Staatskrise in Argentinien

Präsidentin in der Defensive

Die argentinische Präsidentin Cristina Fernandez de Kirchner bei einer Rede am 1.3.2015 vor dem Parlament in Buenos Aires
Die argentinische Präsidentin Cristina Kirchner redet vor dem Parlament in Buenos Aires. © picture-alliance / dpa / David Fernandez
Julio Segador im Gespräch mit Isabella Kolar · 03.03.2015
Der geheimnisvolle Tod des Staatsanwaltes Alberto Nisman hält Argentinien weiter in Atem. "Die Wut der Menschen ist sehr groß", sagt der Südamerika-Korrespondent Julio Segador: Die argentinische Präsidentin Cristina Kirchner habe sich in der Affäre äußerst unsouverän und seltsam verhalten.
Isabella Kolar: Es ist ein argentinischer Krimi, der sich in diesen Tagen und Wochen abspielt. Und wenn selbst der argentinische Papst von einer Mexikanisierung seines Heimatlandes spricht, zeugt das umso mehr von der tiefen Staatskrise, in die das Land geschlittert ist. Auslöser ist der Tod des argentinischen Staatsanwalts Alberto Nisman, der am 18. Januar erschossen in seiner Wohnung aufgefunden worden war. Er sollte am darauffolgenden Tag im argentinischen Parlament über seine Ermittlungen zu einem Bombenattentat auf die jüdische Wohlfahrtsorganisation AMIA 1994 berichten, bei dem 85 Menschen ums Leben kamen. Nisman kurz vor seinem Tod:
O-Ton Nisman: Es hat hier eine Allianz mit den Terroristen gegeben. Der Staat hat mit den Terroristen verhandelt. Es gibt zwei Gründe: Argentinien wollte geopolitisch näher an den Iran rücken. Der zweite Grund ist die Energiekrise, die Argentinien vor zwei Jahren durchlebte. Man wollte Öl vom Iran. Im Gegenzug sollte Argentinien Getreide liefern.
Kolar: Der Staatsanwalt warf der Linksregierung von Staatspräsidentin Cristina Kirchner vor, die iranischen Hintermänner des Anschlags gedeckt zu haben, um, wie gehört, ein Ölgeschäft mit dem Iran nicht zu gefährden. Julio Segador in Buenos Aires, Sie haben die Geschichte von Anfang an verfolgt. Es gibt im Fall Kirchner/Nisman seit vergangenem Freitag eine neue Entwicklung – welche?
"Der Vorwurf lautete Strafvereitelung im Amt"
Julio Segador: Ein Bundesrichter hat die Präsidentin – ja, man kann salopp formulieren – sozusagen reingewaschen. Er hat die Anklage, die ja im Wesentlichen der inzwischen tote Staatsanwalt Alberto Nisman, den wir eben gehört haben, ausgearbeitet hatte, nicht zugelassen. Und der Vorwurf lautete hier Strafvereitelung im Amt. Nicht nur sie, sondern auch ihr Außenminister Hector Timmermann sah sich mit diesem Vorwurf konfrontiert. Der Richter hat das Ganze ein wenig anders gesehen als die Staatsanwaltschaft, auch als Alberto Nisman. Er sehe keinerlei Anhaltspunkte für eine Straftat, daher nehme er den Fall nicht an, so seine Begründung. Das ist die jüngste Entwicklung. Und das heißt für die Präsidentin, für Cristina Kirchner, dass es zu keinem Prozess kommt, bei dem sie aussagen muss. Und das ist für die Präsidentin, denke ich, und so wird das hier in Argentinien auch allgemein beschrieben, ein tiefer Atemzug voll frischem Sauerstoff. Wie ich finde, eine sehr, sehr zutreffende Beschreibung, denn zuletzt stand die Präsidentin schon arg in der Defensive.
Kolar: Und alles wartete nun auf die Reaktion. Das sagte Cristina Kirchner vorgestern in ihrer viel bejubelten dreieinhalbstündigen Rede zur Lage der Nation im argentinischen Kongress:
O-Ton Kirchner: Teile der Justiz haben eine Partei gebildet. Doch die Justiz muss sich unabhängig zeigen von den politischen Kräften, ebenso von den Interessenvertretern der Wirtschaft. Wovon die Justiz aber niemals unabhängig sein kann und darf, ist von der Verfassung, von den Gesetzen und von den Grundwerten.
Kolar: Habe ich das richtig verstanden, Herr Segador? Frau Kirchner wittert eine Verschwörung der Justiz, dieselbe, die sie jetzt gerade freigesprochen hat?
"Wer nicht für die Kirchners ist, der ist gegen sie"
Segador: So ist es. Und nicht nur sie, sondern ihre ganze Regierung wittert eine solche Verschwörung. Ihr Kabinettschef, der sprach in der vergangenen Woche sogar ganz offen von einem Justizputsch. Das ist natürlich ein ziemlich heftiger Vorwurf, starker Tobak, aber es ist auch eine Konstante in der Regierungszeit der Kirchners, also nicht nur von Cristina Kirchner, die jetzt fast acht Jahre an der Macht ist, sondern auch die Regierungszeit mit eingerechnet von Néstor Kirchner, ihrem verstorbenen Mann, der von 2003 bis 2007 Präsident war. Also, wir haben jetzt zwölft Jahre Kirchner-Regierung in Argentinien hinter und, und eine Konstante ist sicherlich, wer nicht für die Kirchners ist, der ist gegen sie. Und dieses Schwarz-Weiß-Denken, das kennzeichnet, wie gesagt, die gesamte Regierungszeit der Kirchners, und die Präsidentin, sie musste zugegebenermaßen sehr, sehr viel einstecken zuletzt, sie versteht es aber auch, auszukeilen. Und für Kompromisse und Ausgleich ist da wenig Platz, und wir haben das eben auch vor zwei Tagen jetzt, bei dieser Rede zur Lage der Nation, ganz deutlich gehört. Ich persönlich sehe das Ganze ein wenig nüchterner, ich denke, da hat der Rechtsstaat ganz gut funktioniert. Die Staatsanwaltschaft hat eine Anklage formuliert, und ein Richter hat dann darüber befunden. Aber natürlich bleibt immer etwas hängen, ohne Zweifel.
