Staatsbesuch des ägyptischen Präsidenten

Grüne kritisieren roten Teppich für Al-Sisi

Der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi während eines Treffens der Arabischen Union.
Not welcome: Der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi. © AFP / Mohamed El-Shaded
03.06.2015
Die Bundestagsabgeordnete und stellvertretende Vorsitzende der deutsch-ägyptischen Parlamentariergruppe, Franziska Brantner (Bündnis 90/Die Grünen), hat den Deutschland-Besuch des ägyptischen Staatspräsidenten Abdel Fattah Al-Sisi kritisiert.
Die Einladung zu diesem Besuch sei eigentlich unter der Voraussetzung von abzuhaltenden Parlamentswahlen in Ägypten erfolgt, sagte Brantner im Deutschlandradio Kultur:
"Jetzt haben in Ägypten seither immer noch keine Wahlen stattgefunden. Sie werden verschoben und verschoben. Und dann hat man aber signalisiert: Al-Sisi ist trotzdem willkommen. Und das finde ich falsch. Entweder man setzt eine Bedingung auf dem Weg zur Demokratisierung, zur Transformation - und dann hält man sie auch ein. Oder man lässt es von Anfang an sein."
Darüber hinaus habe sich die Menschenrechtslage in Ägypten wesentlich verschlechtert, äußerte Brantner:
"Und dann finden wir es falsch zu sagen: 'Das ist uns alles egal. Wir machen da gute Geschäfte. Und gerne der Rote Teppich.'"
Sie sei skeptisch, ob seitens der Bundesregierung kritische Stimmen hinsichtlich der Menschenrechtslage kommen würden.
So habe sie auch eine Reaktion auf die verhinderte Ausreise eines ägyptischen Menschenrechtsaktivisten vermisst:
"Die kritischen Stimmen durften nicht einmal ausreisen, um auch während Al-Sisis Besuch ein anderes Bild darzulegen. Das finde ich wirklich einen Affront."
"Man braucht da eine realistische Perspektive"
Es sei fraglich, ob Ägypten tatsächlich einen Stabilitätsanker im Nahen Osten darstellen könne, meinte Brantner:
"Ich glaube, Stabilität und Menschenrechte gehören zusammen."
Porträtbild von Franziska Brantner
Franziska Brantner ist Bundestagsabgeordnete der Grünen.© Büro Franziska Brantner
Al-Sisis Strategie, einen Großteil seiner Bevölkerung zu terrorisieren, führe auch zu einer Radikalisierung der Jugend:
"Ich glaube, dass gegen den Terror nicht eine Strategie der Terrorisierung der eigenen Bevölkerung hilft."
Im Nahen Osten könne keine Regierung stabil sein, die einen Teil der Bevölkerung komplett ausschließe.
Auf die Frage, ob die Bundesregierung zu Al-Sisi ein ähnliches Verhältnis wie zum früheren Präsidenten Mubarak anstrebe, entgegnete Brantner:
"Ich finde, dass man die Tendenzen der Normalisierung und der Rehabilitierung da schon sieht."
Man müsse aufpassen, dass man nicht eine ähnliche Politik betriebe wie vor der Zeit der arabischen Revolutionen:
"Dass man sagt: 'Für den Kampf gegen den Terrorismus ist uns alles recht. Und da setzen wir auch auf die autokratischen Staaten.' Die Politik ist schon einmal gescheitert. Ich glaube, sie würde ein zweites Mal scheitern. Man braucht da eine realistische Perspektive. Einen Dialog mit Konditionen."

Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: An diesem Mittwoch, am Vormittag, beginnt heute ganz offiziell der Staatsbesuch des ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah Al-Sisi in Deutschland. Er beginnt mit der Begrüßung durch den Bundespräsidenten Joachim Gauck im Park von Schloss Bellevue mit allen militärischen Ehren und geht dann weiter unter anderem mit einer Begegnung mit Bundeskanzlerin Angela Merkel. Und dieser offizielle Staatsbesuch und sein Ablauf, das gefällt nicht allen in Deutschland, auch nicht allen im deutschen Bundestag. Viele bringt dieser Besuch in Rage.
Ursprünglich war zum Beispiel auch ein Treffen mit dem Präsidenten des Deutschen Bundestags Lammert geplant, der aber schon im Vorfeld klar gemacht hat, dass er ein solches Treffen ablehnt. Einladen oder nicht, reden oder nicht, das ist das Thema jetzt unseres Gesprächs mit Franziska Brandner. Sie sitzt für die Grünen im Deutschen Bundestag und ist unter anderem stellvertretende Vorsitzende der Deutsch-Ägyptischen Parlamentariergruppe. Schönen guten Morgen, Frau Brandner!
Franziska Brantner: Guten Morgen!
