Staat soll Digitalisierung von Büchern überwachen

Xavier Darcos im Gespräch mit André Hatting · 10.09.2013
Die Frage des Urheberrechts bei der Digitalisierung von Büchern findet der Präsident des Institut Francais, Xavier Darcos, bedrohlich. Er setzt auf eine europäische Lösung mit staatlicher Kontrolle für die rechtliche Regelung.
André Hatting: "Das Internet ist für uns alle Neuland". Für diesen Satz hatte Bundeskanzlerin Merkel viel Spott geerntet. Aber wenn man sich einmal das Verlagswesen ansieht, dann trifft diese Feststellung vielleicht sogar zu. Der Markt für E-Books wächst, immer mehr Autoren veröffentlichen im Netz, aber für viele Verlage ist das immer noch Neuland. Sie setzen auf das gute alte Druckwerk. Und deswegen haben sich vor der Frankfurter Buchmesse im Rahmen des deutsch-französischen und europäischen Gesprächsforums Autoren, Verleger und Politiker getroffen, um genau darüber zu diskutieren. Zu der Veranstaltung eingeladen hat die französische Botschaft in Berlin, und mit organisiert hat es das Institut français. Mit dessen Präsident, Xavier Darcos, hatte ich am Rande des Forums Gelegenheit, über die Zukunft des Buches, die Zukunft Europas, so nämlich das Motto der Veranstaltung, zu sprechen. Und als erstes wollte ich von ihm wissen, ob er in Internet und E-Book nur eine Bedrohung der Schriftkultur sieht, oder auch Bereicherungen.

Xavier Darcos: Auf jeden Fall müssen wir mit dem Internet und auch mit den E-Books leben, die können wir nicht mehr uns hinwegdenken, aber es gibt bedrohliche Aspekte bei der Digitalisierung. Es gibt beispielsweise das ganze Problem der Urheberrechte, und die Frage ist, ob Verleger und andere Distributionsformen noch so eine große Rolle spielen werden oder ob sie nicht verschwinden werden, wie auch der Buchhändler verschwinden wird.

Und dann ist es auch immer eine Frage der Qualität. Zum Beispiel steht zu befürchten, dass es neue künstliche Formen der Promotion gibt, dass sich neue Gruppen bilden, die dann für Bücher werben. Deswegen sind wir in Frankreich der Meinung, dass bei der Digitalisierung der Bücher eine Kontrolle ausgeübt werden muss und dass man beispielsweise auch harmonieren sollte, wie das geldlich geregelt wird. Insofern muss auch ein digitales Buch geschützt werden, das muss reguliert werden, und der Staat soll hier durchaus eine Kontrolle ausüben. Aber natürlich ist das Internet mittlerweile Teil unseres Lebens.

Hatting: Ist wie in der Musik auch der Schutz des Urheberrechts die größte Herausforderung?

Darcos: Das ist eine große Herausforderung. Einem Autor kann es heute passieren, dass sein Werk im Internet auftaucht, dass es kopiert wird, und dass er selber überhaupt keine Kontrolle mehr darüber hat. Aber wir haben versucht, einen Schutz des Urheberrechts durchzusetzen in Frankreich. Wir haben ein Gesetz beschlossen, das sogenannte Gesetz "Hadopi", das eben durchaus auch Sanktionen ausspricht.

"Es bestehen enorme Risiken, dass nach wie vor illegal Sachen heruntergeladen werden."
Ja, und dann gibt es natürlich auch die Verleger, die selber dafür kämpfen, dass der Schutz ihrer Werke auch wirklich stattfindet, der Schutz des Copyrights. Aber es bestehen enorme Risiken, dass nach wie vor illegal Sachen heruntergeladen werden. Allerdings ist das Buch doch eben etwas ganz anderes als Popmusik. Das Buch ist schon etwas, was sich an ein gebildeteres Publikum wendet, deswegen wird so eine wilde Form der illegalen Downloads, wie es bei der Hiphop-Musik beispielsweise passiert ist, hier bei Büchern nicht stattfinden, da ist die Gefahr einfach geringer.