Kolar: Zurück zu Alberto Nisman. Lange wurde spekuliert, ob er sich selbst umgebracht hat oder getötet wurde. Gibt es da heute neue Erkenntnisse?
"Die Ermittlungen haben bisher kein Ergebnis gebracht"
Segador: Nein. Der Tod von Alberto Nisman, diesem sehr, sehr regimekritischen Staatsanwalt, der bleibt bis zur Stunde, man könnte sagen, ein Mysterium. War es Selbstmord oder wurde er umgebracht – man weiß es nicht. Die Ermittlungen haben bisher kein Ergebnis gebracht, wenngleich vieles, aber eben nicht alles, auf einen Suizid hinweist, hindeutet. Und mit jedem Tag, der vergeht, und das sagen einem natürlich auch alle Kriminalisten, schwinden die Chancen, dass der Fall wirklich aufgeklärt wird. Es ist auch so, dass in weiten Teilen der Bevölkerung die Wut sehr, sehr groß ist, sie eigentlich täglich wächst, weil es eben keine Klarheit gibt. Und viele Menschen befürchten, dass am Ende Straflosigkeit vorherrschen wird, wie so häufig hier in Argentinien bei solchen, ja, zum Teil politischen Todesfällen, wo man eben nicht genau weiß, was dahintersteckt. Und die Wut der Menschen ist sehr, sehr groß, das hat sich auch gezeigt vor zwei Wochen, als 400.000 Menschen hier in Buenos Aires auf die Straße gegangen sind und eben protestiert haben gegen diese Straflosigkeit.
Kolar: Es sieht ja im Moment auch nicht danach aus, als ob diese allgemeine Empörung sich legen würde, oder?
Segador: Nein, sie wird sich nicht legen, denke ich, solange es auch keine Aufklärung gibt, denn die Hinweise und vor allem die Reaktion auch der Regierung nach dem Tod von Alberto Nisman, die war doch sehr, sehr seltsam. Da hat sich die Präsidentin ja über Twitter mehrmals geäußert, verschiedene Theorien veröffentlicht in den sozialen Medien, hat erst von einem Selbstmord gesprochen, dann hat sie davon gesprochen, dass der Staatsanwalt sicherlich umgebracht wurde – das ist alles sehr, sehr seltsam. Es ist nicht souverän, und viele Menschen im Land, die fragen sich natürlich, wie kann es sein, dass die Regierung so seltsam reagiert. Da muss doch mehr dahinter stecken. Und man darf eines nicht vergessen: Argentinien hat ja eine sehr, sehr leidvolle Erfahrung in der Vergangenheit gemacht mit Staatsterrorismus während der Diktatur 1976 bis 1983, und immer wenn dieses Wort Staatsterrorismus und verdeckte Gewalt des Staates die Runde macht, dann werden die Argentinier aufgrund ihrer Erfahrung sehr, sehr hellhörig, und eben auch in diesem Fall von Alberto Nisman.
Kolar: Im Oktober ist Präsidentschaftswahl in Argentinien. Frau Kirchner wird nach zwei Amtszeiten ja nicht mehr antreten. Aber so, wie ich Sie jetzt verstanden habe, droht dieser Todesfall und die damit verbundenen Vorwürfe gegen sie, jetzt ihre gesamte achtjährige Regierungsära zu überschatten.
"Da merkt man schon, wie sehr ihre Regierung in die Defensive geraten ist"
Segador: So ist es. Und wenn man bei dieser Rede zur Lage der Nation ganz genau hingehört hat, dann hat man schon so ein bisschen auch Frustration rausgehört, weil sie häufiger auch gesagt hat, na ja, meine Nachfolger, Klammer auf, aus dem anderen, Oppositionslager, Klammer zu, die müssen dann schon mal gucken, ob sie es besser machen können. Und es gab mehrere Stellen, wo sie solche Andeutungen gemacht hat. Und da merkt man schon, wie sehr ihre Regierung in die Defensive geraten ist. Und es ist auch so, dass in den aktuellen Meinungsumfragen die potenziellen Kandidaten, dass die hier wirklich sehr, sehr weit hinten sind. Bislang ist es so, wenn man den Meinungsumfragen Glauben schenken mag, dass Politiker, die jetzt in der Opposition sind, die besten Chancen haben, Nachfolger von Cristina Kirchner im Oktober zu werden.
Kolar: Also ein argentinischer Krimi, der uns noch einige Zeit in Atem halten wird.
Segador: So ist es. Und ich glaube, dass nach einigen Wochen und Monaten, wenn der Fall nicht aufgeklärt wird, dieser Krimi auch dazu führen wird, dass ein sehr, sehr negatives Kapitel der argentinischen Geschichte hier weitergeschrieben wird. Und Cristina Kirchner, die Präsidentin, die muss sich da wirklich vorhalten lassen, dass sie durch ihre unsouveräne Art, mit den Vorwürfen umzugehen, durch diese sehr, sehr konfrontative Art auch auf ihre Feinde und Gegner einzuprügeln sozusagen, dass sie sich da wirklich die letzten Monate ihrer Präsidentschaft verdorben hat.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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