Stefan Aust im Interview

Das Problem ist die Sammlung des Wissens über Nutzer

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Stefan Aust im Gespräch mit Christian Rabhansl © Deutschlandradio Kultur / Sven Crefeld
Stefan Aust im Gespräch mit Christian Rabhansl · 11.10.2014
Regierungen und Geheimdienste überwachen uns. Internet-Konzerne und Elektronikhersteller analysieren unser Verhalten - der Autor und Journalist Stefan Aust warnt davor, die Regelungen der Datenspeicherung und die Routinen der Datennutzung den Behörden zu überlassen.
Deutschlandradio Kultur: Tacheles heute mit Christian Rabhansl von der Frankfurter Buchmesse und mit einem Gast, der seit Jahrzehnten als politischer Journalist arbeitet, für Panorama Filme gedreht hat, dann Spiegel-TV, lange Jahre Spiegel Chefredakteur, seit jüngstem Herausgeber der Zeitung DIE WELT. Stefan Aust, schön, dass Sie da sind.
Sie sind bei mir zu Gast, weil sie ein Buch geschrieben gemeinsam mit Thomas Ammann. Und Sie beschreiben darin eine rundum überwachte Welt in der wir leben. Der Untertitel lautet "Totalüberwachung, Datenmissbrauch und Cyberkrieg". Und der Haupttitel ist "Die digitale Diktatur". Herr Aust, wir leben in überwachten Zeiten, keine Frage, aber Diktatur? Tragen Sie da ein bisschen dick auf?
Stefan Aust: Nein, das glaube ich überhaupt nicht. Wir stellen uns normalerweise vor, dass die Diktatur aus einem Diktator besteht, der uns erzählt, was wir tun sollen, der uns aber vor allen Dingen überwacht. Und das ist nicht durchgehend der Fall. Das Entscheidende an einer Diktatur ist als erstes die Überwachung. Sie können Leute nicht dirigieren, wenn Sie sie nicht von morgens bis abends überwachen. Wenn Sie sich nach Berlin begeben und gehen in die Stasi-Unterlagenbehörde und sehen sich an, was die über die Jahre alles gesammelt haben aus einer Zeit, in der es ziemlich schwierig war, Leute zu überwachen. Sie mussten Mikrophone installieren. Sie mussten Telefone überwachen. Da haben sie Leute gebraucht, die dabei sitzen und zuhören. Und dann mussten sie zum Teil noch Leute haben oder in großem Umfang, die den ganzen Krempel abtippen.
Das ist heute alles sehr viel einfacher. Und wenn Sie sich vorstellen, was heute möglich ist, und wir leben ja nicht in jedem Land in einer Demokratie, dann haben Sie einen perfekten Überwachungsstaat, den sich George Orwell kaum hätte besser ausdenken können. Und ich glaube, es ist wichtig, dass wir uns das rechtzeitig klarmachen.
Deutschlandradio Kultur: Das ist die politische Dimension. Die ist auch klar geworden spätestens mit dem Paukenschlag der Enthüllungen durch Edward Snowden. Aber die ganzen technischen Voraussetzungen befinden sich gar nicht unbedingt auf Seiten der Geheimdienste, sondern das sind all die Dinge, die wir freiwillig die ganze Zeit tun.
Ich habe auch vorhin gesehen, Sie haben Ihr Smartphone gerade noch weggesteckt, damit es in der Sendung nicht stört. Also, Sie benutzen eines.
Stefan Aust: Ich habe es aber nicht ausgeliehen. Ich habe es nicht jemand anderes in die Hand gegeben.
Deutschlandradio Kultur: Ja. Aber wenn Sie ihre Cloud aktiviert haben, dann haben Sie eine ganze Menge ausgeliehen.
Stefan Aust: Wissen Sie was, das ist ein bisschen das Problem, mit dem wir uns alle nicht genügend auseinandersetzen. Wir setzen uns nicht damit auseinander, was wir alles an Daten weggeben, wenn wir diese ja sehr praktischen, modernen, wunderbaren, das Leben bereichernden und die Arbeit erleichternden Dienste nutzen. Aber wir machen uns normalerweise keinen Begriff davon, was wir alles an Daten rausgeben und welche Überwachungsmöglichkeiten wir damit schaffen.
Deutschlandradio Kultur: Man denkt immer, man weiß schon so viel über Überwachung. Und dann lese ich bei Ihnen aber nochmal eine Liste. Und beim Anschauen der Liste denke ich: 'So ganz bewusst macht man es sich dann doch häufig nicht, was alleine Facebook speichert.' Die letzten Chats werden gespeichert, die letzten Orte, auch die Orte der Personen, die mit mir in Verbindung stehen, mit wem ich verwandt bin, meine Verwandtschaftsbeziehungen, meine Lieblingszitate, gespeicherte Notizen, Schlüsselworte – ich höre jetzt hier auf. Die Liste geht noch ziemlich lange weiter und Sie schreiben sogar, Sie hätten diese Liste gekürzt.
Stefan Aust: Ja, das ist richtig. Das war allerdings Thomas Ammann, der die Liste gekürzt hat, der sich mit vielen technischen Dingen ein ganzes Stück besser auskennt als ich.

