Staatssekretär Gerd Billen

Im Kampf gegen Hass-Kommentare

Das Logo des US-Konzerns Facebook.
Das Logo des US-Konzerns Facebook. © afp / Jonathan Nackstrand
Von Jakob Schmidt · 19.10.2015
Für Gerd Billen, Justiz-Staatssekretär, muss sich Facebook wie andere Firmen auch an geltendes Recht halten. Bei Hassreden ziehe das Strafgesetzbuch enge Grenzen. Rein praktisch gesehen ist der Kampf gegen volksverhetzende Parolen aber etwas schwieriger.
Eine Nacht vor dem Laptop. Facebook. Vor mir eine Seite, die sich "Deutschland ohne Ungeziefer" nennt. Der Inhalt: Hass auf Asylbewerber. Bilder von Rattengift, daneben der Text "Schützt Euch vor dem Drecksviehzeug". Einige Beiträge davon hundertfach geteilt. Das Perfide: Statt von Flüchtlingen sprechen die Macher immer nur von "Schädlingen", fühlen sich damit unangreifbar.
Ich klicke auf die Funktion, mit der man genau solche Inhalte bei Facebook melden kann. Nach wenigen Stunden die Antwort: "Vielen Dank für den Hinweis". Die Seite werde nicht entfernt. Sie verstoße gegen keine Facebook-Regeln.
"Das ist doch glasklar, um was es hier geht"
"Also, mein Name ist Johannes Baldauf. Ich arbeite in der Amadeu-Antonio-Stiftung in Berlin und leite dort das Projekt no-nazi.net. Und wir beschäftigen uns mit Rechtsextremismus und Hass-Rede, 'Hate Speech' in sozialen Netzwerken."
Ich zeige Johannes die Facebook-Seite: "Die habe ich schon zweimal versucht zu melden. Erfolglos."
Johannes Baldauf: "Die kenn ich doch! Die hab ich selber schon... oh, Moment... Müssen wir jetzt mal schauen. Aber wenn wir hier jetzt zum Beispiel schon sehen, Ende September: Ein Bild von Ratten und unten drunter steht halt "Nach Norden." Und die Seite heißt "Deutschland gegen Ungeziefer". Worüber soll ich denn da diskutieren? Das ist doch glasklar, worum es hier geht! Oder..."
"Pestizide, die da abgebildet sind mit dem besten Mittel gegen..."
Johannes Baldauf: "Vor allen Dingen: Das Pestizid ist halt Zyklon B! Ich meine, bitte! Das ist doch eine glasklare Sache! Da gibt es keinen Interpretationsspielraum. Und wenn Leute, die diese Meldung bekommen, die nicht richtig einordnen können, dann sind sie fehl am Platz!"
Und ich bin nicht allein. Viele Nutzer wundern sich über den laxen, inkonsequenten Umgang mit Fremdenfeindlichkeit und Hass.
Staatssekretär: "Facebook ist eine Werbefirma"
Das Bundesjustizministerium. Staatssekretär Gerd Billen moderiert seit kurzem eine Taskforce. Sie soll Facebook und Co. zur Übernahme von mehr Verantwortung zwingen. Gerd Billen:
Gerd Billen, Justiz-Staatssekretär
Gerd Billen, Justiz-Staatssekretär© Deutschlandradio - Bettina Straub
"Produkte müssen sicher sein, man darf keinen Gesundheitsschaden davon tragen, es darf nicht mein Eigentum beeinträchtigen. Und es darf auch nicht den öffentlichen Frieden gefährden. Und das machen eben auch alle anderen Unternehmen. Facebook nennt sich zwar ein "soziales" Netzwerk. Das hört sich so ein bisschen an wie ´ne Einheit der Caritas, ist aber eine Werbefirma. Und auch für diese gelten Pflichten!"
Ist man da ausschließlich auf den "Goodwill" angewiesen oder hat man da wirklich rechtlich eine Handhabe überhaupt?
Gerd Billen: "Für uns ist der Maßstab: Was sagt das Strafgesetzbuch aus? Und wo werden hier Grenzen überschritten?"
Johannes Baldauf: "Naja. In dem Moment, wo man diese Debatte, die sehr, sehr notwendig ist, nur noch dahin verlagert, dass wir über die Dinge reden, die strafrechtlich relevant sind, ist das natürlich aus der Sicht des Gesetzgebers ´ne gute Sache. Aber aus zivilgesellschaftlicher Sicht ist das Feld der Inhalte, bevor es strafrechtlich relevant ist und was wir trotzdem als "Hate Speech" bezeichnen können, das ist halt enorm groß! Denn eigentlich müssen wir über den Rassismus in der Gesellschaft reden. Weil ansonsten stehen wir halt auf einem verlorenen Posten. "Hier, ich hab mal ´ne Taskforce gemacht". Was ist das? Nichts ist das! Je länger man sich damit beschäftigt, desto zynischer wird man, glaube ich."
