Stefan Ripplinger: "Vergebliche Kunst"

Warum Kunst hoffnungslos und vergebens ist

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Das Kunstwerk "Karnickelköttelkarnickel" des Künstlers Dieter Roth im Rahmen der Ausstellung "Vanitas - Ewig ist eh nichts" im Georg Kolbe Museum in Berlin. © picture alliance / dpa / Britta Pedersen
Von Dorothée Brill · 30.11.2015
Im Kapitalismus wird alles einer Kosten-Nutzen-Abwägung unterworfen. Kunst kommt dabei schlecht weg, der Künstler wird zum "überflüssigsten Menschen im Kapitalismus", schreibt Stefan Ripplinger in seiner Abhandlung "Vergebliche Kunst". Doch so düster bleibt seine Analyse nicht.
"In der Vergeblichkeit der Kunst finden wir unsere eigene", so lautet die zentrale These in Stefan Ripplingers vergnüglich zu lesender, wenngleich zuweilen etwas schwer nachvollziehbarer Abhandlung zur Vergeblichkeit von Kunst.
"Die Figur des Künstlers, das Scheitern seines Projektes ist es, was uns besonders interessiert in einer Zeit, in der unsere Projekte uns alle ein wenig futil vorkommen, weil sie Hoffnung ins Hoffungslose investieren."
So wird der Leser zum Gewährsmann des Autors. Denn Ripplinger wähnt uns im Einvernehmen darüber, uns sehenden Auges auf das Hoffnungslose zu gründen. Entsprechend wird die Künstlerexistenz zur Apotheose unserer eigenen, zum "Modellfall für das Leben als vergeudete Mühe." Des Künstlers Streben verpufft in Vergessenheit und Ignoranz.
Doch Ripplingers Vergeblichkeit unseres Seins ist so düster nicht. Zunächst einmal gilt sie ihm nicht als Grundkonstante, sondern als historisches Konstrukt. Vergeblich ist unsere Existenz erst, seit sie uns etwas geben soll.
"Sie ist dadurch zu einem Unternehmen geworden, das einer Kosten-Nutzen-Abwägung unterworfen ist."
In diesem Spiel hat der Künstler, als "überflüssigster Mensch im Kapitalismus", die schlechtesten Karten. Hiermit ist nicht nur das Reizwort gefallen, sondern auch der einzige wirkliche Gegner benannt, zugleich Ripplingers Basis. Denn das Vergebliche setzt sein Gegenteil voraus, etwas, das sich lohnt. Diese Annahme entspringt einer Ökonomie des Gebens und Nehmens. Jede Gabe erfordert eine Gegengabe, keine Leistung läuft ins Leere. Verausgabung ohne Zweck ist nicht vorgesehen. Geschieht sie dennoch, ist sie vergeblich.
Nutzlos ins Leere verpufft
Diese Verzahnung von Kapitalismus und Vergeblichkeit ist Ripplingers Brille, mit der er auf Denker wie Künstler des 20. Jahrhunderts blickt, zum Beispiel auf den Allrounder Dieter Roth: In einer Schweizer Lokalzeitung hatte dieser über hundert Anzeigen geschaltet. "Zwei Tränen sind besser als eine Träne!", "Die Kühe haben uns die meisten Filetsteaks serviert!" und andere Mitteilungen unklarer Funktion, doch oft ökonomischen Inhalts, waren zwischen Annoncen für Hochzeitsfotografen und Verdauungspillen zu finden. Als Kunst wie Werbung nutzlos, verpufften sie ins Leere.
Überaus nützlich schienen dagegen die handgemalten Schecks, mit denen Marcel Duchamp seinen Zahnarzt entlohnte, spätestens dann, als der Kunstmarkt den Arzt eingeholt hatte.
In den literarisch-philosophischen Positionen von Georges Bataille, Samuel Beckett, Maurice Blanchot oder William Bronk, denen Kunst nicht nur als vergeblich galt, sondern vergeblich sein sollte, sucht Ripplinger nach Nähe, Ferne oder gar Analogien zum Kapitalismus.
Dabei wird der Kampf gegen den Giganten zum Kampf gegen Windmühlen. Denn der Versuch, dem Kapitalismus mit Vergeblichkeit zu trotzen und sich dem Diktat der Effizienz zu entziehen, lässt die Vergeblichkeit, einer Schimäre gleich, schwinden. Vergeblich sind Werke nur, solange sie sich nicht vergeblich nennen. Das gleiche gilt für das Leben.

Stefan Ripplinger: Vergebliche Kunst
Matthes und Seitz, Berlin 2015
100 Seiten, 10,00 Euro

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