Staatenlos in Deutschland

Keine Heimat. Nirgends

Menschenmenge in Deutschland
Auch in Deutschland gibt es viele Staatenlose. © dpa / picture alliance / Daniel Reinhardt/dpa
Von Thomas Klug und Maximilian Klein · 12.02.2016
Eigentlich hat jeder das Recht auf einen Pass. Das legt die allgemeine Erklärung der Menschenrechte fest. Trotzdem gibt es in Deutschland rund 13.000 Staatenlose. Einer von ihnen ist der 26-jährige Yachia. Alle drei Monate wird seine Duldung verlängert - seit zehn Jahren.
"Jedes Mal, wenn ich meine Adresse brauche, also auf meiner Duldung steht keine Adresse drauf, jedes Mal, wenn ich zu einer Behörde gehe, muss ich diese Meldebescheinigung mitbringen, nach sechs Monaten brauchen wir ja immer eine aktuelle."
Yachias Blick streift über die Yucca-Palmen des Warteraumes im Bürgeramt Essen. Es ist acht Uhr morgens. Die fest zusammen geschraubten Metall-Sitze sind hart und kalt. Yachia, 26 Jahre alt, sitzt oft hier.
"Wir sitzen alle seit über zehn Jahren Duldung. Und die wird jede drei Monate verlängert. Wir sind hier geboren, sind zur Schule gegangen. Haben deutsche Freunde. Unternehmen sehr viel mit Deutschen. Und wenn Du irgendwo hingehen möchtest, wie jetzt zum Beispiel mit meinem Verein. Ich spiele ja auch Fußball. Und dann wollen wir eine Mannschaftsfahrt machen. Am Ende der Saison macht man 'ne Mannschaftsfahrt. Mit der Duldung darf ich nicht."
Yachias Eltern sind vor dem Krieg im Libanon nach Deutschland geflüchtet. Die Familie erhielt eine Aufenthaltsgenehmigung, führte ein weitgehend normales Leben. Ohne Aufenthaltsbeschränkung. Doch das änderte sich mit dem Tag, als die deutschen Behörden herausfanden, dass seine Familie ursprünglich aus der Türkei stammt.
Aus dem Flüchtlingsstatus wurde eine Duldung, aus Yachia ein "Staatenloser". Und das bekommt er täglich zu spüren. Wenn er Arbeit sucht und, wenn überhaupt, Gelegenheitsjobs findet. Als Maler, Obstverkäufer, Umzugshelfer. Ansonsten lebt er von Sozialhilfe. Das Geld dafür kann er sich nicht mal auf ein Konto überweisen lassen. Er hat keins.
Yachia kann als Geduldeter kein Konto eröffnen
Vom Bürgeramt geht er durch die Essener Innenstadt. Heute will er versuchen auf der Postbank, ein Konto zu eröffnen. Auch wenn er wieder nur mit einem Kopfschütteln oder einem "So geht das nicht" rechnet.
"Ich möchte ein Konto eröffnen. Hier ist meine Meldebestätigung, mein Ausweis."
"Damit kann ich kein Konto eröffnen."
"Warum?"
"Weil ich einen Pass brauche."
"Ich habe zur Zeit keinen Pass."
"Damit kriege ich das nicht hin. Darf ich nicht eröffnen."
"Aus welchem Grund?"
"Ist die Vorgabe von oben. Müssten Sie sich an die Postbank selber wenden. Aber damit darf ich es definitiv nicht eröffnen. Ich frage gerne noch einmal nach. Aber…"
Die Nachfrage dauert eine halbe Minute.
"Nein, können wir nicht, weil die Urkunden nur auf richtigem Namen eröffnen dürfen und wegen diesem Passus hier, dass die Personenangaben ja nur rein auf Ihrer berufen."
Die Angestellte zeigt mit einer abfälligen Geste auf Yachias Papiere.
"Und keiner kann mir wirklich sagen, ob Sie das sind oder nicht. Und deshalb darf ich das nicht eröffnen."
"Da ist doch ein Bild von mir oder nicht?"
"Ja, aber die Angaben beruhen ja nur auf Ihren Angaben. Ich kann auch wo hingehen und sagen, ich bin Frau soundso, bin ich gar nicht. Das ist jetzt der Hintergrund, der jetzt hier ist. Da darf ich kein Konto eröffnen."
Ungeklärter Aufenthaltsstatus - jahrzehntelang
Yachia verlässt die Bank, geht am Bahnhof vorbei. Lässt sich nicht anmerken, ob er sich gerade schämt oder wütend ist. Er weiß nur: das merkwürdige Dokument in seiner Tasche lässt ihn immer wieder spüren: wir wollen dich hier nicht.
"Egal wo ich hingehe, ich schäme mich das raus zu holen. Wenn Polizei normale Kontrolle macht zum Beispiel. Ich schäme mich das rauszuholen. Weil man schämt sich einfach so ein... Du hast ein Zettel in der Hand und da steht drauf du bist ausreisepflichtig. Wo willst du dich damit zeigen."
Er will zu Achmed Omeirat. Dessen Büro liegt nur ein paar Meter vom Bahnhof entfernt. Yachia weiß nicht genau, ob er dort Hilfe sucht oder nur Trost.
Ahmad Omeirat spuckt Worte aus – schnell und viele: Anlaufstelle, Begegnungszentrum, Community, Administration. Er ist Politiker – halbtags. Für Bündnis 90/Die Grünen ist er Mitglied im Rat der Stadt. Ahmad Omeirat ist in Beirut geboren. Er kam 1985 nach Deutschland – da war er ein Jahr alt. Seine Mutter war mit ihm und seiner Schwester auf der Flucht.
"Ich habe nur ein Problem damit, wenn wir der Welt ein Bild präsentieren von dem freundlichen Deutschland, das tatsächlich an den Grenzen Flüchtlinge mit offenen Armen empfängt, aber auf der anderen Seite seine Altfälle, die seit 30 Jahren hier ohne Rechte, mit psychischen Problemen kämpfen müssen, weil sie ihren Aufenthaltsstatus nicht in ein legales dauerhaftes Bleiberecht umtragen können – da müssten wir anfangen, bevor wir dieses wunderbare Bild in die Welt transportieren."
Yachia wirft seinen Passersatz genervt auf den Tisch.
Seit zehn Jahren geht jetzt der Papierkrieg mit dem Amt. Er will endlich ankommen in dem Land, in dem er geboren wurde. Bleiben dürfen und ganz normale Dinge machen. Mit auf Mannschaftsfahrt gehen zum Beispiel. Oder auf einer Bank Geld abheben von seinem Konto.
Gleich morgen will er wieder versuchen, eins zu eröffnen. Diesmal bei der Sparkasse.
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