Kassel: Sollte man, sollte die Bundesregierung mit einem Mann wie Al-Sisi grundsätzlich gar nicht reden?
Brantner: Die Frage ist nicht, ob man grundsätzlich miteinander spricht, aber man muss sich auch die Geschichte anschauen. Frau Merkel hatte Herrn Al-Sisi im September eingeladen gehabt unter der Voraussetzung, dass er Wahlen abhält. Man hat gesagt, wenn du Wahlen abgehalten hast, Parlamentswahlen, bist du herzlich danach in Berlin willkommen. Jetzt haben in Ägypten seither immer noch keine Wahlen stattgefunden, werden verschoben und verschoben.
Und dann hat man aber signalisiert, Al-Sisi ist trotzdem willkommen. Und das finde ich falsch. Entweder, man setzt eine Bedingung, auf dem Weg zur Demokratisierung, Transformation, und dann hält man sie auch ein, oder man lässt es von Anfang sein. Und zusätzlich hat sich die Menschenrechtslage in Ägypten seither auch noch wesentlich verschlechtert. Und dann finden wir es falsch zu sagen, das ist alles egal, wir machen da gute Geschäfte, und gerne der rote Teppich.
Die Frage der Menschenrechtsverletzungen
Kassel: Haben Sie denn Sorge, dass es bei diesem zweitägigen Staatsbesuch überhaupt nicht um die Menschenrechtsverletzungen, um die Lage, die politische Lage in Ägypten gehen wird?
Brantner: Ich hoffe, dass es auch öffentlich sehr, sehr stark angesprochen wird. Es ist zum Beispiel so, dass wir als grüne Fraktion gestern ein Gespräch hatten zur Menschenrechtslage, zu dem wir einen bekannten Menschenrechtsanwalt aus Ägypten eingeladen haben. Der durfte nicht ausreisen, er wurde am Flughafen festgehalten, sein Pass wurde ihm weggenommen, er musste zur nationalen Sicherheitsagentur gehen. Also, die kritischen Stimmen durften nicht mal ausreisen, um auch während Al-Sisis Besuch ein anderes Bild darzulegen. Das finden wir wirklich auch einen Affront.
Da hätte ich mir gewünscht, dass die Bundesregierung auch klar sagt, bei uns darfst du sprechen, aber in der Demokratie muss es auch andere Stimmen geben. Du darfst nicht darüber bestimmen, wer bei uns auch reden darf. Deswegen bin ich da etwas skeptisch, ob da wirklich die kritischen Stimmen kommen werden. Die Bundesregierung hat nicht mal erreicht, dass irgendeine Lösung zustande kommt für die deutschen politischen Stiftungen, die ja nicht arbeiten dürfen in Ägypten. Gegen die Konrad-Adenauer-Stiftung sind immer noch Haftstrafen ausgesprochen. Die Transformationsgelder, die für Menschenrechtsorganisationen ausgegeben werden sollten, aber auch für Friedensprojekte, sind gestoppt von Al-Sisi. Das heißt, da ist eigentlich gar nichts passiert. Deswegen habe ich schon den Eindruck, Al-Sisi ist einfach sehr forsch, und er kommt damit durch. Und das ist ein Signal in die ägyptische Gesellschaft, das ich für falsch halte.
Kassel: Hochrangige Vertreter der Bundesregierung, unter anderem Außenminister Steinmeier sagen aber, Al-Sisi sei auch ein Garant für Stabilität in Ägypten, einer Stabilität, die es sonst kaum noch irgendwo im arabischen Raum gebe.
Brantner: Das wäre ja wunderbar. Ich glaube, die Gefahr für die gesamte Region der Instabilität ist ja überhaupt nicht zu unterschätzen. Aber ich glaube, dass die Strategie von Al-Sisi, einen Großteil seiner Bevölkerung zu terrorisieren – es geht ja nicht nur um die Muslimbrüder, die ungefähr 20 Prozent der Bevölkerung ausmachen, die wirklich ausgeschlossen, im Gefängnis sind, nicht in die Schulen gehen können - das ist extrem ein Programm zur Radikalisierung der Jugend dort.
Und außerdem sind alle Menschenrechtsaktivisten, alle Jugendlichen, die sich politisch engagiert haben, genauso bedroht, im Gefängnis, unterdrückt. Und ich glaube, dass gegen den Terror nicht eine Strategie der Terrorisierung der eigenen Bevölkerung hilft. Das ist nicht eine stabile Lage, auch sozial ist es extrem schlecht, da geht gar nichts voran.
Ist Ägypten tatsächlich ein Stabilitätsanker?
