Stasi war "Schild und Schwert der Partei"

Moderation: Katja Schlesinger · 15.05.2006
Florian Henckel von Donnersmarck hat das durch seinen Film "Das Leben der Anderen" gestiegene Interesse an der Stasi-Vergangenheit begrüßt. In der Stasi-Debatte der letzten 17 Jahre habe man immer nur über die IM gesprochen, sagte der Regisseur. Sein Interesse sei es gewesen, die hauptamtlichen Mitarbeiter mehr ins Bewusstsein zu rücken. Die Stasi sei "nicht mehr und nicht weniger als das Schild und Schwert der Partei" gewesen.
Katja Schlesinger: Er ist der ganz große Abräumer beim Deutschen Filmpreis, Florian Henckel von Donnersmarck. Für seinen Film "Das Leben der Anderen" gab es am Freitag gleich sieben Mal die Lola, darunter für den besten Film und für die beste männliche Hauptrolle. Einen Tag zuvor hatte Florian Henckel von Donnersmarck schon den "New Faces Award" bekommen, eine Auszeichnung für junge Filmemacher, und davor bereits den Bayerischen Filmpreis in vier Kategorien. Ein hoch dekorierter Film also, "Das Leben der Anderen". Für alle, die ihn noch nicht gesehen haben: Es geht um einen Stasispitzel, der ein Künstlerpaar abhört, an seiner Arbeit aber bald zweifelt und das Paar vor der Stasi zu schützen versucht.

Als der Film im März in die Kinos kam, haben wir schon einmal mit Florian Heckel von Donnersmarck geredet, damals ging es um seinen Film. Heute haben wir ihn noch einmal eingeladen, nicht nur, um über den Erfolg zu reden, sondern auch über das, was der Film ausgelöst hat. Florian Henckel von Donnersmarck, Sie werden ja seit Freitag sicherlich viele Glückwünsche bekommen haben, trotzdem auch von uns noch mal, von Deutschlandradio Kultur, herzlichen Glückwunsch zu diesem großen Erfolg!

Florian Henckel von Donnersmarck: Ja, vielen, vielen Dank!

Schlesinger: An Sie persönlich gingen ja gleich drei Lolas, bester Film, beste Regie, bestes Drehbuch. Wo stehen die Lolas jetzt, in Reih und Glied auf Ihrem Schreibtisch oder auf verschiedene Zimmer verteilt?

Henckel von Donnersmarck: In Reih und Glied auf meinem Bücherregal in meinem Schreibzimmer, und das hilft mir immer dabei, wenn ich schreibe, das war auch schon bei den Kurzfilmpreisen so, und dann irgendwann einen Punkt erreiche, wo ich deprimiert bin und das Gefühl habe, es geht nicht voran und ich schaffe dieses Drehbuch nicht, dann blicke ich hoch zu den Preisen und denke, na ja, vielleicht kriege ich es doch hin.

Schlesinger: Und dann machen die Ihnen Mut?

Henckel von Donnersmarck: Genau.

Schlesinger: Der Film "Das Leben der Anderen" hatte ja eine lange Vorgeschichte, nicht nur weil Sie intensiv recherchiert und viele Gespräche geführt haben mit Stasioffizieren und Stasiopfern auch, sondern weil Sie ja mehrere Jahre lang das Drehbuch ohne Erfolg angeboten haben. Jetzt dieser Preisregen. Empfinden Sie da Dankbarkeit oder auch Genugtuung?

Henckel von Donnersmarck: Na ja, ich meine, ich hatte gleichzeitig auch viele Leute, die mich wirklich sehr unterstützt haben, und ich bin eigentlich jemand, der mehr dazu neigt, sich die positiven Sachen zu merken. Also ich freue mich eigentlich für die Leute, die wirklich an mich und an das Projekt geglaubt haben, genauso wie ich mich für mich selber freue.

Schlesinger: Aber trotzdem: Stimmt da vielleicht etwas nicht im deutschen Filmbetrieb, dass verschiedene Redakteure das Potential Ihres Drehbuchs nicht gesehen haben?

Henckel von Donnersmarck: Na ja, ich meine, also ich denke mal, so schwer war es jetzt auch nicht, das insgesamt gemacht zu bekommen. Es war so, dass ich halt, also den Bayerischen Rundfunk hatte ich schon sehr früh an Bord, aber es ist so, dass meistens bei so aufwendigen, so großen Projekten man halt mehrere Sender braucht, und da versuchte der Bayerische Rundfunk noch ein paar Partner zu bekommen, und dann hieß es, ja, wir finden das Drehbuch großartig, aber schreiben Sie es doch um zu einer Komödie, dann finanzieren wir's Ihnen das sofort. Es war halt so ein bisschen das Gefühl, dass das die Art ist, wie man mit der DDR-Vergangenheit im Kino umgeht, und also glücklicherweise waren Arte und der Bayrische Rundfunk dann bereit, das einfach zusammen zu stemmen von der Fernsehseite, und bei den Förderungen ist uns halt eine wichtige Förderung geplatzt, aber gleichzeitig haben wir auch vom FFF Bayern, vom Medienbord Berlin-Brandenburg und von der FFA Unterstützung bekommen, die das dann ausgeglichen hat. Also man muss sagen, überall, wo wir, wenn ich das jetzt mal in der Sprache des Landes unseres Filmes sage, Feinde hatten, gab es auch, sage ich mal, umso größere Förderer, und ich muss sagen, wer solche Freunde hat, der muss sich über seine Feinde einfach keine Sorgen machen.