Ich dagegen hab mich ja im Laufe meines Lebens sehr viel mit Politik, mit Terrorismus, mit Geheimdiensten beschäftigt und ich kann mich entsinnen, was für eine große Diskussion es gegeben hat damals um die Volkszählung. Da waren viele Leute der Meinung, das jetzt die Bevölkerung überwacht wird. Sie haben beim Verfassungsgericht sogar gewonnen. Ich kenne die Anwälte, die das damals durchgezogen haben. Das war ein großes Thema.
Und wenn man heute zurückblickt auf die Zeit, auf die Daten, die damals gesammelt worden sind, war das ein Witz.
Ein Leben ohne elektronische Dienste - kaum vorstellbar!
Deutschlandradio Kultur: Das war harmlos.
Stefan Aust: Das war ein absoluter Witz im Vergleich zu dem, was heute jeden Tag passiert, ohne dass wir das wirklich wissen.
Deutschlandradio Kultur: Wir haben gerade Facebook angesprochen. Es gibt aber auch andere Firmen, wie zum Beispiel Google. Selbst wenn ich ganz bewusst versuche, solche Konzerne zu vermeiden, es wird schwierig. Google ist einmal die größte Suchmaschine der Welt. Es ist das größte Videoportal mit YouTube. Es ist ein Riesenemailanbieter mit Gmail. Es ist ein Browser, der genau registriert, was tue ich mit Chrome. Es ist das größte Mobilbetriebssystem für Handys mit Android usw. usf. – Ist denn ein Leben ohne all das überhaupt möglich? Kann man sich da noch entziehen?
Stefan Aust: Nein, man kann sich das gar nicht mehr vorstellen, dass man ohne diese elektronischen Dienste, die ja wirklich sehr gut funktionieren, überhaupt leben kann.
Wissen Sie, ich habe ja viele Jahre beim Spiegel gearbeitet. Da war das, was den Spiegel geradezu ausgezeichnet hat, die Dokumentation. Da saßen irgendwie 60, 80 Leute. Die waren bewaffnet mit einer Schere und mit Kleister oder Tesafilm und haben in Wahrheit nichts anderes gemacht als Zeitungsartikel auszuschneiden und auf irgendeine Weise zu archivieren. Sie hatten riesengroße Leitzordner, ganze Galerien. Die wussten allerdings, wo sie was zu suchen haben. Und das hat den Spiegel weitgehend ausgemacht zur damaligen Zeit. Das waren nicht die großen geheimen Dinge, die sie gesammelt haben in dieser legendären Dokumentation, sondern es waren ein paar Leute, die wussten, um welche Themen es geht, und die entsprechende Zeitungsartikel, Bücher, alles Mögliche gesammelt haben und wussten, wo sie was finden.
Das ist heute in Wahrheit ziemlich überflüssig geworden, weil Sie jedes Thema der Welt, jedes beliebige Thema der Welt mit drei Handgriffen bei Google oder bei anderen Anbietern erfahren können. Das Wissen der Welt ist dort ja gesammelt.
Das Problem ist nicht, dass es dort gesammelt ist. Das macht die Sache ja eigentlich sehr viel einfacher, aber das wirkliche Problem ist, dass dieses Wissen nicht nur gespeichert und rausgegeben wird, sondern dass damit viele Dinge auch gesammelt werden über den Nutzer. Wir haben in den letzten Monaten ja außerordentlich viel darüber gelernt, einfach indem mal einer aus dem Laden ausgestiegen ist, jetzt nicht bei Google, sondern aus der NSA ausgestiegen ist, nämlich Snowden. Unter nicht ganz geklärten Umständen, wie das alles abgelaufen ist, aber eines ist ganz sicher:: Er hat uns allen einen Einblick in diese Welt verschafft, wie wir sie vorher nicht für möglich gehalten haben.
Deutschlandradio Kultur: Nun ist das mit diesen ganzen registrierten Daten über uns, über Suchanfragen und was wir so online treiben, vergleichsweise schon ein alter Hut. Das, was jetzt kommt, ist, dass eigentlich unsere ganzen Alltagsgegenstände mehr und mehr vernetzt werden. Und auch da ist die Firma Google natürlich groß dabei. In ein paar Jahren, vielleicht in Jahrzehnten, wer weiß, wann wir mit den selbstfahrenden Autos fahren, dann wissen die noch viel mehr über uns.
Stefan Aust: Na gut, ich fahre immer mit einem selbstfahrenden Auto, nämlich mit der U-Bahn und mit der S-Bahn. Das finde ich nicht das Gravierendste. Aber das, was Sie eben gesagt haben mit zum Beispiel den Haushaltsgegenständen und dergleichen, da sagt man sich: Ja gut, warum soll mein Kühlschrank nicht merken, wenn die Milch sauer ist, und mir gleichzeitig eine neue Milch bestellen.
Aber auf der anderen Seite führt das natürlich dazu, dass die Verhaltensweisen von Leuten auf eine Weise ausgeforscht werden, wo mein alter Freundfeind Horst Herold, der Chef des Bundeskriminalamtes, wahrscheinlich vor Begeisterung an die Decke springen würde. Ich bin mit diesen Sachen zur Zeit der Terrorismusfahndung besonders intensiv konfrontiert worden, weil es da so einen Begriff gab, irgendeine neue Methode, Täter oder mutmaßliche Täter zu fangen, nämlich das war die Rasterfahndung. Da haben Sie drei Daten in den Computer eingegeben, was weiß ich, eine Wohnung, bei der die Miete bar bezahlt wird und dann auch noch der Strom bar bezahlt wird. Dann können Sie ungefähr schon davon ausgehen, dass es eine illegale Wohnung ist.
