Stalingrad, Propaganda, Geschichtsbilder

Von Wolfgang Martin Hamdorf · 25.01.2013
Am 2. Februar 1943 endete die Schlacht in Stalingrad. 70 Jahre danach setzt sich im Zeughauskino des Deutschen Historischen Museums in Berlin eine Retrospektive unter dem Titel: "Die Welt in Waffen: Stalingrad" mit dem Thema auseinander.
Why we fight: "The Nazi Panzers are only 15 miles close to Stalingrad. (...) Feuer!"

1943 herrschte noch Einigkeit in der Propaganda der Alliierten: In Stalingrad hatte die Rote Armee Hitlerdeutschland eine entscheidende Niederlage zugefügt. So wie in der Propagandadokumentation "Why we fight" von Hollywood Regisseur Frank Capra. Die Geschichte Stalingrads im Film ist immer auch eine Geschichte politischer Rücksichtnahmen und ideologischer Gratwanderungen. Fabian Tietze ist der Kurator der Berliner Filmreihe:

Fabian Tietke: "Die Sowjetunion wird als der wichtigste Alliierte dargestellt. Was nicht dargestellt wird, ist sozusagen der Pakt mit Hitler vor dem Überfall auf die Sowjetunion, was nicht dargestellt wird, sind auch die sehr schwierigen Verhältnisse zu den beteiligten osteuropäischen Staaten, die auch alle mit Gebietsverlusten und so weiter, all das wird ausgeblendet, um aus amerikanischer Sicht quasi eine Huldigung an den Alliierten Sowjetunion zu machen. Interessant ist, Capra hat das selbst (...) in einem Interview in den 60er Jahren einmal so formuliert, weil es eigentlich auch damals schon nicht ging, einen kommunistischen Staat so zu huldigen, hat er sich quasi auf das Volk verlegt und gesagt: Das Volk ist gut und es ist ein Kampf des Volkes der Sowjetunion gegen die Invasion der Deutschen."

Wochenschau: ""Fanfare""

Deren Propaganda hatte die Kämpfe um Stalingrad zunächst gewohnt pompös martialisch begleitet. Als Ende November 1942 die Niederlage immer näher rückte, wurde die Stadt an der Wolga in den deutschen Wochenschauen nicht mehr erwähnt.

Im kalten Krieg stilisierte die Sowjetunion und ihre Verbündeten die deutsche Niederlage in Stalingrad zum Wendepunkt des "Großen Vaterländischen Krieges." In der jungen Bundesrepublik wurde die Stadt zum Synonym kollektiven Leidens eigentlich unschuldiger Wehrmachtssoldaten. Für die Reihe suchten die Veranstalter die Seitenlinien der Filmgeschichte, lassen die großen kommerziellen Kriegsschnulzen der Adenauer Zeit wie "Hunde wollt Ihr ewig leben?" oder "Der Arzt von Stalingrad" außen vor.

Fabian Tietke: "Wenn man diesem Mythos ausweichen will, dann ist natürlich die Frage welche Filme zeigt man und die meisten Filme, die Stalingrad direkt thematisieren, thematisieren Stalingrad eben als großen Opfergang, bzw. als großen Sieg, je nachdem, auf die Perspektive geguckt. Und diese kleinen Geschichten, dieses Interesse am Menschlichen, das ist ja dem Film durchaus eigen und das würden wir durchaus teilen, nur dann gehe ich von der großen Geschichte weg, hin zu den wirklich individuellen Geschichten."

Auch im Spielfilm "Die unruhige Nacht" 1958 geht es um Sterben und Überleben im Umfeld von Stalingrad. Regisseur Falk Harnack, selbst Deserteur im Zweiten Weltkrieg, erzählt vom Gewissenskonflikt eines Militärpfarrers, der einen zum Tode verurteilten Deserteur in den letzten Stunden seines Lebens betreut und bei seinem letzten Gang begleitet. In Zeiten der Remilitarisierung der Bundesrepublik war "Die unruhige Nacht" aber auch ein Plädoyer für die Gewissensfreiheit militärischen Befehlen gegenüber

Die unruhige Nacht: "Wenn wir zufällig übrig bleiben sollten, dann wird man uns fragen, was habt ihr getan? Und dann werden wir alle im Chor antworten: Wir haben nur getan, was uns befohlen wurde. ´Befehl ist Befehl! Oder wollen sie die Weltordnung aus dem Gleis bringen?` Nein, aber die Ordnung des Pontius Pilatus. Blinder Gehorsam ist niemals die Weltordnung. Ich sehe sie schon heranschleichen, die ganze Armee der Unschuldbeteuerer, der Händewäscher."

Zwanzig Tage ohne Krieg: "Lokomotive"

Ähnlich konträr zur offiziellen Erinnerung liegt der sowjetische Film "Zwanzig Tage ohne Krieg" von Aleksej German aus dem Jahre 1976. Hier verlässt Ende Dezember 1942 ein Offizier und Filmemacher Stalingrad für einen zwanzigtägigen Fronturlaub. Aber auch im Hinterland hat der Krieg tiefe Spuren hinterlassen, zerrüttete Familien, Hoffnungslosigkeit und ein aus den Fugen geratenes soziales Gefüge. Ein stiller Film, der wenig mit dem Pathos des "Großen Vaterländischen Krieg" zu tun hat.

Ende: "Lokomotive"

Die Retrospektive zu Stalingrad im Zeughauskino ist der erste Teil eines größeren Projektes über den Zweiten Weltkrieg in der internationalen Wahrnehmung: In den kommenden Monaten widmet sich die Reihe dem Aufstand im Warschauer Ghetto und dem Sieg der Alliierten in Italien.

Fabian Tietke: "Im nächsten Jahr wird es so sein, dass wir uns natürlich dem D-Day widmen, also der Invasion in der Normandie widmen und dann später noch dem Massaker in Thiaroye, das ist so ein Massaker an senegalesischen Kolonialsoldaten auf Seiten der Franzosen (...) 45 wird dann also der Mai im Zentrum stehen und da sind wir gerade noch dabei, die Filme, die gerade diese Doppeldeutigkeit zeigen, also es gibt am 8. Mai die Befreiung Deutschlands, aber es gibt auch genau an diesem Tag ein Massaker von französischen Soldaten an algerischen Soldaten und Familien, Zivilisten, die eben auch die Befreiung vom Faschismus feiern und gleichzeitig aber auch für die Unabhängigkeit demonstrieren. Enddatum, bisher vorgesehen, wäre 2017, die Unabhängigkeit Indiens als des größten Kolonialstaates von den Briten dann."

"Die Welt in Wafffen" versucht einen weiter gefassten Blick auf die Geschichte des Zweiten Weltkrieges und seine Implikationen für die Gegenwart. Es geht um Propaganda und um ihre Verweigerung, und es geht darum, viele Standpunkte und Schauplätze gegen allzu vereinfachende Geschichtsbilder zu setzen.

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