Stadtleben der Zukunft

Lebensmittel von der Fisch-Gemüse-Farm

Nicolas Leschke, Mitgründer der Firma ECF Farmsystems
Nicolas Leschke, Mitgründer der Firma ECF Farmsystems © picture alliance / dpa / Foto: Stephanie Pilick
Von Svenja Pelzel · 06.03.2015
Wer versorgt die rund 60 Millionen Menschen, die in deutschen Städten leben, und die noch mehr werden sollen? In Berlin hat jetzt Europas größte innerstädtische Farm eröffnet: Dort werden mit der Aquaponik-Methode Lebensmittel produziert.
Hinter einer alten Fabrik aus Backstein in Berlin-Tempelhof erstreckt sich eine Freifläche: in einem 1800 Quadratmeter großen Gewächshaus und einem eingeschossigen Flachbau steckt die Zukunftsvision der Firma ECF: 35 Tonnen Gemüse und 40.000 Buntbarsche sollen in der Aquaponik-Farm jedes Jahr produziert werden. Mitten in der Hauptstadt. Geräusch. Das reicht von der Wärme da drin jetzt? – Ja. Das Problem ist, dass wir jetzt halt – siehst du da unten diesen Streifen – schon wieder Kondensat kriegen.
Nicolas Leschke steht vor einem zwei Meter breiten Metallschrank, voller surrender Technik, bespricht mit einem seiner Mitarbeiter die letzten Arbeiten vor der Eröffnung heute Nachmittag. Leschke ist 39, hat International Business und Management studiert, trägt Wollpulli und drei-Tage-Bart und ist einer der beiden Firmengründer. Seine Idee: Gemüse und Fische umweltfreundlich und nachhaltig produzieren und zwar dort, wo sie gebraucht werden.
"Man hat in diesem symbiotischen Anbau viele Vorteile. Man hat eine Doppelnutzung des Wassers, also man nutzt das Wasser, um die Fische aufzuziehen und gleichzeitig um Pflanzen herzustellen, d.h. die Wasserbilanz wird wesentlich besser in den Produkten. Gleichzeitig kann man sich auf natürliche Art, über die Ausscheidung der Fische, Dünger biologisch herstellen, was auch von Vorteil ist, den muss man nicht dazu kaufen."
Pflanzenzucht ohne Erde
An diesem Nachmittag kommen Jungpflanzen aus Süddeutschland: Tomaten, Auberginen, Paprika und Zucchini müssen in die Erde. Wobei das Wort Erde maßlos übertrieben ist. Auf dem Boden liegen 30 Zentimeter breite, meterlange Plastiksäcke, darin in regelmäßigen Abständen blumentopfgroße Löcher. In den Plastiksäcken ist keine Erde, sondern Steinwolle. Gärtner Robert Dietrich und zwei Helfer setzen vorsichtig eine Jungpflanze nach der anderen auf diese Löcher, stecken anschließend einen Bewässerungsschlauch in die Wurzel.
"Ich mein, ich bin Gärtner durch und durch und ein Gärtner braucht Erde zwischen den Fingern. Ja aber man muss sich auch damit auseinander setzen, dass die meisten Sachen, die man jetzt im Supermarkt kauft, beispielsweise eine Tomate, die kommt in den seltensten Fällen aus Erde. Das schockiert manche, aber man kann halt mit Erde nicht mehr wirklich effizient die Welt ernähren."
Außer Steinwolle verwendet Gärtner Robert Dietrich für seine Pflanzen noch eine Mischung aus feinem Schotter und Blähton, die er auf die großen Pflanztische im zweiten Gewächshaus schüttet. Die Vorteile dieser Substrate liegen für ihn auf der Hand: anders als Erde, verändern sich Blähton und Steinwolle durch den Pflanzenanbau nicht. Dietrich weiß deshalb genau, wie viel Wasser seine Pflanzen brauchen und wie viel Dünger. Auch wenn es gewöhnungsbedürftig klingt, Nachhaltigkeit und High Tech schließen sich, zumindest bei einem Gewächshaus - heutzutage nicht aus, findet Nikolas Leschke.
"Wir haben hier die Stehwandschattierung, wir haben hier oben die Bewässerung, wir haben eine Hebe-Senk-Heizung, also alles, was hier drin passiert, kann komplett automatisch laufen. Also zu viel Wind, die Fenster gehen zu, zu warm, die Fenster gehen auf, zu viel Sonne, Schattierung fährt zu. Das ist wie ein Computer, der das Klima hier komplett in den einzelnen Abteilen steuert."
Innerstädtisches Farming durch technische Neuerung
Beeindruckend, aber die eigentliche technische Neuerung der innerstädtischen Fisch-Gemüse-Farm steckt nebenan, bei den Fischen.
13 mannshohe Becken aus schwarzem Plastik stehen dicht an dicht in dem abgedunkelten Raum. Es ist warm und sehr laut. Das liegt an den verschiedenen Filteranlagen und an dem Bioreaktor, der den Urin der Fische in Dünger umwandeln soll. Im Moment allerdings ist noch nicht viel zu filtern und umzuwandeln. Die ersten 1000 Fische sind erst vor drei Tagen gekommen, gerade mal fingernagelgroß. Wenn sie im Oktober ausgewachsen sind, wird es in den Becken enger.
"Es ist eine Anlage, in der Fische produziert werden. Artgerechte Haltung gibt es eigentlich nirgendwo, es sei denn es ist in der Natur. Was wir machen, ist aber für das Fischwohl das Beste. Wir fahren eine sehr, sehr gute Wasserqualität, wir füttern mit Biofutter, eine nachhaltige Besatzdichte und unsere Becken sind auch komplett schwarz, um einfach Stress zu vermeiden für die Fische."
1,6 Millionen Euro Risikokapital haben Leschke und seine beiden Mitstreiter innerhalb von nur fünf Monaten aufgetrieben. Das Konzept überzeugt nicht nur Geldgeber. In der Schweiz baut das Team gerade die nächste Aquaponik –Farm auf das Dach eines Gemüsegroßhandels. Vorstellen kann sich Leschke so einiges – auf Dächern, übereinander, in Containern.
"Ich denke, dass Lebensmittelproduktion in der Stadt immer eine Nische ist und Nische bleiben wird. Die Landwirtschaft wird immer das Rückgrat der Lebensmittelproduktion sein und wir sind eine Ergänzung und ein guter Schritt in die richtige Richtung."
In drei Wochen soll es den ersten Salat der Stadtfarm geben, ab Mai sind die Tomaten reif, ab Oktober der Fisch. Bestellen können Interessenten ab heute. Allerdings muss man die Ware selbst abholen – das geht problemlos mit der U-Bahn, mitten in Berlin.
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