Das heißt, es sind ja sehr wenige Daten notwendig, um bestimmte Dinge und bestimmte Leute ausfindig zu machen. Und das hat hier auf eine Weise überhandgenommen, die uns wirklich zu denken geben muss.
Deutschlandradio Kultur: Trotzdem nochmal zurück zu meiner Frage, die ich ja anfangs stellte. Es sind sehr viele Daten über uns bekannt. Aber was macht das für Sie zu einer Diktatur?
Stefan Aust: Bleiben wir mal bei einem ganz simplen Problem. Sie haben ein Auto, vermute ich mal. Sie haben ein Navi im Auto. Es ist heute technisch überhaupt kein Problem, dass Sie im Auto so was wie eine Blackbox einrichten wie beim Flugzeug, so dass man jederzeit wissen kann, wo Sie gewesen sind, wie schnell sie gefahren sind, wo Sie falsch geparkt haben. Dann kann man, wenn ein Unfall ist, sofort rekonstruieren, wer es gewesen ist. Man kann feststellen, wo Sie immer gewesen sind. Vielleicht findet Ihre Frau das gar nicht so komisch, dass Sie an bestimmten Orten gewesen sind. Die Polizei findet es ganz toll, wenn sie zu schnell gefahren sind. Einmal im Monat wird abgefragt, wo Sie gewesen sind und wann Sie zu schnell gefahren sind. Dann kriegen Sie die Rechnung oder den Führerschein entzogen.
Ist es das, was Sie sich unter einem freiheitlichen demokratischen Staat vorstellen?
Deutschlandradio Kultur: Nein. Aber ist es schon das, was eine Diktatur ist?
Stefan Aust: Ich glaube, das ist ein ganz großer Schritt in die Diktatur. Die Überwachung, die Totalüberwachung menschlicher Verhaltensweisen ist die Basis jeder Diktatur.
Und dann kommt noch eines dazu, wenn ich das noch ergänzen darf. Das System funktioniert ja so, das können Sie bei Amazon einfach sehr deutlich sehen: Sie bestellen ein Buch zu einem bestimmten Thema und Sie kriegen die Vorschläge für die anderen Bücher. Das heißt, demnächst kriegen Sie wahrscheinlich das Buch zugeschickt, was Sie noch gar nicht bestellt haben, und Sie freuen sich, dass sie es kriegen. Und es steht drin, Sie können es wieder zurückschicken, aber Sie können jederzeit auf irgendeine Weise ausspioniert werden.
Wie gesagt, ich komme ja aus den 60er Jahren. Erinnern Sie sich mal daran. Ich war nie in der DKP, möchte ich jetzt mal sagen, das kann man auch nicht googeln, wird man nicht feststellen. Aber es gab eine große Diskussion damals um den Radikalenerlass. Mitglieder der DKP durften weder Lehrer, noch Lokomotivführer werden. Das kann man sich heute kaum noch vorstellen. Man kann sich auch nicht vorstellen, dass noch jemand in die DKP geht. Aber das nur mal am Rande.
Damals gab es Verfahren, Prozesse, die dazu geführt haben oder bzw. die Betroffenen haben dagegen geklagt, meistens haben sie verloren, da wurde gesagt, Sie sind Funktionär der DKP und stehen nicht auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung. Und dann mussten die Ihnen nachweisen, dass Sie Mitglied sind oder dass Sie eine bestimmte Funktionärsrolle übernehmen.
Mit den heutigen Methoden können Sie im Grunde schon am Bestellen eines Buches oder von mehreren Büchern feststellen, wes Geistes Kind die Leute sind. Und wenn Sie dann wieder eine Zeit haben, in der bestimmte Sachen zum Beispiel ausgeschlossen sind, dann sind die Leute ganz schnell auszusortieren. Wir dürfen doch nicht denken, dass die Demokratie, in der wir im Augenblick leben, bei uns oder in anderen Ländern unbedingt auf Ewigkeit so sein muss. Das haben wir in unserer Vergangenheit wirklich lernen müssen.
Deutschlandradio Kultur: Das heißt, die Technologie als solche ist weniger das Problem und auch zurzeit vielleicht noch nicht so das Problem, aber wenn ich dann Beispiele lese, dass zum Beispiel in Dubai die Polizei jetzt Google-Glas, diese Brillen einsetzen will mit Gesichtserkennung, ja, brauchen wir dann für solche Elektronik künftig quasi Rüstungskontrolle?
Stefan Aust: Das weiß ich nicht, auf welche Weise man das regeln will. Aber wissen Sie, Sie müssen jetzt gar nicht mit den Google-Brillen anfangen oder mit der Gesichtserkennung. So was Ähnliches gibt es ja schon seit langer Zeit. Also, in London zum Beispiel gibt's seit vielen Jahren außerordentlich viele Überwachungskameras in den Innenstädten und angeblich, und ich will das auch gern glauben, ist die Kriminalitätsrate dort runtergegangen. Es ist gar nicht so, dass ich nur der Meinung bin, dass man Sicherheit total über Bord werfen sollte. Und ich glaube, dass es auch richtig ist, dass in bestimmten Bereichen tatsächlich Überwachungskameras eingesetzt werden, wenn man aus den Erfahrungen gesehen hat, dass dort, besonders viel Kriminalität passiert.
