Stadler: Schäuble propagiert amerikanisches Denken

Moderation: Birgit Kalthoff · 16.07.2007
Aus Sicht des FDP-Innenexperten Max Stadler geht Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) in der Debatte um die Sicherheitspolitik mit Kalkül vor. Die Vermutung, Schäuble wolle nur Zwist in die Große Koalition tragen, sei zu kurz gegriffen. "Ich habe die Befürchtung, dass es Wolfgang Schäuble um nicht mehr und nicht weniger geht, als die Bundesrepublik Deutschland bei der Terrorismusabwehr auf das amerikanische Denken einzuschwören", sagte Stadler.
Birgit Kalkhoff: Wolfgang Schäuble hat diverse umstrittene Vorschläge zur Terrorabwehr gemacht, und wird deswegen nun zum Prügelknaben der Großen Koalition. In der Tat sind Überlegungen wie die, potentielle Terroristen erschießen zu lassen, nicht dazu angetan, eine unaufgeregte, sachliche Diskussion über wirksame Anti-Terror-Gesetze zu führen. Auch die Ausforschung privater Computer, das Abhören von Handys oder ersatzweise gleich das Verbot von beidem für Extremisten, da sehen viele Kritiker die Grenzen der demokratischen Verfassung weit überschritten.

Auch der Bundespräsident hat sich gestern in die Debatte eingeschaltet und den Innenminister gerügt. Die SPD vermutet, Schäuble wolle das Koalitionsklima absichtlich vergiften. Der wiederum verwahrte sich gegen Denkverbote. Wir sind jetzt zum Interview verabredet mit dem FDP-Innenexperten Max Stadler, schönen guten Morgen!
Max Stadler: Guten Morgen!
Kalkhoff: Herr Stadler, Schäuble fühlt sich nun missverstanden. Können wir jetzt einen Bundesinnenminister beim Zurückrudern beobachten?
Stadler: Ja, das ist schon ein ungewöhnlicher Vorgang und ich kann mich kaum einmal daran erinnern, dass ein Bundespräsident die Amtsführung eines amtierenden Ministers gerügt hätte, so wie dies Herr Köhler dankenswerterweise jetzt gegenüber Herrn Schäuble gemacht hat. Daher rudert Schäuble jetzt tatsächlich zurück, aber wir müssen dennoch eines festhalten: Die Methode von Schäuble, dass er behauptet, er sei missverstanden worden, er habe ja nur Fragen aufgeworfen, darf man ihm nicht durchgehen lassen.

Er hat nämlich Fragen aufgeworfen, die sonst niemand gestellt hat, nämlich etwa, ob es zulässig sei, gezielt bestimmte Personen zu töten. Und er hat gemeint, dazu bräuchte man klare rechtliche Regelungen. Die gibt es. Das ist verboten – außer bei Notwehr und Nothilfe. Und eine Debatte in der Weise zu führen, dass man zwar nicht eine bestimmte Position zu beziehen scheint, aber durch Fragestellung in Wahrheit doch diese Position durchscheinen lässt und dann zu sagen, man sei missverstanden worden, das geht nicht an.

Ein Verfassungsminister hätte von Haus aus, wenn er denn solche Fragen aufwirft, ganz klar sagen müssen: Das ist in einem Rechtsstaat nicht möglich, das ist mit einem Rechtsstaat nicht vereinbart. Und deswegen hat Herr Schäuble die Art und Weise der Debatte selber zu verantworten.
Kalkhoff: Hat Herr Schäuble also mit Absicht an verfassungsrechtliche Tabus gerührt?
Stadler: Ich bin davon überzeugt, und ich glaube auch, dass wir zu kurz greifen würden, wenn wir nur meinen, Schäuble wolle hier Zwist in die Koalition tragen. Er ist ein Politiker von großem Format, daran darf man erinnern, er hat ja den Einigungsvertrag seinerzeit mit verhandelt, und er denkt in größeren Kategorien. Ich habe die Befürchtung, dass es Wolfgang Schäuble um nicht mehr und nicht weniger geht, als die Bundesrepublik Deutschland bei der Terrorismusabwehr auf das amerikanische Denken einzuschwören.

Die Amerikaner haben ja eine andere Art der Terrorismusabwehr, sie haben ja eine dritte Kategorie geschaffen der sogenannten feindlichen Kombattanten. Dafür gilt weder das normale Strafrecht, noch gilt das Kriegsrecht, sondern, wie wir in Guantánamo sehen können, sind diese Personen rechtlos gestellt. Und ich will jetzt Herrn Schäuble keinesfalls unterstellen, dass er ein deutsches Guantánamo schaffen wolle – damit ich nicht missverstanden werde –, aber ich habe den Eindruck, dass er eben die staatlichen Institutionen von den rechtsstaatlichen Bindungen befreien möchte bei der Terrorismusabwehr, die er nämlich, Herr Schäuble, offenbar als störend empfindet.

