Stadtcowboy, Trinker, Provokateur

Von Barbara Wiegand · 21.02.2013
Martin Kippenberger war Künstler und Entertainer, Musiker, Maler und Meister schräger Selbstinszenierungen. 16 Jahre nach seinem Tod widmet Berlin ihm nun eine große Ausstellung im Hamburger Bahnhof.
"Er hat ja nichts unkommentiert gelassen. Wir stehen hier zum Beispiel im ersten Raum und hören ‚Ja Ja Nee Nee‘. Das berühmte Mantra, das wir hier im Hause auch oft bei Beuys laufen haben. Das hat natürlich Kippenberger gereizt, das dann auch auf sich selbst zu übertragen. Weil er eben immer sich an diesen Gestalten wie Beuys, wie Picasso - das waren für ihn große Gestalten. Er hat immer an die Kunst geglaubt und er wollte natürlich genauso sein. Und deshalb musste er einfach irgendetwas daraus machen."

Erläutert Kuratorin Britta Schmitz die Soundinstallation, in der Martin Kippenberger den Ausstellungsbesucher als Ja- und Nein-Sager begrüßt. In den 80ern warf er sich für diese parodistische Performance schon mal in einen Beuys‘schen Filzanzug - eine der ironischen Selbstinszenierungen, die zum Repertoire des Martin Kippenberger gehörten, das hier in seiner ganzen Bandbreite gezeigt wird. In Fotos, Gemälden, Installationen: Angefangen vom verwegen an der Berliner Mauer posierenden Stadtcowboy über tragisch komische Auftritte mit aufgedunsenem Alkoholikerbauch bis hin zu kraftvoll konturierten Selbstbildnissen, die ihn, schon sichtlich gezeichnet vom Krebs, als sich dahin schleppenden Todkranken zeigen.

Der bei einem Herrgottsschnitzer in Auftrag gegebene gekreuzigte Frosch hängt in mehrfacher Ausfertigung an der Wand, genauso das entlarvende Bild "Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz entdecken". Dazu auch Familienfotos. Von der Mutter und den vier Schwestern, dem Vater, der in Essen eine Zeche leitete - und ein kleines Museum gründete. Nachzulesen auch die Sprüche, die Kippenberger gern geklopft hat, die Worte, mit denen er gespielt und gern auch andere verletzt hat

Nachzuhören die Musik, die im von ihm mitbetriebenen Berliner Punkclub SO 36 lief, von Gudrun Gut, den Neubauten, David Bowie - aber auch von ihm selbst.

Mehr als 300 Exponate hat man im Hamburger Bahnhof versammelt. Man erhebt nicht den Anspruch einer Retrospektive - will gleichwohl den ganzen Kippenberger zu zeigen. Den Provokateur und Plagiator, den Maler, den Trinker, der sich im Suff oft daneben benahm und das mit Bildtiteln wie "Bitte nicht nach Hause schicken" kommentierte. Den Menschen, dessen Kunst so untrennbar mit seinem Leben verbunden war

"Bei ihm ist es eben besonders. Trifft es eben in ganz besonderem Maße zu. Weil er einfach soviel geredet, kommuniziert hat und daraus sind ganz viele Werke entstanden. In dem Sinne war er kein Künstler, der sich theoretisch bestimmte Dinge zurechtlegt, überlegt, reflektiert. Er war schon reflexiv, aber nicht so aus dem nichts heraus. Aus der Arbeitssituation im weißen Atelier. Das kann man sich bei ihm nicht vorstellen."

Zumal es ein Atelier mitunter gar nicht gab. In Berlin etwa eröffnete er 1978 Kippenbergers Büro. Malte dort stapelweise Bilder oder ließ andere für sich malen. Plante Skulpturen, die er dann von Assistenten wie dem Künstler Ullrich Strotjohann formen ließ.

"Das Büro Kippenberger war schon eine Provokation nach dem Motto, ich verwalte das jetzt nur noch. Aber das war nicht wirklich dann so. Also er hat seine Bilder dann schon selber gemalt, mit Ausnahme der ersten Serie ‚Lieber Maler, male mir‘. Da dachten alle erst, das geht jetzt so weiter. Das ging ja nicht. Kippenberger hat ja schon immer gemalt und gearbeitet. Auch als Kind. Nur war das in Berlin Ende der 70er-Jahre mit dem SO 36 nicht so bekannt. Man hat ihn immer eher gesehen als Entertainer, der mit allen möglichen Medien arbeitet. Aber dass er sich selbst als Künstler explizit gesehen hat, das war weniger bekannt."

So wurde Kippenberger zu Lebzeiten eher als amüsanter Unterhalter denn als Künstler gesehen. Erst nach seinem Tod im März 1997 ist er bei der Documenta und der Venedig Biennale vertreten. Und seine Werke erzielen Höchstpreise. Mehr als vier Millionen Euro musste Friedrich Christian Flick bieten, um Kippenbergers Selbstportrait als Boxer für seine dem Hamburger Bahnhof geliehene Sammlung zu erwerben. Das jetzt ebenfalls ausgestellte Bild ist aber nicht nur Beleg des posthumen Ruhms. Mit markantem Kopf, zögerlich geballten Fäusten und Schmähbauch verkörpert Kippenberger hier auch den großen Jux, den er sich allen Ernstes gemacht hat. Aus der Kunst und aus dem Leben.

Das zu zeigen ist das Verdienst dieser Schau. Zumal ihre Macher nicht der Versuchung erlagen, eine krachende Kippenberger-Show zu inszenieren, die heute, 16 Jahre nach seinem Tod, bloß aufgesetzt wirken würde. Vielmehr überzeugt man mit einer unaufgeregt musealen Präsentation, die aber genug Raum zum Lachen lässt. Ganz so, wie es Martin Kippenberger einmal formulierte: Ich arbeite daran, dass die Leute sagen können: Kippenberger war gute Laune…