Aber finden wir das eigentlich richtig, wenn vorab schon einmal jeder überwacht wird, der überhaupt über eine Straße geht? Und das ist natürlich in der Zwischenzeit alles möglich. Und wir sind alle bereit, unsere Daten freiwillig dazu zu tun. Ich muss Ihnen sagen, ich bin nicht bei Facebook, aber vielleicht ändere ich das mal irgendwann, einfach um auch mal am eigenen Leib ein bisschen mehr nachzuvollziehen, was eigentlich passiert, wenn man über diese Gefahren weiß und es trotzdem tut.
Ich glaube, dass es ganz viele junge Leute gibt, die überhaupt gar nicht wissen, was sie da alles reintun. Aber irgendwann in sieben Jahren wollen sie sich vielleicht mal irgendwo bewerben und der Personalchef hat einen Zugang.
"Wir haben keine Verfügungsgewalt mehr über unsere eigenen privaten Daten."
Deutschlandradio Kultur: Besteht möglicherweise die Gefahr weniger bei den ganzen privaten Internetkonzernen, Onlinekonzernen, die all die Daten über uns sammeln, sondern die Gefahr besteht erst dann, wenn Staaten das nutzen, missbrauchen?
Stefan Aust: Ich glaube nicht nur, dass Staaten das nutzen. Ich glaube, dass auch die Kontrolle von Verhalten durch private Unternehmen durchaus problematisch sein kann.
Im Übrigen darf man eines nicht vergessen. Es ist ja damals durch dieses Verfassungsgerichtsurteil in Sachen Volkszählung ein Bereich der Datenautonomie, sagen wir mal, gesichert worden, des persönlichen Datenschutzes. Das, was im Augenblick passiert, hat damit nicht mehr das Geringste zu tun. Wir haben keine Verfügungsgewalt mehr über unsere eigenen privaten Daten. Es kommt noch eines erschwerend hinzu, dass diese Konzerne – weil die Amerikaner weit, weit, weit vorne sind dabei, das muss man auch voll Neid anerkennen – die Daten hier ein sammeln, sie schicken nach Amerika und anschließend wieder zurück und damit unsere Gesetze umgehen. Darüber denken im Augenblick die Politiker durchaus ernsthaft nach.
Deutschlandradio Kultur: Zur politischen Lösung kommen wir gleich noch. Wenn Sie jetzt mehrfach schon das Urteil des Verfassungsgerichtes zur informationellen Selbstbestimmung angesprochen haben, eins der Argumente lautete ja, dass das Wissen, ich könnte immer überwacht werden oder ich werde immer überwacht, mein Verhalten verändert.
Stefan Aust: Ja, da ist ein zentraler Punkt.
Deutschlandradio Kultur: Ich frage mich, haben die nicht komplett danebengelegen die Richter. Ich frage hier unser Publikum auf der Frankfurter Buchmesse. Wer hat denn in der Ära nach Snowden seinen Facebook-Account stillgelegt? Wer hat sein Smartphone weggeworfen? Und ich sehe keine einzige Hand hochgehen, Herr Aust.
Stefan Aust: Man muss es auch nicht unbedingt wegwerfen, aber ich kann Ihnen sagen: Nun weiß ich nicht, ob sie uns da nicht besonders übertölpeln. Ich rede ja gelegentlich mit höheren Verfassungsschutzbeamten oder Leuten vom BND. Die sagen immer, ja, sie hätten ein ganz großes Problem, Skype zu überwachen. Das könnte man so wahnsinnig schlecht knacken. Und auch mit WhatsApp und Threema sei das besonders kompliziert das zu knacken. Vielleicht wollen sie uns nur ermuntern, das zu benutzen, weil die dann wissen, dass die geringere Zahl der Leute, die das benutzen, durchaus gefährlich ist.
Aber ich sage Ihnen ganz simpel: Es geht ja auch nicht nur allein um unsere Behörden hier. Also, wir trauen ja weder dem Verfassungsschutz was Schlechtes zu, noch dem Bundesnachrichtendienst, noch irgendwelchen anderen. Und ich bin auch keinesfalls auf irgendeine Weise paranoid. Aber gerade letzte Woche war ein Kollege von mir in Afghanistan. Und da ging es um ein paar Fragen, wohin er fährt. Fährt er nach Kundus? Fährt er nicht nach Kundus? Fährt er mit einem Kamerateam hin? Welchen Flug nimmt er und dergleichen mehr.
Ich sage Ihnen, das haben wir verschlüsselt kommuniziert, weil, man weiß natürlich in Wirklichkeit nicht, wer in den Besitz von welchen Daten kommt inzwischen. Und wenn Sie sich das ganze Problem der IS angucken, also des Islamischen Staates, die sind ja geradezu Internetpioniere, wenn man sich das anguckt. Sozusagen diese Jugendkultur Mord, die da im Internet stattfindet, lässt darauf schließen, dass die außerordentlich gute und wirklich ausgebildete Leute haben, die sich mit dem Internet auskennen. Und wir dürfen ja nie davon ausgehen, dass die Daten, die wir rausgeben, tatsächlich immer in den richtigen Händen landen, sondern möglicherweise ganz woanders.
