Stadt der Spürnasen

Von Adama Ulrich · 24.04.2008
Ein in Holzminden ansässiges Weltunternehmen, das künstliche Geruchs- und Geschmacksstoffe herstellt, hat Holzminden zur Stadt der Düfte und Aromen gemacht. Auf einem Rundgang kommen Besucher in der Innenstadt an sogenannten Duftstelen vorbei.
Nathalie Ananou: " Das Riechen ist das, was mich begeistert. "

Alice Werner: " Holzminden ist (...) eine liebenswerte Kleinstadt mit viel Charme. (...) Man sagt auch, die Toskana an der Weser. "

Thomas Obrocki: " Ich empfehle den Leuten immer, im Sommer zu kommen. Ich kenne die Gegend hier gut und kann ihnen schon einiges bieten. "

Es ist Frühling und es nieselt, als ich in Holzminden eintreffe. Ein leichter, süßlicher Geruch liegt in der Luft. Vom Bahnhof bis zum Fabrikgebäude mit dem roten Logo sind es nur ein paar Minuten.

Obrocki: " Der Name Symrise ist zusammengesetzt aus Symbiose und Arise. Das ist ein neu kreierter Name für diese neu entstandene Firma, die fusioniert ist aus den Firmen Haarmann und Reimer und Dragoco. Im Logo verbindet sich das. Der Drache war immer das Logo der Firma Dragoco, das hieß Drachengoldgesellschaft früher. Ist ein ganz altes Familienunternehmen über mehrere Generationen. Das war ein chinesisches Zeichen, was übernommen wurde, weil viele Öle auch aus China gekauft wurden. Und das Logo von Haarmann und Reimer war der Kolibri. "

Thomas Obrocki ist gebürtiger Holzmindener und - Parfümeur – wie sein Vater:

" Um das Riechen ging es bei uns zu Hause oft. Ich war mit meinen Eltern viel spazieren hier in der Gegend, da wurde auch viel gerochen und Blätter abgepflückt, die Knospen gerieben und gerochen usw. Später war es dann so, dass der Beruf des Parfümeurs mir sehr attraktiv erschien. Dass man die Möglichkeit hat, fast in jedes Land der Welt zu gehen - wir haben in fast jedem Land ein Tochterunternehmen, dass man kreativ arbeiten kann. Das Berufsprofil hat eben viele meiner Wünsche erfüllt. "

Paris, New York, Holzminden. Unter Insidern der edlen Düfte und Aromen ist die Weserstadt ein Mekka des "leichtflüchtigen Genusses". Internationale Nobelmarken lassen hier ihre Düfte kreieren. Für die Kleinstadt Holzminden ist das ein großer Gewinn. 15.000 Arbeitsplätze für 21.000 Einwohner. Das weiß Bürgermeister Jürgen Daul zu schätzen:

" Das ist das Besondere, (...) dass wir auch weltweit agierende Firmen haben. Das ist auf der einen Seite (...) Symrise, das ist auf der anderen Seite die Hauptniederlassung der Firma Stiebel Eltron. Das heißt, wenn jemand hier in eine solche Firma eintritt, dann hat er das Potenzial für eine Karriere, wie sie ihm nur eine Großindustrie bieten kann. Und das heißt für uns ganz klar, wir müssen ein Umfeld schaffen, das qualifizierte Arbeitsplätze auch anspricht. (...) Früher hieß es immer, Kultur ist ein weicher Faktor, das gilt für Holzminden nicht, Kultur ist für uns ein ganz wichtiger Standortfaktor, den wir mannigfaltig versuchen, nach vorne zu bringen. "

Viel los ist trotzdem nicht, meint Nathalie Ananou. Sie will Parfümeurin werden und ist deswegen von Straßbourg nach Holzminden gezogen. Zwar findet alle zwei Jahre ein internationales Straßentheatertreffen in Holzminden statt, es gibt Sportvereine, Schützenvereine, Gesangsvereine und Chöre, einen rührigen Kulturverein, einen Computer- und einen Jazz-Club. Nichts dabei für Nathalie. Und so hat das Ganze dann doch einen Vorteil:

" Man kann sich auf jeden Fall gut auf die Ausbildung konzentrieren. "

Die Holzmindener können auf eine lange Duft- und Aromastoffgeschichte zurückblicken. 1875 wurde hier der Aromastoff Vanillin entdeckt.

