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Rachel Cusk: "Danach"
Die Scheidungs-Märtyrerin

Rachel Cusk gilt als eine der umstrittensten Autorinnen Großbritanniens. Denn in ihren autobiografischen Büchern erzählte sie zuletzt keineswegs positiv vom Kinderkriegen und der Mutterschaft. In „Danach“ berichtet Cusk nun vom Scheitern ihrer Ehe. Was in England 2012 ebenfalls für Empörung sorgte.

Von Nicole Strecker | 22.06.2020
Buchcover Rachel Cusk: „Danach“ und ein paar Hände
Bei der Trauung herrscht meistens eitel Sonnenschein, aber "danach" wird die Ehe schnell zum Rosenkrieg, schreibt Rachel Cusk (Buchcover Suhrkamp / Hintergrund imago/CHROMORANGE)
Das wurde aber auch Zeit! Jahrelang wurde der wachsenden Leserschaft von Rachel Cusks Romanen immer wieder angedeutet, dass es ein Buch mit dem Titel "Aftermath" gewesen ist, das Cusk erst in eine tiefe Schreibkrise und dann zu ihrem eigenwilligen Stil geführt hat. Jetzt ist das Geheimnis also gelüftet: Das 2012 in Großbritannien publizierte Buch "Aftermath" ist nun auch auf Deutsch erschienen. Ein autobiografischer Essay, bei dem aber letztlich doch offen bleibt, ob das "Ich" der Erzählerin tatsächlich immer identisch ist mit dem "Ich" der Autorin.
"Kürzlich haben mein Mann und ich uns getrennt, und im Laufe weniger Wochen brach unser gemeinsam gestaltetes Leben auseinander wie ein Puzzle, das in seine Einzelteile zerlegt wird."
Die Scheidung als Rosenkrieg
Erster Satz, Thema klar. "Danach" - das meint die Zeit nach dem Ende einer altehrwürdigen sozialen Ordnung: Nämlich nach einer Ehe und Familie. Zehn Jahre nach der Geburt des ersten Kindes trennen sich die Ich-Erzählerin und ihr Mann. Warum? Der Leser wird es von Rachel Cusk nicht erfahren.
"Manchmal habe ich mich gefragt, ob das moderne Familienleben mit seiner unerbittlichen Fröhlichkeit, seinem absolut unbegründetem Optimismus und seinem Vertrauen nicht auf Gott oder Wirtschaftlichkeit, sondern auf das Prinzip der Liebe an dem Versäumnis scheitert, das menschliche Bedürfnis nach Krieg anzuerkennen und sich dagegen zu wappnen."
Sind wir schon reif für den Rollentausch der Geschlechter?
Jetzt ist er da, der hässliche Rosenkrieg zwischen diesem vormals unkonventionellen Paar, das sich auf die Konstellation geeinigt hatte: Sie bleibt Schriftstellerin. Er gibt seine Stelle als Anwalt auf und kümmert sich um die Kinder. Schon Rachel Cusks erster autobiografischer Essay, "Über das Mutterwerden", hatte für einen kleinen Skandal in Großbritannien gesorgt, weil die 1967 geborene Autorin darin so gar nicht selig über das Kinderkriegen berichtet hatte. In Teil Zwei ihrer Bekenntnisse setzt sie ihre Suche nach der weiblichen Identität nun fort.
Autobiografisch-feministisches Philosophieren wie bei Simone de Beauvoir, deren Slogan "Man wird nicht als Frau geboren, sondern dazu gemacht" für die Ich-Erzählerin bei Cusk zur strapaziösen Aufgabe wird. Was ist Weiblichkeit? Was heißt es, eine Frau zu sein? Was ist eine Feministin? Diese alten Fragen treiben die neue Single-Frau in Cusks Essay um, ohne dass sie dabei allerdings zu besonders originellen Erkenntnissen gelangen würde. Die vermeintlich emanzipatorische Doppelrolle als berufstätige Frau und Mutter ist nicht zwangsläufig eine Bereicherung, begreift sie etwa, sondern kippt schnell in die Überforderung und wird zur unguten Verwandlung.
Auf den Spuren von Simone de Beauvoir
"Ich bin keine Feministin, sondern ein von Selbsthass erfüllter Transvestit."