Deutschlandradio Kultur: Die sind sehr internetaffin und posten ihre Morde auf diversen Videoplattformen. Gleichzeitig finde ich das ein erstaunliches Beispiel: Wir haben Geheimdienste, die offenbar alles über uns wissen. Die wissen, mit wem ich heute schon telefoniert habe, wem ich gestern beim Schlafengehen eine SMS geschickt habe. Die wissen, in welchem Hotel Sie wohnen, welchen überzogenen Messepreis Sie hier bezahlen. Die wissen, ob Ihre Tochter noch Fieber hat. Das wissen die alles. Und trotzdem waren die völlig überrascht davon, dass es da plötzlich den Islamischen Staat gibt. Die waren völlig überrascht von dem Anschlag in Boston auf den Marathon. Die waren völlig überrascht von der Krim-Krise und dergleichen. – Haben Sie eine Erklärung dafür, dass Geheimdienste alles wissen und nichts begreifen?
Stefan Aust: Ja. Das hat Michael Hayden, den wir mal interviewt haben, Michael Hayden war der langjährige Chef der NSA und war später dann Chef der CIA nach Nine Eleven, der hat das mal so erklärt. Ich hab den mal interviewt. Da ging es um die Frage, dass die CIA die Namen von zwei der später als Flugzeugentführer in Nine Eleven identifizierten Personen kannte. Und sie kannten nicht nur die Namen, sondern wussten auch, dass sie an einem Treffen in Manila teilgenommen hatten, an dem über Anschläge mit Hilfe von Flugzeugen geredet worden ist. Das war vollständig überwacht worden. Und sie wussten sogar, dass die gültige frische amerikanische Visa hatten. Trotzdem sind sie in San Diego eingereist.
Nun kann man sich die Frage stellen: Wie kann das sein? Und Michael Hayden hat uns über diesen Vorgang – ich glaube, der wird da ziemlich geheim gehalten, was sich da tatsächlich abgespielt hat – nicht im Detail Auskunft gegeben, aber er hat gesagt: It was not a lack of information. It was a lack of fantasy.
Das heißt, sie sammeln so viel Information, dass sie sich eigentlich mit Information zumüllen und nicht mehr auf naheliegende Gedanken kommen. Und in der Tat ist es natürlich so. Nach Nine Eleven sind deswegen ja auch zwei hochrangige NSA-Leute ausgestiegen, William Binney, mit dem haben wir ja auch geredet für das Buch, der war damals praktisch der Direktor für elektronische, für technische Entwicklung dort, der hat gesehen, dass die Sperren, die die NSA daran gehindert hat, einfach flächendeckend amerikanische Bürger zu überwachen, ausgehebelt worden sind. Deswegen ist der ausgestiegen. Er ist zwar eigentlich eher ein Konservativen, so konservativ, dass er fast bei der Tea-Party ist. Aber er ist auch einer der ersten Whistleblower.
Und in diesem Zusammenhang ist es eben so, dass sie sich häufig mit Daten einmüllen und dann nicht mehr feststellen, was eigentlich tatsächlich in der Welt passiert. Ich meine, jeden amerikanischen Bürger zu überwachen und gleichzeitig nicht zu merken, dass die IS entsteht entsteht.
Deutschlandradio Kultur: Und genau das findet ja statt. Und Sie haben jetzt gerade erwähnt die ehemaligen NSA-Mitarbeiter, die Sie befragt haben jetzt auch für das Buch. Ich glaube, Sie haben einen davon auch gefragt: Wozu eigentlich das alles?
Stefan Aust: Ich nenne das immer das Kartoffel-Theorem. Jetzt ist die Kartoffel da, jetzt muss sie auch gegessen werden. Das heißt...
Deutschlandradio Kultur: ...was immer anfällt, wird gespeichert...
Stefan Aust: Richtig. Es ist eine technische Entwicklung. Und diese technische Entwicklung eröffnet bestimmte Möglichkeiten. Und die werden dann eingesetzt, auf Deubel komm raus, ganz egal ob es wirklich Sinn macht oder ob es nicht Sinn macht. Und ich glaube, es ist notwendig, jetzt langsam mal darüber nachzudenken, ob sich dieser ganze Apparat nicht total verselbständigt hat. Das ist der Punkt, wo es wirklich nicht mehr darauf ankommt, ist es eigentlich sinnvoll, ist es zweck-, ist es zielführend und werden nicht bestimmte Rechte, Bürgerrechte auf eine Weise verletzt. Was erstens nicht wirklich notwendig wäre, und zweitens geraten wir in eine vorbeugende Überwachung der gesamten Bürger, und zwar nicht nur eines Landes, sondern der ganzen Welt.
Ich bin da nicht paranoid, um das mal deutlich zu sagen. Aber Sie können doch davon ausgehen, dass, wenn Sie Ihre Daten über Amazon, über Google oder über Facebook einmal in den Apparat reinfüttern, dass es den amerikanischen Behörden sehr leicht möglich ist, an diese Daten ranzukommen. Das entspricht schon amerikanischer Gesetzeslage.
Deutschlandradio Kultur: Die ehemaligen NSA-Mitarbeiter, die Sie gesprochen haben, die haben viel berichtet, wie da vertuscht wird. Und es ist auch immer zu beobachten gewesen, wenn dann mal NSA-Mitarbeiter zum Beispiel vor dem Kongress aussagen mussten in Washington, wie sehr die doch eine Haarspalterei betreiben. Also, dann ist so was wie Datenspeichern was anderes als Datensammeln, ist was anderes als Datendurchforsten. – Was haben Sie denn so Schönes gelernt über Formulierungskunst von Geheimdiensten?
