbündete von Erika Steinbach, doch nun zieht sie sich zurück aus dem wissenschaftlichen Beirat der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung. Sie ist damit schon die dritte von derzeit neun wissenschaftlichen Beraterinnen und Beratern, die aus dem Projekt aussteigen, bevor der Öffentlichkeit überhaupt klar ist, wie die künftige Arbeit der Stiftung und die geplante Ausstellung zu Vertreibungen in Europa eigentlich aussehen soll. Bevor wir mit Erika Steinbach, der Präsidentin des Bundes der Vertriebenen über dieses aktuelle Debakel sprechen, hören wir, wie Helga Hirsch gestern bei uns im Radiofeuilleton ihren Rücktritt erläutert hat.

Helga Hirsch: "Ich bin sehr enttäuscht, was mit der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung im letzten halben Jahr, also im Zeitraum ihrer Existenz passiert ist, und ich sehe in der augenblicklichen Konstellation keinen Ausweg daraus. Und dann habe ich für mich beschlossen, ich denke, es ist notwendig, dass eine Art von Neubeginn gemacht wird. Ich möchte das nicht mehr gerne decken, was sich jetzt noch weiterentwickeln könnte, hindümpeln könnte, und hoffe, ein Zeichen gesetzt zu haben."/

Bürger: Helga Hirsch zu ihrem Austritt aus dem wissenschaftlichen Beirat der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung. Am Telefon begrüße ich jetzt Erika Steinbach, die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen und jahrelange Vorkämpferin des Projekts. Guten Tag, Frau Steinbach!

Erika Steinbach: Einen schönen guten Tag, Frau Bürger!

Bürger: Verstehen Sie die Enttäuschung von Helga Hirsch?

Steinbach: Also die Situation, die sich ja in den letzten Wochen dargestellt hat mit dem Rücktritt erst eines polnischen Mitglieds des wissenschaftlichen Beirats, dann der tschechischen Historikerin und nun von Helga Hirsch, das hat jeweils auch sehr persönliche Gründe, wie mir bekannt ist. Und bei Helga Hirsch spricht eines deutlich daraus: Sie hat nun über viele Jahre sehr engagiert für eine Einrichtung in Berlin gekämpft, das haben wir gemeinsam getan. Sie hat es nicht nur engagiert, sondern auch mutig getan. Sie hat in Polen dafür geworben, hat dafür viele persönliche Freundschaften in Polen auch sehr aufs Spiel gesetzt, und sie möchte, dass es schnell vorangeht.

Ich glaube, bei allen dreien muss man ganz unterschiedliche Ansätze sehen. Bei Helga Hirsch ist es die Enttäuschung, dass es nicht schnell genug vorangeht. Allerdings wird verkannt, der wissenschaftliche Beirat ist kein Entscheidungsgremium, sondern der Beirat hat dann seine Aufgabe, wenn die ganze Konzeption vorgestellt wird, dann kann der wissenschaftliche Beirat Rat geben. Die Entscheidungen fallen im Stiftungsrat und nicht im wissenschaftlichen Beirat.

Bürger: Aber auch die, die Entscheidungen fällen müssten, werden scharf kritisiert. Helga Hirsch hat zum Beispiel gesagt, dass es nach einem halben Jahr Arbeit des Beirats noch immer kein inhaltliches Programm gebe, kein wissenschaftliches Konzept. Dafür macht sie vehement den Stiftungsdirektor, Manfred Kittel, verantwortlich. Auch das hören wir uns kurz an:

Hirsch: "Ich denke, jeder Direktor dieser Stiftung wird es sehr, sehr schwer haben. Umso mehr ist es erforderlich, dass dieser Mensch nicht nur ein guter Wissenschaftler ist, sondern dass er auch wirklich ausgewiesen ist und standhalten kann, wenn der Wind ihm entgegenweht. Und ich denke, dass Professor Kittel sich vielleicht nicht bewusst gemacht hat – er kommt ja auch aus München, hat vielleicht nicht mitbekommen –, wie scharf es manchmal hier wirklich in Berlin zuging. Ich sehe, er ist augenblicklich einfach überfordert. Das heißt, statt auch in die Offensive zu gehen oder Dinge zurechtzurücken, weicht er in der Regel zurück, das ist das eine, sodass wir jetzt nach einem halben Jahr schon Existenz von Stiftung weder irgendwelche Grundlagen haben, wie diese zukünftige Dauerausstellung aussehen soll, noch irgendein Programm für Veranstaltungen dieses Jahres. Das heißt, wir existieren faktisch nicht in der Öffentlichkeit."/

Bürger: Das ist doch das eigentliche Problem, Frau Steinbach, dass die Öffentlichkeit zwar bislang mit Personalquerelen auf Trab gehalten wurde, sich aber, was die inhaltliche Ausrichtung angeht, nach wie vor fragt, was will diese Stiftung eigentlich genau. Hat Herr Kittel hier nicht tatsächlich das Wichtigste aus dem Blick verloren?

