Staatsoper Hamburg

Nachklang auf Fukushima

Staatsoper Hamburg
Szene aus dem Stück "Stilles Meer" in der Staatsoper Hamburg. © picture alliance / dpa / Foto: Lukas Schulze
Von Jörn Florian Fuchs · 24.01.2016
In Toshio Hosokawas Oper "Stilles Meer" an der Staatsoper Hamburg findet sich Claudia nicht mit dem Tod ihrer Familie ab und reist an den Unglücksort. Lange erscheint die Oper wie eine zeitlose Parabel, bis irgendwann klar wird, wo man sich wohl befindet. Die Oper ist sehenswert, meint unser Kritiker.
Mit heftigem Schlagzeuggewitter beginnt alles. Bald jedoch ist der Krach vorüber und man hört sanfte Klangflächen, gemächlich auf- und absteigende Glissandi, Liegetöne. Zweimal gibt es einen leicht jazzigen Puls, ansonsten herrscht der einschlägige Hosokawa-Konzentrationston vor – hohe Präzision ohne Dekoration. 1955 wurde Toshio Hosokawa in Hiroshima geboren und lernte sein Handwerk sowohl in Asien wie in Europa, studierte etwa beim enigmatischen Klangtüftler Helmut Lachenmann. Hosokawas musikalischer Stil korrespondiert immer mit seinen inhaltlichen Themen sowie mit seinem am Buddhismus orientierten, aber nicht dogmatischen Denken. Seine vierte Oper führt – scheinbar – in die Gegenwart.
"Stilles Meer" könnte man als Nachklang der Erdbebenkatastrophe von Fukushima bezeichnen. Claudia, eine aus Deutschland stammende Ballettlehrerin, hat ihren japanischen Mann und ihren Sohn (aus einer Beziehung mit dem Deutschen Stephan) beim Beben verloren und reist zurück an den Unglücksort. Sie findet sich mit dem Tod des Kindes nicht ab. Rituale und ein Nō-Theaterstück sollen ihr beim Trauern helfen, in dem alten Text sieht die verzweifelte Mutter ein letztes Mal ihr totes Kind und kann Abschied nehmen. Doch letztlich hilft Claudia all das nichts, es gibt kein Wiedersehen, keine Erlösung. Statt ihres Sohns erscheint am Ende des Nō-Stücks eine kleine Ballett-Schülerin.
Die Stimme klirrt und zerrt
Susanne Elmark liefert wunderbar fein ausgehörte Klagekantilenen (gesungen wird auf Deutsch), die altgediente Wagner-Heroine Mihoko Fujimura überzeugt als Schwester des verstorbenen Gatten. Countertenor Bejun Mehta verleiht Stephan überirdisch schöne Töne, bisweilen klirrt und zerrt die Stimme allerdings etwas. Kent Nagano gelingt mit dem Philharmonischen Staatsorchester Hamburg (unter der Mitwirkung der Vokalsolisten Hamburg) eine perfekte Umsetzung der Partitur. Oft ist Balance gefragt: die Musiker und Sänger müssen zugleich zählen und die Sache dann wiederum einfach mal etwas laufen lassen
Regisseur Oriza Hirata (der auch den Originaltext schrieb) zeigt ein präzise ritualisiertes Spiel auf sparsamer Bühne, eine transparente Schräge und ein Steg sind zu sehen, die vorherrschende Bewegung ist langsames Schreiten. Ganz am Schluss tauchen Männer in Schutzanzügen auf, erst da wird klar, wo wir uns wohl befinden. Vorher erlebt man eine fast zeitlose Parabel, die keinen eigentlichen Kern hat, denn niemand macht hier eine wirkliche Entwicklung durch. Durch behutsames Neuarrangieren der Figuren im Raum, im konsequenten Dialog mit der Musik, entsteht ein ungemein feinsinniges, tastendes Theater, ein intensives Spiel mit Spannungsfeldern, letztlich eine Art "'vertontes Warten". Vor allem im Zusammenspiel hoher Stimmen sieht Hosokawa auch eine spirituelle Komponente. Mit westlicher Rationalität ist dem freilich nicht beizukommen. Selbige einen (kurzen) Abend lang beiseite zu lassen, lohnt sich jedoch sehr.

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