Stefan Aust: Wir haben nichts gelernt. Wir haben nur gelernt, dass die zum großen Teil ja wirklich juristisch sehr gut vorgebildet sind und juristisch ganz bestimmte Begriffe einordnen können. Und wenn sie nicht haarscharf genau nach dem richtigen Begriff fragen, dann kriegen Sie die entsprechend richtige oder falsche Antwort.
Im Übrigen ist das ganz ähnlich, wir haben uns ja sehr intensiv beschäftigt mit dieser ganzen NSU-Affäre, da ist es in der Tat so, wenn Sie danach fragen, gibt es über den Verfassungsschutzagenten Michael See, genannt Tarif, gibt es da, was weiß ich, die Treffberichte, oder gibt es die Deckblätter. Und ich sage Ihnen, die lügen Ihnen die Hucke voll, weil sie sagen, nein, danach haben Sie ja nicht gefragt. Die sind da dann außerordentlich spitzfindig und Sie kriegen nur das, was die Ihnen geben ollen. Und da ist nicht gerade viel.
Obwohl, man muss sagen, im Bund hat der Untersuchungsausschuss wirklich eine ziemlich gute Arbeit gemacht und im Bundesland Thüringen noch mehr. Und die fangen auch wieder damit an. Ich glaube, es ist auch wirklich notwendig, nicht nur wegen der Fälle selbst, das genau zu überprüfen, sondern auch wegen der Methoden, mit denen die Dienste in dem Falle gearbeitet haben, und natürlich gescheitert sind.
Deutschlandradio Kultur: Diese Spitzfindigkeit erleben wir aber auch im NSA-Untersuchungsausschuss, wo wir jetzt gerade letzte Woche erfahren haben, dass offenbar jahrelang der BND direkt hier paar Kilometer nur von der Buchmesse entfernt Daten von dem weltgrößten Internetknotenpunkt hier in Frankfurt weitergereicht hat an die NSA. Jahrelang hat das wohl stattgefunden. Und das ist früher verneint worden. Und in der Antwort war das kleine Wort „automatisch" eingefügt. Es habe kein automatisches Weiterreichen gegeben.
Stefan Aust: Das sind die Spitzfindigkeiten.
Deutschlandradio Kultur: Das sind die Spitzfindigkeiten. Wir sehen jetzt diesen NSA-Ausschuss wirklich kämpfen mit geschwärzten Akten, mit solchen komischen Aussagen. – Wie beurteilen Sie da den Aufklärungswillen und die Aufklärungsfähigkeit im NSA-Ausschuss?
Stefan Aust: Also, ich glaube, die sind sehr begrenzt. Und ich glaube, es hat auch gute Gründe, dass sie sehr begrenzt sind. Und ich glaube, das Hauptproblem des BND ist nicht, dass er zu viel weiß, sondern vielleicht eher, dass er zu wenig weiß. Ich bin kein Gegner von Nachrichtendiensten. Ich glaube, es muss Nachrichtendienste geben. Es kann nicht sein, dass wir nicht überwachen, was sich da an Problemen zusammenbraut.
Ich glaube nur, dass die flächendeckende Überwachung nicht das richtige Ziel dafür ist. Und ich glaube erst recht nicht, dass es richtig ist, alle wichtigen Dinge an die NSA zu übertragen, um dann nach deren Gutdünken mit Akten und mit Informationen beliefert zu werden oder eben nicht beliefert zu werden. Wir sind kein Dienstleister der NSA. Und deswegen glaube ich, dass es notwendig ist, auch wenn das auf den ersten Blick dem, was wir hier deutlich machen wollen, widerspricht, ich glaube, der Bundesnachrichtendienst und auch der Verfassungsschutz müssen genügend ausgestattet sein, um ihren Aufgaben nachzukommen. Das ist, glaub ich, wirklich wichtig. Und natürlich ist ein solcher Untersuchungsausschuss wie der NSA-Untersuchungsausschuss immer eine zwiespältige Angelegenheit.
Wissen Sie, wenn Sie zu viel Informationen preisgeben, dann wird kein Nachrichtendienst der Welt mehr mit Ihnen zusammenarbeiten. Und dann sind wir nicht nur ausgeschlossen aus dem engeren Zirkel, sondern überhaupt. Und die Gefahren, die vorhanden sind, sind ja tatsächlich vorhanden.
Deutschlandradio Kultur: Kommen wir nochmal auf die Arbeit des Ausschusses zurück oder auf den Vorsitzenden, Patrick Sensburg von der CDU. Da waren ja Zeugen geladen, zum Beispiel der NSA-Ex-Direktor William Binney, von dem Sie schon gesprochen haben, oder auch Thomas Drake, ein ehemaliger Analyst.
Hatten Sie das Gefühl, die wurden so gut von Herrn Sensburg befragt, wie das nötig gewesen wäre?
Stefan Aust: Nein, im Gegenteil. Bei Binney konnte man eines sehr deutlich sehen. Der ist stundenlang mit ziemlich nebensächlichen Fragen über seine Karriere, wann er wohin gekommen ist usw. befragt worden, um den Mann, der ist nun auch noch schwer behindert, der ist zuckerkrank, ihm fehlen beide Beine, geradezu durch Befragung in die Erschöpfung zu treiben bis er müde ist, wenn es um die wirklichen eingemachten Dinge geht. Der hat sich da unheimlich gut gehalten. Und der Drake hat sich da auch sehr gut gehalten, muss ich wirklich sagen.
Aber man hat nicht den Eindruck, dass der Vorsitzende nun begeistert war, dass die beiden überhaupt als Zeugen zur Verfügung standen.