Obrocki: " Das wurde aus der Rinde von Bäumen hergestellt. Holzminden hat sehr viel Wald, da lag das nahe. Die Gebrüder Haarmann und Reimer haben dann das Unternehmen gegründet. Das Unternehmen Dragoco war in der Hand der Familie Gerberding, bei der der Urgroßvater mal ganz klein angefangen hatte, Parfums in der Badewanne zu mischen. "

2002 sind die beiden Firmen "Haarmann &Reimer" und "Dragoco" unter dem Namen Symrise fusioniert.

Ananou: " Symrise ist Holzminden, würde ich sagen. Man arbeitet bei Symrise, man lebt bei Symrise, Freunde, Kollegen sind Symrise, man isst und trinkt Symrise, man trägt Parfum von Symrise. Also ich würde mal sagen, dass ist schon so ein bisschen "we are family" hier. Holzminden ohne Symrise wäre nichts."

In der Innenstadt ist der süßliche Geruch, der mir bislang in die Nase gestiegen ist, verflogen. Auf dem Marktplatz stehen, umringt von stattlichen Platanen, Tische und Stühle der anliegenden Cafés und Restaurants. Im Sommer soll der Platz mediterranes Flair ausstrahlen. An diesem verregneten Frühlingstag ist der Platz leer und verbreitet eher Tristes. In der Stadtinformation, gleich um die Ecke, liegen Broschüren aus: "Holzminden – Ein duftender Rundgang".

Alice Werner: " Die Idee zum duftenden Stadtrundgang kam uns bei der Vorbereitung für den Wettbewerb "Ab in die Mitte", eine Niedersachsen-Initiative für die Innenstadt. Da haben wir uns die Frage gestellt, wie kann man das Leitbild, das Alleinstellungsmerkmal der Düfte und Aromen, im Stadtbild erlebbar machen. Da war das Hauptprojekt dieser duftende Stadtrundgang, der die Besucher und die Einheimischen an der Nase herumführt, durch die Altstadt und zu historisch interessanten Standorten. Dort einmal ein bisschen Geschichte erzählt und die Sinne anregt. "

Alice Werner vom Stadtbauamt Holzminden hat den duftenden Rundgang zusammen mit dem ehemaligen Parfümeur der Firma Dragoco Ernst-Adolf Hinrichs initiiert. An 15 Stelen werden verschiedene Düfte präsentiert. Am Haarmannplatz – benannt nach dem Erfinder des Vanillin – beginnt die Riechtour.

Hinrichs: " Das ist die Nr. 1 und die enthält den Holzminden-Stadtduft "Overture". "

Werner: " Es war wirklich die Aufgabe an den Parfümeur gestellt, eine Komposition zu erstellen die wirklich Holzminden charakterisiert. Das heißt, man hat ein "Cool Water" nachher bekommen als Duftnote, was letztendlich ein bisschen Wesergeruch, ein bisschen Sollinggeruch mit aufgenommen hat – wir sind ja eine Stadt zwischen Weser und Solling. Man hat versucht, ein bisschen so eine grüne Note reinzubekommen. Das ist ein ganz interessanter Geruch geworden. Eine wunderbar leichte Komposition. Das ist ein Eau de Toilette, was für Männer und für Frauen zu benutzen ist. Es ist ein wunderbarer Duft. "

Ernst-Adolf Hinrichs trifft die Auswahl der Düfte und Aromen für den Stadtrundgang. Neben "Overture" riecht es aus den Stelen nach Vanille, Lavendel, Mandarine, Kamille, Bratzwiebel, Thymian, Apfel, Anis, Pfefferminze, Weihrauch, Fichtennadel, Geranium, Patchouli und biblischem Salböl.

Hinrichs: " Wir hatten eine Stele an die Lutherkirche gestellt, und da war es ganz klar, da kommt der Duft aus der Bibel. Es gibt im Alten Testament eine Formel nach einem heiligen Salböl aus vier Komponenten. Das war klar vor der Lutherkirche. Vors Rathaus kommt Pfefferminz. (...) Ich habe mir gedacht, beim Rathaus muss Pfefferminz hin, das gibt frische Luft und pustet mal durchs Gehirn beim Rat und der Verwaltung. "

Stele Nummer 14 steht auf dem Marktplatz. Hier riecht es nach Patchouliöl.