Steinbach: Die inhaltliche Ausrichtung ist im Gesetz festgeschrieben, und das sagt, Kern dieser Einrichtung wird das Schicksal der deutschen Vertriebenen sein, im historischen Kontext soll auch Anteil genommen werden an den Schicksalen anderer Vertriebener, das ist ganz deutlich geäußert.

Das Problem für diese Stiftung liegt unter anderem auch darin, dass das verfügbare Gebäude mindestens noch mindestens drei Jahre braucht, bis es überhaupt genutzt werden kann. Das heißt, es muss grundsaniert werden, es wird einen Architektenwettbewerb geben, und deshalb ist überhaupt für mich nicht verständlich, dass aus dem wissenschaftlichen Beirat heraus man kaum erwarten kann, wie das Haus gefüllt wird. Es wird Jahre dauern, bis dort eine Dauerausstellung zu sehen sein wird. Deshalb kann sich der Direktor auch die Zeit und die Ruhe lassen, um eine Konzeption in aller Fundiertheit zu erarbeiten. Diese Konzeption wird dann erst einmal im Stiftungsrat, dem Entscheidungsgremium, beraten, und danach ist erst der wissenschaftliche Beirat überhaupt gefragt.

Aber ich kann mir vorstellen, dass bei Helga Hirsch, die nun sehr engagiert ist – und das ist eine ihrer großen Stärken und da war sie eine große Stütze in den vergangenen Jahren –, dass da natürlich auch ein Stück Ungeduld vorhanden ist. Sie möchte gerne sehen, dass es ganz schnell vorangeht. Aber alle müssen sich gedulden, das Gebäude wird noch lange nicht in einem Zustand sein, dass man überhaupt eine Ausstellung zeigen kann. Es muss wirklich grundsaniert werden.

Bürger: Aber die Ungeduld, die bezieht sich ja auch auf andere Beispiele. Raphael Groß zum Beispiel, der Direktor des Jüdischen Museums in Frankfurt, auch Mitglied des Beirats, kritisiert heute in der "Süddeutschen Zeitung", dass es inhaltlich noch keinerlei Konsens über die Ausrichtung der Stiftung gebe, selbst wenn der Ansatz, wie Sie es eben geschildert haben, im Gesetz niedergeschrieben ist. Raphael Groß fragt noch immer, in welchem Verhältnis die Begriffe Vertreibung, Versöhnung und Vernichtung zueinander stehen. Warum drängt denn Manfred Kittel hier nicht auf eine deutliche Klarstellung, das ist doch wichtig für die Öffentlichkeit?

Steinbach: Ja, warum soll er auf eine Klarstellung drängen? Das Thema ist, es ist deutlich positioniert. Es ist ein Haus, in dem das Schicksal der deutschen Heimatvertriebenen als Kernthema dargestellt werden soll, und alles andere muss darum sich herumranken. Es ist eine Einrichtung, die sich mit einem wesentlichen elementaren Teil deutscher Geschichte und deutscher Schicksale beschäftigt, jede dritte Familie in Deutschland ist davon betroffen. Wie man es einbettet in die anderen Dinge, dazu gibt es, ich sag mal so, im Moment keinen Beratungsbedarf im wissenschaftlichen Beirat. Der wissenschaftliche Beirat hat vielleicht einmal zu viel getagt, das muss ich in aller Offenheit sagen. Wenn man noch nichts zu beraten hat, dann ist auch jede Tagung überflüssig.

Bürger: War der Beirat möglicherweise bislang falsch besetzt?

Steinbach: An der Besetzung dieses Beirats haben alle Beteiligten im Stiftungsrat mitgewirkt, einschließlich der jetzigen Kritiker, wie Frau Schwall-Düren zum Beispiel. Die Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats sind von allen Beteiligten des Stiftungsrates dorthin entsandt worden. Und es ist ja auch eine breite Palette in diesem Beirat vorhanden. Es war ein polnischer Historiker, eine tschechische Historikerin, ein ungarischer Historiker – über den sich übrigens die tschechische Historikerin geärgert hat, das war im Grunde genommen ihr Austrittsgrund. Und dann sind eine Vielzahl anderer Historiker, die aus unterschiedlichen Bereichen kommen, auch sogar unterschiedliche Parteizugehörigkeit – soweit das dabei überhaupt eine Rolle spielen sollte, ich bin der Meinung, es soll keine Rolle spielen –, also ist sehr vielfältig besetzt, und dazu haben alle im Stiftungsrat ihre Hand gehoben.

