Stadt Dorfen in Bayern

Eine Stadt arbeitet ihre Vergangenheit auf

Ein sogenannter Judenstern
Der Verein erforschte, wie der Judenstern nach Dorfen kam © picture alliance / dpa / Foto: Caroline Seidel
Von Julia Smilga · 11.03.2016
Der Verein "Dorfen ist bunt" wurde gegründet, um der rechten Szene in der Stadt entgegen zu treten. Auch wird hier die Geschichte der Juden in der Stadt aufgearbeitet - und damit so manches Geheimnis aufgelöst.
Doris Minet: "Vielleicht zwei oder drei, die ich interviewt hab, ganz am Anfang - ja, da haben Juden gewohnt. Aber das war danach alles."
Monika Schwarzenböck: "Wir haben das zuvor nie mitbekommen gehabt, es war glaub ich ein sehr unbekanntes Kapitel."
Monika Schwarzenböck und Doris Minet vom Verein "Dorfen ist bunt" über ihre Forschungsarbeit zu Juden in Dorfen. Dieser Teil der Geschichte ihres Heimatortes wurde erst vor kurzem "entdeckt". Bis vor knapp zehn Jahren haben Dorfen und seine 14 000 Einwohner immer wieder Neonazi-Aufmärsche erlebt. Um der rechten Szene entgegen zu treten, haben damals Bürger das Aktionsbündnis "Dorfen ist bunt" gegründet. Vor drei Jahren haben die Aktivistinnen Monika Schwarzenböck und Doris Minet im Münchener Staatsarchiv in der Dorfener Geschichte nach Vorbildern gesucht - nach Frauen und Männern, die für Toleranz gekämpft und Zivilcourage bewiesen haben.
Schwarzenböck: "Dabei sind wir völlig unerwartet auf eine lange Liste von jüdischen Menschen gestoßen, die nach dem Krieg in Dorfen gelebt haben – und wir haben – alle die da geforscht haben - nie davon gehört. Dem sind wir auf den Grund gegangen und so ist unser Thema vielleicht leicht verändert worden, dass wir ursprünglich vorhatten, aber es hat uns unglaublich gepackt."

300 Juden lebten zeitweise in Dorfen

Doris Minet hat bei ihrer Forschung eine wissenschaftliche Arbeit über eine jüdische Blumengartenschule in Dorfen entdeckt. Das war ein Ausbildungs-Lager, ein Trainings-Kibbuz, in dem Überlebende der Schoah auf ihr neues Leben in Israel vorbereitet wurden. Die dazugehörige Villa wurde vor über zehn Jahren abgerissen, heute ist an ihrer Stelle einen Supermarkt. Der Verein "Dorfen ist bunt" hat dort eine Gedenktafel mit Fotos aufgestellt.
Die Blumengartenschule ist nur ein Detail der spannenden Geschichte der Schoah-Überlebenden in Dorfen. Ebenso zufällig und zur gleichen Zeit wurden bei den Renovierungsarbeiten im "Gasthaus zum Jakobmayer" zwei Malereien entdeckt: ein Davidstern und eine Menora. Zunächst wusste niemand, wer diese jüdischen Symbole an die Wände im Treppenhaus gemalt hatte, wann und warum. Aber auch dieses Rätsel war bald gelöst.
Im "Gasthaus zum Jacobmayer" - heute ein Kulturzentrum - war nach dem Krieg das Jüdische Komitee untergebracht. Dort haben sich die von den Nazis nach Deutschland verschleppten Juden angemeldet, dort hat es eine Küche für die Bedürftigen gegeben und auch einen Betsaal. Bis zum Jahr der Staatsgründung von Israel, also bis 1948, lebten in Dorfen an die 300 Juden.
Minet: "Wir sind jetzt am unteren Markt in Dorfen. Das ist hier praktisch die gute Stube der Dorfener Stadt. Hier sind auch sehr viele Häuser, die von 'displaced persons' belegt wurden."
"Wie muss man sich das vorstellen - mussten dann die Dorfener zusammenrücken?"
"Ja, die Dorfener mussten zusammenrücken, das ist richtig. Was die Dorfener aber nicht getan haben und dann wurde einfach gesagt, so und derjenige kommt jetzt zu Dir in diese Wohnung… Ich denke, dass es sehr schwer war, für die DP's und auch für die Dorfener."
Schwarzenböck: "Das Bewusstsein, dass sie vor einem Jahr im KZ waren, und was das bedeutet hat, haben die Leute nicht wirklich gehabt."

Die meisten Lebenswege rekonstruiert

Trotz allem hat sich auch Rührendes zugetragen zwischen den Einheimischen und den in Dorfen untergebrachten Überlebenden der Schoah. Im Jahr 1947 haben der polnische Jude Jakob Slawny und die waschechte Oberbayerin Elisabeth Dirscherl geheiratet. Ihr Sohn Manfred Slawny wohnt heute noch in der Nähe von Dorfen:
"Es gab schon einige Widerstände auf beiden Seiten – Juden, die nicht verstanden haben, dass mein Vater eine deutsche Christin heiratet und umgekehrt natürlich auch, dass man einen polnischen Juden heiraten konnte, aber sie haben das durchgezogen und dem war auch so. Sie waren auch nicht das einzige Paar, sie hatten Bekannte gehabt, wo es eine ähnliche Konstellation gab."
Trotz allem: Jakob und Elisabeth haben glücklich zusammengelebt. Die Kinder wurden katholisch getauft, doch zu Ostern gab es auch was Jüdisches: die ungesäuerten Pessach-Brote, die Mazzen. Und einmal im Jahr sind Vater Jakob und Sohn Manfred in die Synagoge nach München gefahren, um dort Freunde zu treffen.

"Heute bin ich glücklich, dass ich hier bin"

Manfred über seinen Vater Jakob: "Er war eigentlich fast assimiliert und es war auch in seinem Bekanntenkreis so, wenn er in Dorfen unterwegs war, wussten viele nicht, dass er Jude war. Er hat erzählt: Da war ein Lokal, und dann hat einer über Juden geschimpft. Und dann hat man anscheinend den anderen erzählt, dass Jakob auch Jude ist und da hat der gesagt: Ja, du warst auch nicht gemeint, du bist ja ganz anders wie die Juden."
Im Mai 1948 wurde der Staat Israel gegründet, bald schon haben die meisten Juden Dorfen verlassen. Ihre Nachkommen leben heute überall auf der Welt, ihre Schicksale sind spannend. Nach über 70 Jahren sind die meisten Lebenswege rekonstruiert. Wir können sie nachlesen im Buch "Wie kam der Davidstern nach Dorfen?", herausgegeben vom Aktionsbündnis "Dorfen ist bunt". Als vor drei Jahren die Gedenktafel für die Blumenschule eingeweiht wurde, kamen auch zwei Frauen aus Israel angereist. Zwei Frauen, die in Dorfen geboren wurden:
Schwarzenböck: "Eine der beiden Frauen war schon oft in Deutschland, während die andere nie nach Deutschland kommen wollte. Das hat sie dann auch im Saal erzählt, dass sie nie kommen wollte und jetzt ihrem Vater zuliebe gekommen ist. Wir waren dann sehr berührt, als sie dann in diesem Zusammenhang gesagt hat: Heute bin ich glücklich, dass ich hier bin."
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