Stadtkirchenpfarrer in Frankfurt

Fromme Unruhe

Die Katharinenkirche ist größte evangelische Kirche von Frankfurt am Main
Die Katharinenkirche ist größte evangelische Kirche von Frankfurt am Main © picture alliance / dpa / Wolfram Steinberg
Von Georg Magirius · 28.12.2014
An der Einkaufsmeile Zeil in Frankfurt wirkt seit vielen Jahren der evangelische Pfarrer Werner Schneider-Quindeau. Für ihn war es an dieser Stelle auch immer Aufgabe, den Gläubigen zu helfen, mit dem Terror des Konsums umzugehen. Nun nimmt er Abschied.
(Pfarrer Werner Schneider vor der Katharinenkirche) "Das ist typisch, auf dem Rossmarkt ist irgendeine größere Veranstaltung, so eine Art Markt, nehme ich mal an, zack, ist die Lärmkulisse sofort da."
Das Apfelweinfest in Sicht- und Hörweite signalisiert: Das Leben außerhalb der evangelischen Katharinenkirche lässt sich nicht ausblenden. Der Konsum um das Gotteshaus herum spiele eine große Rolle, sagt Stadtkirchenpfarrer Werner Schneider-Quindeau. Das Gegensatzpaar Ruhe und Unruhe ist sogar der rote Faden seiner Arbeit. Die Kirche liegt am Eingang der Zeil, einer der umsatzstärksten Einkaufsmeilen Deutschlands. Nicht wenige derer, die die Tempel des Konsums besuchten, gingen auch in das Gotteshaus, sagt der 64-jährige Stadtkirchenpfarrer.
"Die sind da wegen des Konsums, aber sie unterbrechen den Konsum, wenn sie in die Kirche gehen. Und die entscheidende Frage wäre: Was machen sie dann eigentlich für eine Erfahrung – in der Kirche?"
Sie hoffen auf Stille, eine Atempause, hat Schneider-Quindeau mit Hilfe einer Befragung herausgefunden. Fast 70 Prozent der Kirchenbesucher kämen zum Einkaufen nach Frankfurt, einer Tätigkeit, die nicht jedem Spaß machen würde.
"Shopping ist eine Freizeitbeschäftigung, die auch Mühe macht. Das sagen nicht nur die Männer, das sagen auch Frauen, wenn sie eine Bluse suchen und man hat sie nach zwei Stunden nicht gefunden – oder den Rock oder irgendwas. Denn es ist ja eine immense Überfülle an Waren da. Man muss ja auswählen. Und dann kommt die Geschmacksfrage dazu. Und es ist nicht immer so eindeutig zu entscheiden: Passt das jetzt zu mir oder passt das nicht zu mir? Wenn man zehn Mal sich an- und ausgezogen hat, dann wird es schon anstrengend, sagen nicht nur die Männer."
Der Gottesdienst - auch ein Dienst gegen den Lärm
An der Eingangstür der Kirche fahren fast unablässig Autos, Lieferwagen, Mopeds vorbei. In der Kirche dagegen wird während einer Woche der Stille schon mal ein Antilärm-Gottesdienst gefeiert. Gestaltet wird er von Menschen, die unter dem steten Anstieg des Fluglärms leiden infolge des wachsenden Rhein-Main-Flughafens. Sie kommen vor allem aus Anrainergemeinden wie Walldorf. Dort war Scheider-Quindeau Gemeindepfarrer zu Zeiten des Bauvorhabens der Startbahn West in den 1980er Jahren, als die Hüttenkirche zu einem Symbol des Widerstandes wurde.
Widerstand spielt auch heute noch im Leben des Frankfurter Pfarrers eine wichtige Rolle. So wird während der Woche der Stille in der Katharinenkirche die Lautlosigkeit in Szene gesetzt: Unter dem Titel "Still bewegte Bilder" wird eine Videoinstallation gezeigt, bei der Gewitterwolken aufziehen, Vögel im Himmel schwärmen oder eine Brücke langsam aus dem Nebel auftaucht.
(Besucher und Kantor psalmodieren während des Gebets für Frankfurt) "Selig, der Freude hat an Seiner Weisung."
Einmal monatlich wird das Gebet für Frankfurt gefeiert. Ein Klang, der die Ruhe nicht verletze, sondern Kraft aus ihr ziehe, sagt Helmut Müller, der Kantor des Gebets: "Das ist ein bestimmtes meditatives Gebet, in dem bestimmte Schwingungen in Gang gesetzt werden. Diese Pausen, die dazwischen entstehen, sind nicht zwanghaft, sondern sie entstehen einfach durch das Ausatmen, durch das Einatmen. Und in diesem Fluss geschieht dann auch wirklich der Text, die Meditation dieses Textes. Und das geschieht in vollkommener Ruhe und in einer Art und Weise, wie sie auch wirklich sehr tief eingängig ist."
Das Psalmodieren stammt aus der Gregorianik, im Gebet für Frankfurt wird es mit gesellschaftlichen Anliegen verknüpft. So könne sich die Ruhe auch in eine fromme Unruhe verwandeln, sagt Werner Schneider-Quindeau. Das Gebet einzuführen, war die erste Amtshandlung, als er 2008 Stadtkirchenpfarrer wurde. Die Frömmigkeit nämlich wolle er nicht den Frommen überlassen, sagt er, der nahe Dillenburg im sogenannten hessischen Hinterland aufgewachsen ist, wo er den Glauben oft als übertrieben verinnerlicht und exklusiv erlebt hat.