Hinrichs: " Das ist ein Duft, der in der Waschmittelindustrie viel verwendet wird. Aber eben auch in sehr exquisiten und sehr teuren Herrendüften. Es ist ein erdiger, warmer Duft, ein bisschen orientalisch. "

Knapp anderthalb Stunden rieche ich mich durch die Stadt. Der Rundgang ist auch optisch gut nachzuvollziehen. Die Stelen bestehen aus zwei Edelstahlsäulen, die in der Mitte durch eine Tafel mit Informationen zum jeweiligen Standort und zur Duftnote verbunden sind. Dadurch entsteht ein H. H wie Holzminden. Doch wie gelangt der Duft in die Nase?

Hinrichs: " Unten in der Edelstahlsäule sind Löcher, und wenn man den Deckel hochzieht, dann gibt es so eine Art Kamineffekt, dann wird der Duft, der sich in einem Behälter hier befindet, der füllt diesen Raum und den kann man durch dieses kleine Gitter riechen. "

Zu besonderen Anlässen, werden die Duftnoten ausgetauscht. Zur Weihnachtszeit riecht es beispielsweise nach Zimt, Bratapfel, Glühwein oder Zuckerwatte. Manchmal werden auch Kinofilme wie "Chocolat" oder "Das Parfum" beduftet.

Hinrichs: " Nicht so gut angekommen ist zu Beginn des Films "Das Parfum", (...) auch das Buch beginnt ja ziemlich brutal, der Geruch auf dem Fischmarkt, dass ist nicht so gut angekommen. Nachher, als es nach Aprikosen gerochen hat, da waren die Leute sehr begeistert. Aber der erste Geruch nach diesen fischigen Noten, dass hat den meisten nicht so gut gefallen. "

Zur Fußball-Weltmeisterschaft 2006 hat sich Ernst-Adolf Hinrichs etwas ganz besonderes einfallen lassen. Er hat die 32 teilnehmenden Nationen mit einem für sie typischen Geruch versehen.

Hinrichs: " Die Schweiz bekam den Duft von Schokolade, Australien von Eukalyptus, Togo die Ananas, Italien natürlich die Pizza, USA die Erdnussbutter von Jimi Carter, Japan Tee, Costa Rica natürlich Kaffee, Frankreich, Land des Parfums, kriegt eine Note von Chanel No. 5, Deutschland Brot und nicht Sauerkraut, und für England habe ich nun unglücklicher Weise After Eight genommen, weil ich geglaubt habe, dass ist aus deutscher Sicht der Duft, den England trägt. Da waren die Engländer "not amused". Ihre Korrespondentin vom "Daily Telegraph" in Berlin hat eine Kolumne geschrieben: Das dürfte sich England nicht bieten lassen, das war eine Revolution, wir müssten das zurücknehmen, wir hätten keine Ahnung, das wäre ja ein Schweizer Produkt. BBC hat dann in zwei Sendungen darüber berichtet. (...) Ich habe leider immer wieder vergeblich versucht, denen zu sagen, wir wollen Deutschen erklären, wie sie England sehen und nicht Engländern, wie sie sich sehen. "

Alle Düfte und Aromen, die man auf dem Rundgang durch Holzminden riechen kann, werden bei Symrise kreiert und produziert. Auf dem Weg dorthin, steigt mir wieder der süßliche Geruch in die Nase. Eine Anwohnerin meint, ich hätte Glück, manchmal würde es auch nach Bratzwiebeln oder Knoblauch riechen. Je nachdem, was gerade produziert werde.

Anwohnerin: " Wenn es nach Lackritz oder Marshmallow oder Kinderzahnpasta riecht, das finde ich nicht als störend, eher ganz lustig. Besonders wenn es nach Früchtetee riecht, finde ich das eigentlich ganz angenehm. An die unangenehmen Gerüche gewöhnt man sich. (...) Ich merke das, wenn ich mit Freunden im Auto unterwegs bin, öh wie stinkt das denn hier? Ich merke überhaupt nichts mehr. Wird man resistent gegen. "

Der Parfümeur Thomas Obrocki führt mich durch die Fabrik. Obwohl alle Düfte und Armomen in Fläschchen und Flacons verschlossen lagern und streng darauf geachtet wird, dass sämtliche Türen geschlossen sind, liegt auch im Gebäude in jeder Abteilung ein anderer Geruch in der Luft.

Obrocki: " Hier findet gerade eine Riechprobe statt. Das heißt, Neuenentwicklungen werden beurteilt. (...) Die Vorschläge sind codiert und werden blind evaluiert. (...) Da steht zum Beispiel: ‚Gefällt mir ausgezeichnet’, ‚gefällt mir sehr’, ;weder noch’ bis hin zu ‚gefällt mir absolut nicht’. "

Diesmal geht es um die Duftnote eines Duschbades. Für die öffentliche Riechprobe stehen vier Fläschchen zur Auswahl – welcher Duft in die engere Auswahl kommt, entscheidet die Mehrzahl an Nasen - und der Kunde.

