Staatlich verordnetes Kunst-Marketing

Von Siegfried Forster · 08.05.2006
Die goldenen Zeiten von Paris als weltweiter Kunstmetropole sind seit langem vorbei. Um die Seine-Metropole wieder ins Bewusstsein der Kunstwelt zu hieven, haben im dortigen Grand Palais allein 15 Kuratoren Werke von 200 zeitgenössischen französischen Künstlern zusammengestellt. Die Schau wurde vom französischen Premierminister Dominique de Villepin ins Leben gerufen. "Kunst-Patriotismus!", unken daher die ersten Kritiker.
Eine Reality-Show als Kunstwerk. Im Video von Francesco Vezzoli darf der Gewinner Catherine Deneuve die Hand küssen und eine Nacht mir ihr verbringen. Mit Wirklichkeit hat das Ganze natürlich nichts zu tun, aber viel mit der "Macht der Kunst". Eric Troncy, einer der Kuratoren von "La Force de l’Art" beweist anhand einiger Künstler, wie wegweisend die Kunst selbst für die heutige kommerzielle TV-Welt gewesen ist und immer noch ist:

"Hier sehen Sie einmal das prächtige Gemälde von Bernard Buffet mit seinen Musiker-Clowns, dann eine Persiflage des Künstlers Xavier Veilhan auf die 'Star Academy': Im Studio hinter dem Mischpult stehen zwei Tanzbären. Oder nehmen Sie die Gesichtsoperationen der Aktionskünstlerin Orlan, die bereits in den 90er Jahren ihre Kunst-Aktionen praktisch live übertragen hat. In diesem Saal versuche ich zu zeigen, dass alle Neuerungen der Reality-Show in Wirklichkeit von Künstlern des 20. Jahrhunderts stammen."

Das mit Spannung erwartete Stelldichein der französischen Kunst-Szene gleicht ebenfalls einer Art Reality-Show, mit der Kunstwelt als Dekor. Zuletzt hatte 1972 Georges Pompidou es gewagt, als Präsident eine offizielle Kunstmesse von oben herab zu verordnen und sich dabei den Vorwurf einer "Staatskunst" eingefangen.

Eine offizielle Künstlerliste gibt es diesmal nicht. Vertreten sind Werke lebender, bereits verstorbener, berühmter, aber auch eher unbekannter Künstler - gemeinsam haben alle einen mehr oder weniger engen Bezug zu Frankreich: von Boltanski, Messager, Huyghes, Calder bis Judit Reigl oder Ruth Barabash.

Claude Levêque präsentiert eine Art pulsierendes Gehirn aus roten Neonröhren. Er hat nicht das Gefühl, sich im Grand Palais einem neuen französischen Kunst-Patriotismus zu unterwerfen:

"Das Ziel ist, die französische Kunst zu zeigen. Es gibt wenige Ausstellungen, die französische Künstler zeigen. Es gibt Veranstaltungen dieser Art in Deutschland, in Großbritannien, in den USA... Jetzt ist es wichtig, zu zeigen, was in öffentlichen französischen Sammlungen schlummert. Endlich französische Künstler zeigen, die relativ wenig sichtbar sind im Ausland."

Mit über 7.000 Quadratmetern bietet der Grand Palais drei Mal mehr Fläche als eine Groß-Ausstellung im Centre Pompidou. 50 der über 200 Künstler präsentieren extra für die Schau angefertigte Auftragsarbeiten. Bernard Blistène hat für das Kulturministerium die Ausstellung koordiniert. Er präsentiert etwa einen zwölf Meter langen Glastisch von Richard Fauguet als einem Tony Cragg ebenbürtig, vergleicht das Atelier von Chohrey Feyzdjou mit Beuys, doch eine tatsächliche Konfrontation der Künstler ist aufgrund des Konzepts ausgeschlossen. Von einer Schwäche der französischen Kunst-Szene will er nichts hören. Frankreich habe lediglich auf dem internationalen Kunstmarkt und im weltweiten Medienecho an Macht verloren:

"Soll die Schwäche der französischen Kunst etwa sein, dass sie aufzeigt, dass man einer gebieterischen Diktatur des Marktes und der Globalisierung widerstehen kann? Oder dass ein Künstler auch ohne ungeheuerliche Werbeaktionen existieren kann? Ich akzeptiere nicht, dass eine Kunst-Szene einzig und allein auf ihre Präsenz auf dem öffentlichen Kunstmarkt oder bei bestimmten Ausstellungen reduziert wird, die eigentlich Werbeshows sind. Es gibt eine andere Wirklichkeit."

Untergangsstimmung kommt in der Ausstellung jedenfalls selbst bei der eher düsteren Atmosphäre von Pierre Huyghe oder den meterhohen Skeletten von Xavier Veilhan nicht auf. Die Ausstellung im Grand Palais bietet eigentlich 15 verschiedene Ausstellungen, 15 unterschiedliche Sichtweisen der oftmals verschmähten aktuellen französischen Kunst-Szene. Jeder Besucher kann dann selbst entscheiden, ob er es eher mit Macht oder Ohnmacht der französischen Kunst zu tun hat.

Kurator Lorand Hegyi hat seine Werkauswahl mit "Heimatlos" überschrieben, andere mit "Superdéfense", dem Namen einer Anti-Falten-Creme, "Kluft", "Labor für eine ungewisse Zukunft" oder "Ich glaube nicht an Gespenster, aber ich habe Angst vor ihnen". Lorand Hegyi:

"... Ich glaube nicht, dass diese Ausstellung irgendwie die Schwäche der französischen Kunst kompensieren will. Erstens einmal, weil ich glaube nicht, dass die französische Kunst schwächer ist als alle anderen. Und zweitens, die Ausstellung hat mehr eine Funktion, die Aufmerksamkeit auf die französische Kunstkreation zu ziehen. Das heißt, ich glaube nicht, dass diese Ausstellung große Veränderungen verursachen wird."

An Kritik fehlt es - wie anno 1972 - auch diesmal nicht: Einige bezeichnen "La force de l’art" als kunstpolitische "Farce", andere als Frankreich-Tümelei oder als "Expo Villepin" - im Hinblick auf den Ehrgeiz des Premierminister bei den kommenden Präsidentschafts-Wahlen. Gérard Fromanger boykottierte die Schau weil sie - seiner Meinung nach - reinste Wahl-Propaganda darstellt. Unterdessen organisiert der Pariser Galerist Marcel Fleiss eine "Kunstmesse der Missachteten" und versammelt in seiner Galerie Werke von 14 Künstlern: von Alechinsky über Ben bis Jean-Jacques Lebel.