Bürger: Manfred Kittel hat sich hier bei uns im Programm auch selbst gegen Helga Hirschs Vorwürfe verteidigt, hören wir auch ihn dazu:

Manfred Kittel: "Angesichts dieser Bemerkung sei mir vielleicht doch der Hinweis erlaubt, dass in dieser Forderung nach sozusagen souveräner Exekutive, wie sie es auch mal genannt hat, nicht zuletzt die Enttäuschung darüber mitschwingt, dass der Direktor keine Alleingänge gegen den Stiftungsrat und seinen Vorsitzenden unternimmt, aber ich kann nur unterstreichen, das wird der Direktor auch weiterhin nicht tun. Man muss, auch wenn das manchmal ganz mühsam ist, sich bemühen, gerade in dieser schwierigen Anfangsphase, mit den Gremien in enger Abstimmung vorzugehen. Und ich glaube, angesichts der Brisanz, die das Ganze politisch hatte, in gewisser Weise ja immer noch hat, ist es unrealistisch zu meinen, man könnte da sozusagen mit wesentlichen Eckpunkten der Konzeption die schon öffentlich diskutieren als schöne Idee, die der Direktor an einem Sonntagmorgen entwickelt. So funktioniert das nicht!"

Bürger: Manfred Kittel sieht da also offenbar noch längeren Abstimmungsbedarf in den Gremien, bevor man mit einem Konzept an die Öffentlichkeit gehen könne. Was ist denn Ihrer Ansicht nach, Frau Steinbach, dann der richtige Zeitpunkt?

Steinbach: Ich bin davon überzeugt, dass es nötig ist, jetzt abzuwarten, bis das Gesetz auf neue Füße gestellt wird. Und es hat ja eine Vereinbarung gegeben zwischen dem Bund der Vertriebenen und den Regierungsfraktionen, dass der Stiftungsrat erweitert wird, dass die Fläche des Gebäudes für die Ausstellung um 50 Prozent erweitert wird und wenn in dem Zusammenhang am Ende auch der wissenschaftliche Beirat noch etwas vergrößert wird. Und dann glaube ich, dass man insofern dann auch einen Neuanfang hat, weil die Zusammensetzung sich etwas anders darstellt.

Worüber man sich sicherlich Gedanken machen sollte, und das hat Herr Szarota bei seinem Rücktritt unter anderem als Grund angeführt, der sagte: Also er sieht sich nicht imstande, die innerdeutschen Debatten für sich auszufechten. Und da, glaube ich schon, ist mehr als ein Funken Wahrheit dran.

Wir können doch deutlich erkennen, dass die Debatte, wie gehen wir mit dem Thema Vertreibung von 15 Millionen Deutschen hier im Lande selber um, als Deutsche, die ist noch längst nicht ausgestanden. Ich bin sehr erfreut, dass diese Debatten jetzt geführt werden, und das ist auch wieder eine Gelegenheit, solche Debatten zu führen, aber ich bin auch davon überzeugt, wir überfordern jeden ausländischen Historiker, der da hineingeworfen wird, am Ende verlangt die eine Seite oder die andere Seite von ihm, Position zu beziehen, das bringt die Menschen in große Schwierigkeiten ...

Bürger: Ist das ein ...

Steinbach: ... zum Teil in Schwierigkeiten auch in ihren eigenen Ländern. Ich kann es Ihnen an einem Beispiel sagen: Mit unserer eigenen Stiftung des Bundes der Vertriebenen, nämlich dem Zentrum gegen Vertreibungen, hatten wir zu Beginn einen sehr guten polnischen Historiker dabei, der das mit Feuereifer gemacht hat und nach einem Jahr einen traurigen Brief geschrieben hat: Leider sieht er sich nicht mehr in der Lage, weil er sonst Gefahr läuft, seine Stelle in Polen zu verlieren.

Bürger: Frau Steinbach, ist das ein Plädoyer für weniger oder für mehr ausländische Berater?

Steinbach: Man muss sich darüber Gedanken machen und man sollte auch einfach mal in Ruhe mit den Persönlichkeiten darüber sprechen. Weil ich glaube, das dürfen wir auch anderen Menschen nicht antun, sie in eine Situation zu bringen, die für sie vielleicht möglicherweise sogar existenzielle Probleme hat. Für Herrn Szarota nicht, er ist aufgrund seines Lebensalters von existenziellen Fragen sicherlich nicht betroffen, aber man muss sich ja in dem eigenen Heimatland immer rechtfertigen. Und wie hoch die Debatten gehen, das hat nun jeder verfolgen können hier in Deutschland, was sich in Polen allein mit dem Thema und der Vokabel Vertreibung tut.

Bürger: Sie wollen das Thema jetzt aber nicht rein innerdeutsch behandeln?

Steinbach: Nein, ich sage nicht innerdeutsch, sondern die deutschen Heimatvertriebenen stammen ja aus ganz Mittelost-, Südosteuropa, deshalb haben wir auch in unserer eigenen Stiftung Historiker aus anderen Ländern. Aber man muss wissen, dass man diesen Menschen unter Umständen viel zumutet.

Bürger: Die Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung verliert mehr und mehr Rückhalt bei ihren wissenschaftlichen Beratern. Es hagelt Kritik, selbst Rücktrittsforderungen an den Stiftungsdirektor werden laut. Erika Steinbach, die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, stellt sich weiter hinter die Stiftung und ihren Präsidenten. Frau Steinbach, vielen Dank für das Gespräch!

Steinbach: Ich danke Ihnen auch, Frau Bürger, schönen Tag!
Mehr zum Thema