An diesem Abend wird mit dem Gebet für Frankfurt eine Ausstellung über fairen Handel eröffnet. Überhaupt seien ihm jene willkommen, die nicht immer fair behandelt werden.
"Wir haben ja zum Beispiel die Winterspeisungen, jeden Monat einen Brunch für Bedürftige. Da kommen 250 bis 300 Leute in die Kirche – erst letzten Sonntag wieder nach dem Gottesdienst. Ich kenne inzwischen auch eine ganze Menge der Leute, die sehr vom Leben gebeutelt sind. Und wir versuchen in dieser Kirche sozusagen deutlich zu machen: Hier gibt es eine Kultur der Gastfreundschaft."
Den Glauben mit einem politisch wachen Blick verknüpfen, das ist bei Schneider-Quindeau biographisch begründet. Als Jugendlichen hätten ihn politische Pfarrer geprägt, in den Familien mütterlicher- und väterlicherseits habe Distanz zu den Nazis geherrscht. Vater und Großvater waren Sozialdemokraten, der Großvater hat die SPD, als sie noch nicht flächendeckend organisiert war, in seinem Bezirk gegründet.
"Ich bin eigentlich aufgewachsen mit politischen Debatten. Nicht so sehr mit theologischen oder religiösen oder sowas. Ich meine, die Frage: Was dient dem Menschen? Was hilft dem? Diese konkrete Frage. Das hieß dann meistens bei uns teilweise auch: Spürt man das im Geldbeutel – oder nicht? Und zwar für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das war schon eine Zentralfrage."
Ruhe finden und Hilfe im Umgang mit Mehrdeutigkeiten und Widersprüchen
Im Philosophie- und Theologie-Studium kommt das Interesse für Literatur, Theater, Oper, Kino hinzu. Denn die kirchlich gebräuchlichen Formeln seien vielleicht richtig, könnten viele aber nicht bewegen, erlebt er. Die Sprache der Kultur spricht Schneider-Quindeau bis heute.
Während der Luminale, einem Festival der Lichtkultur, kamen in diesem Jahr innerhalb einer Woche 10.000 Besucher in die Katharinenkirche. Seit 27 Jahren ist er auch Vorsitzender der Jury der evangelischen Filmarbeit, die regelmäßig den Film des Monats bestimmt.
"Du bist bewegt! Moving pictures. Das ist der zentrale Punkt. Du wirst durch eine Geschichte bewegt, und zwar - das ist das Faszinierende am Kino - nicht nur auf der Ebene des Intellekts, denn da leben wir ja nicht nur drin. Vor allem ist das Kino eine Affektmaschine, wenn man so will. Das heißt: Freude! Tränen! Lachen! Alles Mögliche ist da. Kino geht immer ins Auge, im wahrsten Sinne des Wortes. Das ist ja eine Doppelbedeutung: ins Auge gehen. Und an diesen Doppelbedeutungen bin ich eigentlich interessiert."
Nicht einengen, sondern Mehrdeutigkeiten und auch Widersprüche zulassen. Das ist das Ziel von Werner Schneider-Quindeau. So suchten viele in der Katharinenkirche Ruhe, stoßen dabei aber auch auf ihre Lebensfragen, die sie nicht in Ruhe lassen, weiß er. Dann kommt er nicht mit lösungsorientierten Plattheiten.
Der Schmerz wird nicht unterdrückt, bagatellisiert oder entfernt, sondern das, was im Leben ins Auge gegangen ist, soll ein Recht haben weh zu tun. Woher aber kommt sein Mut, Fragen zuzulassen, auf die es manchmal keine Antwort gibt? Am meisten, sagt er, habe seine Arbeit als Pfarrer eine weit zurückliegende Erfahrung bestimmt: der Tod seines ersten Kindes.
"Meine tiefe Überzeugung ist durch diese tiefen Erfahrungen hindurch, das ist ja nun schon Jahrzehnte zurück: Der Verlust des Kindes hat ja auch bedeutet, es gibt keine absurdere Situation. Absurd, finde ich, dass Geburt und Tod praktisch zusammenfallen, wenn ein Kind geboren wird und zwei Tage später stirbt es. Wie absurd ist das Leben? Jetzt kann man das einmal ausweiten: Ist das das, was uns die Nihilisten immer schon sagen wollten? Dass das Leben absurd ist? Wir werden geboren, um zu sterben, auch wenn dazwischen vielleicht 80 oder 90 Jahre liegen? Nur wir täuschen uns angesichts dieses Zeitraumes darüber hinweg, dass es genau diese Figur ist? Und da hat für mich noch mal und noch mal ganz anders und neu, das, was ich frohe Botschaft nenne, gesprochen: Sie ist genau für die Trostlosen gemeint, für die, die nicht gleich Trost parat haben. Es ist für die Hoffnungslosen gemeint, für die, die in ihrer Absurdität stecken. Und für die Gottlosen, die auch meinen: Brauche ich alles nicht. Das deutlich zu machen, wäre unsere Aufgabe."
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