Und das ist der Kern der Auseinandersetzung, und dagegen muss man sich zur Wehr setzen und sagen, das Grundgesetz muss gewahrt bleiben und der Rechtsstaat ist wehrhaft genug, um sich der Gefahr zu erwehren.
Kalkhoff: Ihr Parteifreund FDP-Generalsekretär Dirk Niebel hat sogar heute in einem Interview den Minister mit US-Präsident George Bush verglichen, weil auch der jede kleinste Abweichung von seinem eigenen Gesellschaftsbild zur akuten Terrorgefahr erklären würde. Ist dieser Vergleich nicht doch ein bisschen sehr schief?
Stadler: Aber hier hat Herr Niebel doch genau den Kernpunkt ausgedrückt. Die deutsche Rechtskultur hat eine bestimmte Art und Weise, sich gegen Verbrechen und gegen drohende Verbrechen zur Wehr zu setzen, nämlich entschieden, aber mit bestimmten rechtlichen Vorgaben. Beispielsweise ist es bei uns undenkbar, dass ein Beschuldigter sich keinen Verteidiger nehmen könnte, dass ein Verdächtiger sich nicht mit einem Anwalt konsultieren könnte. Genau dieses wird aber in Guantánamo zum Beispiel ja den dort Gefangenen verwehrt oder wurde ihnen lange Zeit verwehrt.

Und das ist nur ein Beispiel für die unterschiedliche Art und Weise: Die Amerikaner sagen, unsere Methode, die amerikanische, schützt Menschenleben. Wir sagen, wir brauchen diese Methode nicht, es muss auch so gelingen, dass wir uns schützen. Und all die Vorschläge, die Herr Schäuble in den letzten Wochen ja staccatomäßig, wie der Bundespräsident sagt, unentwegt präsentiert hat, haben eines gemeinsam, nämlich einen Bruch mit der liberalen, rechtsstaatlichen Tradition unseres Denkens vorzubereiten.
Kalkhoff: Müsste sich nicht eigentlich ein Sturm der Entrüstung erheben in der Öffentlichkeit, wenn es um so weitreichende Eingriffe in die Privatsphäre der Bürger geht?
Stadler: Ja. Dieser Sturm der Entrüstung mag vielleicht jetzt nicht in der Form spürbar gewesen sein, dass dies eine Diskussion gewesen wäre, die Millionen Menschen bewegt hätte. Aber es ist doch eines festzustellen: Seit Herr Schäuble derart überzieht, beispielsweise indem er die Unschuldsvermutung relativiert hat, indem er die heimliche Online-Durchsuchung von Computern immer wieder fordert, seitdem macht sich bei Meinungsumfragen ein Stimmungsumschwung bemerkbar.

Früher war immer eine große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger für noch schärfere Gesetze zur Terrorismusabwehr, und jetzt sagt eine Mehrheit, Schäuble geht zu weit. Er hat, glaube ich, in Wahrheit das Gegenteil dessen bewirkt, was er wollte. Nämlich es gibt eine größere Sensibilisierung dafür, dass wir das Grundgesetz, die Bürgerrechte, bewahren müssen.
Kalkhoff: Wenn Sie das vergleichen mit den Notstandsgesetzen, die Diskussion in den 70ern. Was wiegt schwerer, was geht mehr an den Kern der Verfassung?
Stadler: Die heutige Debatte geht deswegen mehr an den Kern der Verfassung, weil wir es mit konkreten Fragestellungen zu tun haben. Die Notstandsgesetze waren ja eine Gesetzgebung für einen Notfall, der seither glücklicherweise nie eingetroffen ist. Dagegen, das kann ja niemand bestreiten, das sehen wir auch so: Die Gefahr durch den Terrorismus ist ja eine reale. Deutschland ist davon nicht ausgenommen. Deswegen ist es ja berechtigt, eine Debatte zu führen, wie man sich hier am besten schützt.

Aber von einem Innenminister, der ja zugleich Verfassungsminister ist, erwarten wir als FDP, dass er dabei mit seinen Vorschlägen strikt auf dem Boden des Grundgesetzes bleibt, während Herr Schäuble sagt, da, wo das Grundgesetz nicht passt, muss man es eben ändern. Und das macht den Unterschied aus.
Kalkhoff: Schäubles umstrittene Anti-Terror-Pläne, das war ein Interview mit dem FDP-Innenexperten Max Stadler. Vielen Dank dafür!