Kassel: Aber ich glaube, dem wird ja keiner widersprechen. Man kann ja nicht gerade behaupten, das ist schön und gut, was er da macht. Aber auf der anderen Seite ist es nicht schwer zu kritisieren, wenn man überhaupt kein Alternativkonzept hat. Zur kurzen Regierungszeit von Mursi gab es auch keinen Frieden in Ägypten und auch keine großartige Menschenrechtslage. Also, es ist ja die Frage, wenn es jetzt Wahlen gäbe, wären sie überhaupt frei? Das ist alles andere als sicher, aber wenn sie frei wären, sind wir uns auch nicht sicher, dass es danach besser wird, oder?
Brantner: Nein, aber ich bin davon überzeugt, dass im Nahen Osten keine Regierung stabil sein wird, die wirklich einen Teil ihrer Bevölkerung komplett ausschließt. Das haben wir im Irak gesehen, das sehen wir in anderen Ländern. Das ist wirklich kein Rezept für eine stabile Regierung. Und das ist eben eigentlich deswegen traurig, dass man Al-Sisi nicht signalisiert: Wir wünschen uns, du wärest ein Stabilitätsanker, und dafür würden wir dich auch unterstützen, aber deine Politik momentan ist keine, die für Stabilität sorgen wird.
Und übrigens, im Hinblick auf Libyen zum Beispiel, da spricht zwar Ägypten immer davon. dass es den Dialog unterstützt, ist aber ein knallharter Unterstützer von Haftar. Das ist einer der Generäle, die wirklich nicht für Frieden stehen, greift militärisch ein. Auch dort sagen die Experten, Ägypten sorgt nicht für Stabilität in Libyen. Die Hamas ist kein Gesprächspartner mehr, also auch dort gilt: Die Vermittlerrolle, die Ägypten hatte, kann es eigentlich nicht mehr einnehmen. Deswegen, finde ich, muss man dieses in Frage stellen, ob Ägypten ein Stabilitätsanker ist. Ich glaube, Stabilität und Menschenrechte gehören zusammen.
Kassel: Aber gerade, wenn Sie Libyen erwähnen, stellt sich die Frage, sollte man nicht vielleicht noch mit den Ländern reden, in denen es noch einen gibt, mit dem man konkret reden kann? Und wenn Sie sagen, so, wie der Staatsbesuch von Al-Sisi jetzt abläuft, so kann das in Ihren Augen eigentlich nicht laufen – wie denn dann? Man kann sich ja mit einem amtierenden Präsidenten nicht im Hinterzimmer treffen.
Brantner: Nein, ich fand ja, dass die Bedingung genannt wurde: Komm, wenn du Parlamentswahlen abgehalten hast, da hatten wir überhaupt nichts kritisiert. Das fand ich im Sinne von, man signalisiert Dialogbereitschaft, aber man hält auch an Maßstäben fest, absolut richtig. Wir haben kritisiert, dass man halt einfach en passant das alles aufgegeben hat, sich die Situation verschlechtert und man trotzdem an all dem festhält.
Milliardendeals im Hintergrund
Und wenn man weiß, dass dann Milliardendeals im Raum stehen, dann kriegt man halt schon seine Zweifel daran, um was es bei dem Thema wirklich geht, ob es auch wirklich um die Stabilität im Nahen Osten geht und nicht um ganz andere Dinge. Von daher, dass man an sich spricht – ich war letzte Woche selber in Kairo. Wir sind da alle im Dialog. Es geht ja nur darum, worüber man spricht, in welchem Format, und welche Signale man damit auch nach Ägypten rein sendet. Und da, finde ich, muss man aufpassen, dass es eben nicht ein Signal ist. Deutschland wird wahrgenommen als das wichtigste Land Europas- ist es ja auch - ist einfach hinter As-Sisi und findet den Kurs richtig.
Kassel: Fürchten Sie denn gerade bei dem, was Sie gesagt haben, Entschuldigung, fürchten Sie denn, dass die Bundesregierung ein Verhältnis jetzt zu As-Sisi anstrebt, wie sie es früher mal zu Mubarak hatte?
Brantner: Ich finde, dass man die Tendenzen der Normalisierung und der Rehabilitierung da schon sieht. Und ich finde, man muss aufpassen, dass es nicht eben dazu führt, dass man die gleiche Politik hat wie vor Mubarak, vor den arabischen Revolutionen. Dass man sagt, für den Kampf gegen den Terrorismus ist uns alles recht, und da setzen wir auch auf die autokratischen Staaten. Die Politik ist schon einmal gescheitert, ich glaube, sie würde ein zweites Mal scheitern. Man braucht da eine realistische Perspektive, einen Dialog mit Konditionen, einen kritischen Dialog. Und wenn wir einfach wieder zurückgehen zu dem Alten, müssten wir eigentlich wissen, dass das schon einmal gescheitert ist.
Kassel: Franziska Brandner, Bundestagsabgeordnete der Grünen und stellvertretende Vorsitzende der Deutsch-Ägyptischen Parlamentariergruppe. Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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