Ich habe angefangen, volksverhetzende Seiten bei Facebook zu melden – andere gehen weiter. Der Fernsehmacher Philipp Wallulis etwa hat eine Videosammlung mit Argumenten gegen rechts entwickelt. "Klick-Fallen" für Nazis.
"Es funktioniert natürlich nach dem im Internet notwendigen Prinzip inzwischen, dass man ein bisschen reingelegt wird. Und zwar heißt zum Beispiel ein Video: 'Unglaublich! So viel Geld bekommt ein Asylant im Monat.' Und dann ist man natürlich erhitzt hoffentlich – als Hobby-Nazi. Und denkt: 'Endlich sagt das mal jemand.' Dann klicke ich drauf. Und dann kommt eben eine ganz seriöse und ruhige Abhandlung darüber, wie viel Geld es wirklich sind. Klar: Der hundertprozentige Nazi wird da eh nicht mehr zu beeinflussen sein. Aber jemand, der halt eben aufgrund von falschen Informationen oder Vorurteilen im Bekanntenkreis in diese Richtung tendiert, dass der dann da drauf klickt und dann vielleicht doch anfängt, darüber nachzudenken und deswegen ist ja auch unser Slogan: 'Fakten gegen Vorurteile'."
Andere Initiativen gehen noch viel weiter. Auf Youtube erklären Nutzer aus Freiburg Schritt für Schritt, wie sich die Urheber solcher Kommentare beim Arbeitgeber melden lassen. Einer der Initiatoren:
"Es äußert sich jemand rechtsradikal, verfassungswidrig, in der Öffentlichkeit. Und gibt gleichzeitig noch an, wo er arbeitet. Damit vereinnahmen sie ja quasi in gewisser Weise den Arbeitgeber. Das kann es für mich auch nicht sein. Ich möchte nicht irgendwo einkaufen, wo ich sage: 'Das dulden die!'"
Auch Arbeitgeber sollen sensibilisiert werden
Nach intensiver Kritik im Netz sehen die Urheber selbst ihr eigenes Video kritisch. Eigentlich, finden sie heute, gehe es nicht um die Vernichtung von Existenzen, sondern um eine Sensibilisierung der Arbeitgeber.
"Beim Kündigen würde ich zurückgehen. Fände ich irgendwie auch faul vom Arbeitgeber. Aber eine Auseinandersetzung damit, die würde ich mir von jedem Unternehmen, wo ich Kunde bin, wünschen!"
Und Facebook und Co? Wie lassen sich die Unternehmen zur Übernahme von mehr Verantwortung bringen? Johannes Baldauf von der Amadeu-Antonio-Stiftung:
"Meiner Meinung nach liegt die Lösung quasi tief im Unternehmen auch verborgen. Weil eigentlich - darüber wird halt ungerne gesprochen – ist das auch ein sehr mächtiges Erziehungsinstrument, so eine Plattform. In anderen Bereichen passiert das ja auch. Zur letzten Europawahl hat Facebook massiv die Leute dazu aufgefordert, wählen zu gehen. Als darüber abgestimmt wurde in den USA: Soll es jetzt gleichgeschlechtliche Partnerschaften geben oder nicht? - da konnten dann plötzlich alle ihre Profilbilder in Regenbogenfarben eintauchen. Als das Erdbeben in Nepal war, wurden alle dazu aufgefordert zu spenden. Natürlich. Das ist ja auch eine humanitäre Katastrophe. Aber hätte man das nicht auch allein vom Symbolischen her machen können? Und wenn es nur dieses symbolische 'Refugees welcome' gewesen wäre, was oben bei jedem auf der Timeline steht."
Gerd Billen im Justizministerium hingegen glaubt eher an wirtschaftliche Faktoren als Grundlage für ein Einlenken:
"Ich glaube, es gibt auch einige Werbekunden, die sich Gedanken darüber machen, ob sie in einem Umfeld dauerhaft mit ihren Werbeanzeigen und Hinweisen platziert sein wollen, in dem zu viel Hass gesät wird und in dem zu Rechtsbruch aufgerufen wird. Weil die überwiegende Anzahl der Kunden hat keinen Spaß an diesem Dreck!"
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