Schlesinger: Im Interview mit Deutschlandradio Kultur vor zwei Monaten wünschten Sie sich "dass Ihr Film die Zuschauer unterhält, packt, ihnen ein emotionales Erlebnis verschafft, und dass sich die Zuschauer mit dem Film ein wenig länger als nur einen Abend beschäftigen". Das alles scheint Ihnen ja gelungen zu sein. Das Thema Stasi ist bei vielen Menschen wieder stärker ins Bewusstsein gerückt, ein weiterer Grund sicherlich auch das Auftreten alter Stasikader in der Gedenkstätte Hohenschönhausen, die dort ihre Schuld relativieren wollten. Aber was meinen Sie, woran liegt es, dass die Stasi gerade jetzt auf so großes Interesse stößt?

Henckel von Donnersmarck: Na ja, also vieles, was mit der Stasi zu tun hatte, wurde tatsächlich über die letzten 15 Jahre ein bisschen unter den Teppich gekehrt, gerade zum Beispiel die hauptamtlichen Mitarbeiter. Also es war so, dass man eigentlich in der ganzen Stasidebatte der letzten, ja, 17 Jahre fast nur von den IMs gesprochen hat und nicht so sehr von den hauptamtlichen Mitarbeitern, die ja noch sehr viel stärker das System getragen und bestimmt haben. Ich glaube, dass das eines der Punkte ist. Es freut mich, dass jetzt ein bisschen mehr von den hauptamtlichen Mitarbeitern gesprochen wird, die das Ganze ja eben hauptsächlich zu verantworten haben. Außerdem, ich meine, dass die Stasi jetzt so selbstbewusst auftritt, hat auch damit zu tun, dass der Rechtsnachfolger der Partei, deren Schild und Schwert sie waren, zum Beispiel in der Regierung unserer Hauptstadt sitzt. Also das darf man nicht vergessen, die Stasi war nicht mehr und nicht weniger als das Schild und Schwert der Partei, sie waren letztendlich Handlanger der SED, zwar furchtbare und effiziente, starke, intelligente Handlanger, aber letztendlich Leute, die auf Befehl der SED gearbeitet haben, und na ja, die PDS ist der Nachfolger der SED, warum soll die Stasi da sitzen und sich Asche aufs Haupt streuen, während sich die PDS im Parlament vergnügt.

Schlesinger: Ja, und gerade Flierl wird ja auch sehr angegriffen, der Kultursenator in Berlin, weil er eben in Hohenschönhausen, als die Stasikader versucht haben zu relativieren, was sie damals getan haben, geschwiegen hat.

Henckel von Donnersmarck: Ja, also ich muss sagen, ich habe da ein bisschen Verständnis für Flierl und für seine schwierige Position bei dieser Diskussion. Ich glaube tatsächlich, dass es in dem Fall nichts zu tun hatte mit seiner PDS-Tradition oder irgendwie allzu großer Sympathie für die Stasi, sondern damit, dass, also ich finde, dieses ganze Event, dieses Auftreten der Stasileute in Hohenschönhausen schon zwiespältig zu sehen ist. Es traten dort eben geschlossen hauptamtliche Mitarbeiter des MfS auf, die eben zum großen Teil die Funktion dieser Untersuchungshaftanstalt erlebt hatten, und sie sagten halt das so, wie das dort in den Führungen dargestellt wird mit nachgebauten Folterzellen und Wasserzellen und diesen ganzen Geschichten, wo einem irgendwie suggeriert wird, dass eben bis '89, dass das so dort betrieben wurde, dass das so einfach nicht gewesen sei. Ich finde auch, dass man es der Stasi gewissermaßen zu leicht macht, wenn man sie versucht als diese Gestapoähnlichen Folterknechte darzustellen. Sie waren eben auf ihre Art vielleicht schon Folterknechte, aber sie waren nicht wie die Gestapo, das waren keine brutalen Knochenbrecher. Die Stasi, das waren keine teutonischen, einfältigen, brutalen Leute, die danach ausgesucht wurden, wie das bei der Gestapo der Fall war, wer irgendwie einer Omi ohne Skrupel ins Gesicht hauen kann. Das waren Psychologen, die Stasi war eine Elite, die haben solche Methoden nicht gebraucht und nur im selteneren Fall verwendet. Deshalb finde ich es auch schade, dass auch bei einigen der Führungen, die ich durch Hohenschönhausen erlebt habe, so ein Gewicht darauf gelegt wird, weil im Vergleich mit der Gestapo wird die Stasi immer lieb aussehen, wenn man als Vergleichskriterium die körperliche Gewalt nimmt. Wenn man die seelische Gewalt nimmt, dann sieht es auch wieder anders aus, und das habe ich versucht in meinem Film zu zeigen. In meinem Film gibt es keine einzige Ohrfeige, nichts, es gibt nur psychologische Gewalt, und das ist für mich das Wesen der Stasi.