Deutschlandradio Kultur: Und den nächsten Zeugen Edward Snowden will er ja nun auch nicht haben. Wenn dieser Aufklärungswillen da doch sehr gemischt ist im Untersuchungsausschuss, sehen Sie denn bei der Bundesregierung einen Aufklärungswillen?
Stefan Aust: Ja. Die Bundesregierung hat einen bestimmten Aufklärungswillen, aber der ist natürlich auch gebremst durch die deutsch-amerikanischen Beziehungen. Das darf man nicht vergessen. Natürlich war die Kanzlerin irgendwie empört darüber, ich weiß nicht, ob sie überrascht darüber war,
Deutschlandradio Kultur: ... kann eigentlich nicht gewesen sein...
Stefan Aust: ...dass man offenbar ihr Handy abgehört hat. Ich weiß auch nicht, ob die sehr viel daraus entnommen haben, wie die Pläne der Bundesregierung sind. Aber es gehört sich eigentlich nicht unter so engen Verbündeten, auf diese Weise einander auszuspionieren.
Deutschlandradio Kultur: Trotzdem, wie glaubwürdig ist denn da in Ihren Augen die Empörung der Kanzlerin, wenn sie Sachen sagt wie, „auf deutschem Boden muss deutsches Recht gelten", und jetzt erfahren wir vor ein paar Tagen, dass der BND...
Stefan Aust: Soll sie das Gegenteil sagen? Soll sie sagen, die Amerikaner dürfen hier machen, was sie wollen, das sicherlich nicht.
Deutschlandradio Kultur: Soll sie noch mehr schweigen?
Stefan Aust: Sie meinen, die schweigt schon genug?
Deutschlandradio Kultur: Ja.
"Sag das nicht am Telefon!"
Stefan Aust: Ich glaube, das war das Mindestmaß dessen, was sie tun musste. Und in der Tat war das durchaus schon eine strenge Maßnahme, dass man einen wichtigen amerikanischen Geheimdienstmitarbeiter nicht geradezu ausgewiesen hat, aber ihn doch aufgefordert hat, das Land zu verlassen. Das hat es, glaube ich, so schnell auch noch nicht gegeben bei uns. Das ist immerhin ein Zeichen dafür, dass man noch eine gewisse Souveränität hat.
Deutschlandradio Kultur: Nach Herrn Sensburg und Frau Merkel möchte ich jetzt noch auf einen dritten und damit dann auch letzten Politiker kommen: Klaus-Dieter Fritsche. Der ist Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt und der hat jetzt zu dieser Datenweitergabe vom BND zur NSA in der aktuellen Fragestunde des Bundestags gesagt, dass er das Publikwerden der Unterlagen sehr bedauert. Er hat nicht gesagt, er würde irgendwie diese Weitergabe bedauern. Und er hat auch schon an anderer Stelle mal das Tornetzwerk, das ist so ein Netzwerk, das kann ich bei mir installieren, damit meine Internettätigkeiten nicht verfolgt werden können, als einen "Unterschlupf für Kriminelle" bezeichnet. – Was antworten Sie so einem?
Stefan Aust: Also, das ist nun mein spezieller Freund, muss ich sagen. Ich kenne ihn persönlich übrigens überhaupt nicht, aber ich weiß, dass er viele Jahre Vizepräsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz gewesen ist. Und als im Zusammenhang mit der NSU-Geschichte das Schreddern von Akten, das flächendeckende Schreddern von Akten, und zwar gezieltes Schreddern von Akten, bekannt geworden ist, da hat er im Untersuchungsausschuss in Berlin geradezu rumgejammert, wie jetzt die armen Verfassungsschützer alle irgendwie einem Shitstorm unterzogen werden.
Und dann hat er einen wunderbaren Satz gesagt. Und der lautet nämlich: "Staatsgeheimnisse dürfen nicht bekannt werden, die Regierungshandeln unterminieren."
So. Jetzt müssen Sie sich mal den Wortlaut angucken. Da ist nicht ganz klar, sind es die Staatsgeheimnisse, die das Regierungshandeln unterminieren oder das Bekanntwerden der Staatsgeheimnisse, die das Regierungshandeln unterminieren, aber er hat damit also wirklich präzise gesagt, dass es im Zusammenhang mit dieser NSU-Mordserie offenkundig Staatsgeheimnisse gibt. Und das, wovor die am meisten Angst haben, ist natürlich, dass solche Sachen auffliegen.
Und was diese zentrale Überwachung anbetrifft, will ich Ihnen sagen, ich bin ja so eine Art Journalist und habe mich viele Jahre mit Themen beschäftigt, bei denen manche Behörden nicht so begeistert darüber waren, dass man sich damit beschäftigt hat. Und da hat man gelegentlich mal Informationen gekriegt, zum Beispiel aus Dienststellen. Natürlich hat man schon mal mit einem Polizisten geredet oder der hat einem da irgendwas erzählt oder auch mit einem Verfassungsschützer.
Und das Wichtigste – und das ist es immer gewesen, das war schon beim großen Lauschangriff so, ist nicht primär, Straftäter zu finden, das können Sie Herrn Fritsche, wenn Sie ihn mal treffen, ausrichten. Sondern es geht darum, Quellen zu enttarnen. Das ist der entscheidende Punkt. Und das führt manchmal dazu, wenn man mit Leuten redet, die auch in der Politik relativ hoch stehen und sich auch gerade mit dem Sicherheitsapparat gut auskennen, da habe ich schon erlebt, dass man mit denen im Restaurant sitzt und über auch durchaus prekäre Sachen redet. Und anschließend geht man raus und auf der Treppe, hab ich gerade neulich erlebt, sagt er: Kümmert euch mal um das und das, aber sag das nicht am Telefon deinem Co-Autoren. Das passiert.