Obrocki: " Diese Schüsseln, die Sie da stehen sehen, da wird für ein Wäscheweich getestet. Das wird nicht nur anhand der Performance aus dem Glas beurteilt, sondern eben auch, wie ist die Performance auf feuchter Wäsche, was bleibt auf der trockenen Wäsche, riecht das sauber, passt es zum Konzept des Kunden? "

Neben den unterschiedlichen Aromen, von Bratzwiebel bis Kinderzahnpasta, werden hier nicht nur Düfte für Waschmittel, Weichspüler, Duschbäder, Kosmetikartikel aller Couleur und Parfums kreiert, sondern auch für Räucherstäbchen, WC-Steine und Haushaltsreiniger. Um möglichst viele verschiedene Geruchsnoten herzustellen, können die Parfümeure auf 3000 Riechstoffe zurückgreifen. Ein Drittel davon sind natürliche Stoffe, der Rest ist synthetisch.

Obrocki: " Zum Teil ist es so, dass die natürlichen Stoffe unverträglicher sind als die synthetischen. Bergamotte-Öl ist z.B. ein wichtiger Bestandteil vieler Düfte. Aber unter UV-Licht verfärbt es die Haut. Nimmt man das Öl und zieht die beiden Hauptkomponenten raus, hat man einen Bergamotte-Effekt und hat eine bessere Verträglichkeit. Die Natur ist nicht immer besser. Speziell in unserer Branche."

Es gibt Kompositionen, die weit über Hundert Bestandteile haben. Der Parfümeur muss sie gekonnt ins Verhältnis setzen, um die Wünsche des jeweiligen Kunden zu erfüllen.

Obrocki: " Wir bekommen ein sogenanntes Briefing des Kunden, in dem steht, was er möchte, zu welcher Variante, zu welcher Farbe. Wir versuchen, dazu Vorschläge zu entwickeln, und das wird dann hier evaluiert und dann werden ein oder zwei ausgesucht, die dann letztendlich zum Kunden gehen und dort vorgestellt werden. Da treffen dann natürlich auch Muster von Mitbewerbern ein. Bei einem großen Projekt gibt es mindestens drei Mitbewerber und der Kunde entscheidet dann, was ihm am besten gefällt und was letztlich in das Produkt geht. "

Die Wünsche der Kunden sind oft nicht leicht zu erfüllen. Ernst-Adolf Hinrichs sollte in seiner Zeit als Parfümeur ein Schaumbad für den spanischen Markt kreieren. Die Aufgabenstellung lautete so:

" Das sollte riechen wie der Strand morgens um acht Uhr, noch menschenleer, die Sonne ist schon aufgegangen, etwas vernebelt, die Pinien rauschen, die Meeresbrandung im Hintergrund, und so soll das riechen. Wir haben viel ausprobiert, aber die Ausschreibung nicht gewonnen. "

Gewonnen hat ein ganz normales Fichtennadelöl.

Thomas Obrocki erinnert sich an einige Kunden aus den Vereinigten Emiraten, die nach Holzminden kamen:

" Mit denen habe ich hier einen Spaziergang durch den Wald gemacht. Dass kannten die überhaupt nicht. Die Gegend hier ist wunderschön, die Natur ist wunderschön. Ich habe dann hier aus dem Bach getrunken, dass kannten die auch nicht. Wie aus dem Bach? Ja. Das ist supersauber das Wasser. Da waren sie natürlich schon begeistert. Aber was Kultur und dergleichen angeht, das ist schon schwierig. Speziell auch, wenn man Kunden aus Bombay hat. Was da los ist! Was da an Menschen rumläuft! Die haben wir hier im Hotel untergebracht, die haben sich abends nicht auf die Straße getraut, weil sie das Gefühl hatten, es ist alles tot, es gibt keine Menschen mehr. Die konnten damit nicht umgehen, die fühlen sich dann auch unwohl. "

Auf dem Weg zum Bahnhof nehme ich den süßlichen Geruch, der wie eine Glocke über diesem Teil der Stadt hängt, kaum mehr wahr. Er gehört zu Holzminden. Bürgermeister Jürgen Daul hat sich auch daran gewöhnt:

" Als ich hier zur Schule ging, hatten wir das geflügelte Wort: "Heute stinkt es wieder so angenehm." "