"Danach": Das ist vor allem eine Zeit zergrübelter Ereignislosigkeit. Die alleinerziehende Ich-Erzählerin nimmt nach der Trennung von ihrem Mann einen Untermieter bei sich auf, der ihr bald unheimlich wird. Eine Urlaubsreise mit ihren Kindern in die Grafschaft Devon in Südengland wird wegen der abgewrackten Unterkunft zum Höllentrip. Die Erzählerin trifft Freunde und Familie, backt eine völlig überambitionierte, dreistöckige Torte, versucht, ihrer in der Schule gemobbten Tochter eine gute Mutter zu sein. Alltagsbanalitäten, während doch im Gefühlshaushalt der frisch Getrennten das Chaos einer antiken Liebestragödie tobt. Etwas abgegriffen sind Rachel Cusks Analogien zum griechischen Mythos. Etwa dort, wo sich die Ich-Erzählerin in der Geschichte der gattenmordenden Klytaimnestra spiegelt. Oder auch dort, wo bei ihr Ödipus zitiert wird, der uns bekanntlich vorführt, dass wir gerade über jene Dinge am wenigsten wissen, die unser Schicksal bestimmen.
Die Trennung schmerzt wie Zähneziehen
Sehr amüsant liest sich dagegen ein Kapitel, in dem ein Gespräch mit dem Zahnarzt im Kopf der Ich-Erzählerin zur Trennungsberatung wird.
"Der Zahnarzt fragte mich, ob der Schmerz mehr oder weniger konstant sei oder ob es zwischendurch Phasen der Normalität gebe, in denen ich anderes tun und denken könne. Hatten wir bereits jenen krisenhaften Punkt erreicht, an dem das Leid unser Erleben bestimmt und unser einziges Bedürfnis und unser einziger Wunsch es ist, das Leiden zu beenden?"
"Ein geschiedener Ehemann erscheint hier wie ein gezogener Zahn. An solchen Stellen zeigt sich Rachel Cusks wunderbar trockener Humor. Auch ihre schriftstellerische Intelligenz, die jedes Phänomen in eine bedeutungsschwere Metapher verwandelt. Und keine Frage: Rachel Cusk hat auch in diesem autobiografischen Essay vollständige Kontrolle über ihre gestalterischen Mittel.
Kühl und klug ist ihre Analyse, und wie groß ihre Selbstdistanz ist, offenbart sie mit einem fiktiven Epilog: Darin erzählt sie die Geschichte eines Au-Pair-Mädchens, das die Trennung eines Paares bezeugt - wobei Rachel Cusk natürlich so manchen Hinweis einstreut, dass es sich hierbei um eine Parabel auf ihre eigene Ehe handelt. Und - so viel Selbstironie muss sein: Aus der Perspektive der psychisch labilen Babysitterin kommt "die Frau", also Cusk selbst, nämlich nicht besonders gut weg.
Empathie will nicht recht aufkommen
Doch trotz solcher formaler Kniffe: insgesamt ist "Danach" kein wirklich bereichernder Essay. Das Konzept, autobiografische Intimität durch einen mythologischen und sozialen Kontext zu verallgemeinern, geht nur teilweise auf. Und Empathie mit der Scheidungs-Märtyrerin will sich schon gar nicht einstellen, weil die Lebenschronistin Cusk letztlich viel zu diskret bleibt, um interessante Details über ihren Exmann und den Grund ihrer Trennung preiszugeben. All das, wofür Rachel Cusk mit ihrer später verfassten Romantrilogie "Outline", "In Transit" und "Kudos" zu recht berühmt wurde - ihre klarsichtigen Beobachtungen, ihr Umkreisen von einer so fragwürdigen Kategorie wie "Wahrheit" - es wirkt in diesem Vorläufer "Danach" nur prätentiös und trivialisiert durch eine allzu pathetische Haltung zur Welt. Wie gut also, dass "Danach" in ihrer Karriere nur ein Davor war, das eine brillante Schriftstellerin hervorgebracht hat.
Rachel Cusk: "Danach. Über Ehe und Trennung"
Aus dem Englischen von Eva Bonné
Suhrkamp Verlag, Berlin. 187 Seiten, 22,00 Euro.