Und ich glaube, dagegen muss man sich wirklich sträuben. Sie dürfen ja auch nicht vergessen, immer wenn die sagen, es geht um Kriminelle, manchmal ist es ja auch so, dass Leute anschließend unschuldig sind.
Deutschlandradio Kultur: Wir haben jetzt über die Überwachung durch Staaten gesprochen, durch Geheimdienste, durch Onlinekonzerne, durch Privatwirtschaft, wie sich unser Verhalten ändert oder auch nicht. Das ist jetzt beileibe nicht das erste Buch zu diesem Thema. Es ist beileibe nicht das erst Gespräch, das zu so einem Thema geführt wird.
Stefan Aust: Wird auch nicht das letzte sein.
Deutschlandradio Kultur: Es wird auch nicht das letzte sein. Was erstaunt Sie denn eigentlich mehr, das Ausmaß der Überwachung oder das Ausmaß der Gleichgültigkeit von uns allen?
Stefan Aust: Ich glaube, die Gleichgültigkeit nimmt ab. Und das kann man merken. Ich glaube, dass gerade die Snowden-Affäre – da gibt's ja auch noch viele ungeklärte Fragen in der Angelegenheit – aber unterm Strich hat er uns für viele Dinge die Augen geöffnet. Und ich glaube, das ist auch wichtig, dass das passiert ist, dass wir vor allen Dingen eines wissen, und das ist mir, ehrlich gesagt, auch nicht so bekannt gewesen und so klar gewesen, bevor wir an diese Problematik rangegangen sind, wie eng die großen Internetfirmen, die großen amerikanischen Internetfirmen mit der NSA zusammenarbeiten.
Ich will ihnen gar nicht unterstellen, dass sie es immer freiwillig tun, aber aufgrund der amerikanischen Gesetzeslage haben die praktisch einen Zugriff auf alles, muss man sagen.
Deutschlandradio Kultur: Als ich nach 350 Seiten am Ende Ihres Buches angelangt war, hatte ich ziemlich viel Entmutigendes gelesen.
Stefan Aust: Nö.
Deutschlandradio Kultur: Doch, finde ich schon.
Stefan Aust: Aber hinten gibt's auch ein paar positive Bemerkungen, was man machen muss.
Deutschlandradio Kultur: Ja, dazu will ich ja gerade kommen. Normalerweise lese ich dann am Ende eines Sachbuches immer ein Kapitel, in dem dann der Autor, die Autorin erklärt, wie die Welt zu retten sei. Ganz so fällt das bei Ihnen nicht aus. Es wirkt trotzdem so ein bisschen hilflos. – Sind wir hilflos?
Stefan Aust: Nein, wir sind nicht hilflos, aber ich betreibe den Journalismus nun lange genug, um zu wissen, dass man sich da auch nicht übernehmen darf. Wir sind nicht dazu da, die Welt zu retten, sondern wir sind dazu da, einen kleinen Beitrag zur Aufklärung zu leisten und den Leuten die Möglichkeit zu geben, selbst aktiv zu werden oder aber ein Problem so zu schildern, dass sich gefälligst andere Leute Gedanken darüber machen sollen, wie man das Problem ändert.
Ich glaube, das Erste und Wichtigste überhaupt ist, dass die Leute wissen, wenn sie eine bestimmte Dienstleistung, eine technische Dienstleistung annehmen und nutzen, welchen Preis sie dafür zahlen. Und wenn es umsonst ist, ist der Preis manchmal besonders hoch. Vielleicht wäre es besser, für manche Dinge ein bisschen mehr zu zahlen. Das ist ja wie beim Bio-Essen. Und ich kann mir vorstellen, dass, wenn das Bewusstsein dafür wächst, Leute, wenn sie technische Dienstleistungen in Anspruch nehmen, sich vorher überlegen, welche sie nehmen. Und vielleicht entsteht da auch ein ganz neuer Markt für digitale Bioprodukte, wenn Sie so wollen.
Und ich bin ziemlich sicher, wenn das Bewusstsein dafür steigt – und vielleicht haben wir einen kleinen Beitrag mit dazu geleistet, dieses Bewusstsein zu steigern – dass Leute dann sagen, ach, dann gehe ich doch mal zu einem anderen Dienstleister, der mir versichert, dass meine Daten nicht in diesem Ausmaß gesammelt werden, sondern dass ich das mache, was ich will, nämlich einen Brief schreiben oder telefonieren.
Deutschlandradio Kultur: Dann schauen wir mal, ob dieser kleine Beitrag hilft, dass wir da vielleicht ein bisschen besser aufpassen. Stefan Aust, haben Sie vielen Dank für Ihren Besuch in Tacheles.
Stefan Aust: Ich danke Ihnen, Dankeschön.
Deutschlandradio Kultur: Das Buch „Digitale Diktatur", von Stefan Aust gemeinsam mit Thomas Ammann, ist im Econ-Verlag erschienen, gut 350 Seiten für 19,99 Euro. Das war Tacheles von der Frankfurter Buchmesse. Tschüss und bis bald.
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