Schlesinger: Heute wird ja ein Expertenbericht vorgestellt mit Vorschlägen zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Die Experten empfehlen unter anderem, dass die Stasiunterlagenbehörde sich umorientiert weg von einer politischen hin einer historischen Aufarbeitung. Deutschlandradio Kultur lag der Bericht schon vergangene Woche vor, und wir haben darüber mit dem Politikwissenschaftler Jochen Staadt gesprochen. Herr Donnersmarck, ich würde Ihnen gerne vorspielen, was er von diesem Aspekt der Historisierung hält:

""Vor etwas zwei, drei Monaten gab es eine neue Welle der öffentlichen Aufmerksamkeit, einerseits durch das Auftreten von Stasioffizieren auf Gedenkveranstaltungen und in Gedenkstätten, die dort sehr frech und offensiv aufgetreten sind, zum anderen durch den Film "Das Leben der Anderen". Es ist jetzt eine Situation eingetreten, die man etwa vergleichen kann mit dem Jahr 62/63 nach der NS-Aufarbeitung. Eine neue Generation, die Kinder waren, als die DDR verschwand, stellen neue Fragen, stellen sie anders. Es ist eine große Aufmerksamkeit da, und die Kommission hatte schon verkündet in ihren ersten Papieren, man will jetzt übergehen zur geruhsamen historischen Betrachtung der Dinge. Sie sind aber nicht historisch, die Leute, die das erlebt haben, leben unter uns, sowohl die Täter als auch die Opfer, und insofern ist das Vorhaben, das alles zu historisieren und in irgendwelche dicken Bücher zu verpacken oder in langweilige Ausstellungen, ist gescheitert"."

Soweit Jochen Staadt, der Politikwissenschaftler. Herr von Donnersmarck, was sagen Sie dazu?

Henckel von Donnersmarck: Ja, also ich bin da sehr auf Dr. Staadts Seite, der auch wirklich ein Experte auf dem Gebiet ist. Also da haben Sie wirklich genau den Richtigen interviewt. Das ist auch jemand, von dem ich viel gelernt habe, ich habe ihn nie persönlich kennen gelernt, aber aus seinen Schriften und Äußerungen. Also ich glaube, dass jedes Vorhaben, die Birthler-Behörde in irgendeiner Form zu verkleinern, falsch wäre. Ich glaube, dass die Arbeit der Birthler-Behörde wirklich unglaublich wichtig ist und dass wir Deutsche damit leben müssen, dass es uns vielleicht 100 Millionen Euro im Jahr kostet, der Wahrheit ins Auge zu blicken. Man muss sich darüber klar sein, dass bisher weniger als zehn Prozent der gesamten Stasiakten überhaupt gelesen wurden, das heißt, über 90 Prozent ist noch nicht mal gelesen worden, obwohl die dort über 2000 Mitarbeiter haben, die hart an dieser Sache arbeiten. Es ist auch so, dass die meisten Leute ihre Stasiakten noch nicht beantragt haben. Das beginnt erst jetzt.

Schlesinger: Das ist sogar gestiegen durch Ihren Film.

Henckel von Donnersmarck: Ja, das hat mich auch sehr gefreut, als ich das gehört habe, dass das eben so viel stärker geworden ist. Ich glaube, man braucht einfach einen gewissen Abstand, um diese Sachen zu verarbeiten. Ich glaube, das beginnt erst jetzt langsam, also ich glaube, es wäre zu früh zu sagen, okay, schieben wir das auf die Vergangenheit. Das ist alles gegenwärtig sehr relevant und wird es auch noch für lange Zeit bleiben.

Schlesinger: Jetzt haben wir so viel über die Stasi und die SED-Diktatur gesprochen. Ich möchte trotzdem zum Abschluss noch kurz wissen, ob sie irgendein neues Projekt schon in der Pipeline haben.

Henckel von Donnersmarck: Ja, ja, also ich bin schon am Arbeiten an verschiedenen Sachen. Es gibt gerade ein Projekt über die frühe psychoanalytische Bewegung um die Jahrhundertwende, ein historischer Erotik-Thriller, an dem ich gerade arbeite, aber es gibt auch ein paar andere Projekte. Ich habe über die langen Jahre, die es gedauert hat, dieses Projekt auf die Beine zu stellen, und auch die Kurzfilme gemacht habe einen ganzen Hängeregistraturschrank voll mit Langfilmideen entwickelt, und jetzt zeigt sich, dass sich das Warten auch gelohnt hat.

Schlesinger: Herzlichen Dank für das Gespräch!
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