Hatting: Illegale Downloadplattformen melden stolz, dass bis zu 1,5 Millionen Menschen monatlich E-Books herunterladen würden. Ein Erfolg für die Lesekultur oder nur eine Katastrophe für das Verlagswesen?

Darcos: Dass Leute lesen wollen, das ist natürlich eine sehr gute Nachricht, aber wenn sie dafür die Urheberrechte verletzen und Bücher stehlen, dann ist das eine Katastrophe. Und deswegen müssen wir hier in Europa noch eine große Arbeit leisten, und da sind wir gerade dabei, auch Mittel zu finden, etwas dagegen zu unternehmen. Und selbst in Ländern wie in den USA, wo es eine große, liberale Tradition gibt, ist man sich eigentlich einig, dass das Urheberrecht respektiert werden muss. Deswegen gehe ich davon aus, dass die illegalen Downloads in Zukunft abnehmen werden.

Hatting: Sie haben das Beispiel Frankreich angesprochen. Braucht es dringend ein Urheberrecht für ganz Europa?

Darcos: Ja. Wir sind natürlich für das Urheberrecht, und wir glauben auch, dass Frankreich da in einer guten Position sich befindet. Wir haben traditionell immer die Bücher und das literarische Werk sehr geschützt. Deswegen gibt es beispielsweise in Frankreich bei Büchern einen Festpreis. Wir haben einen Schutz für kleinere Buchläden, aber auch für Bibliotheken. Und wir arbeiten da mit den Deutschen sehr eng zusammen, weil auch in Deutschland das Buch doch einen sehr, sehr großen Stellenwert hat.

Da sind die Deutschen unsere Partner, und wir glauben, dass wir, die Franzosen und die Deutschen hier etwas leisten können, damit in ganz Europa die Rechtslage harmonisiert wird, damit man sich auch in finanzieller Hinsicht einigt, und dass es einen Schutz der digitalen Kopie gibt. Die EU-Kommissarin Neelie Kroes arbeitet da, glaube ich, auch sehr schnell, und ich bin auch sehr zuversichtlich, dass wir da bald zu einer globalen Übereinkunft kommen werden.

Hatting: In Deutschland hat man den Eindruck, die Verlage sind noch nicht richtig im digitalen Zeitalter angekommen. Wie ist das in Frankreich?

"Wir sind noch weit entfernt von einer totalen Digitalisierung von Büchern"
Darcos: Nun, in Frankreich geht das auch nicht so schnell. Wir sind noch weit entfernt von einer totalen Digitalisierung von Büchern. Es ist schon so, dass das klassische Buch nach wie vor einen sehr, sehr großen Stellenwert einnimmt, man muss es jetzt auch wirklich nicht übertreiben. Weil, wenn man sich beispielsweise eine Messe anschaut wie den Salon du livre, dann sieht man überhaupt noch nicht, dass die Digitalisierung das klassische Buch wirklich so bedroht, wie immer behauptet wird. Und wir sollten nicht vergessen, dass der Anteil von Lesern, die E-Books auf einem Tablet lesen, doch noch sehr, sehr gering ist. Und deswegen ist dieser langsame Fortschritt, den die französischen Verlage bei der Digitalisierung machen, geht eigentlich einher mit dem, wie sich die Kunden derzeit entwickeln.

Hatting: Die Strategie vieler Verlage ist, Kopierschutz für E-Books verschärfen, illegale Plattformen bekämpfen. So ähnlich haben das die großen Musiklabels gemacht, erfolglos. Erst, als die Firmen ihre Strategie änderten und legal Downloads und Flatrates angeboten haben, haben sie auch wieder schwarze Zahlen geschrieben. Eine Lehre auch für die Verleger?

Darcos: Ja, ich denke, das wird hier ähnlich laufen. Und es gibt ja schon ein sehr großes legales Angebot an E-Books, und das ist ja auch relativ erfolgreich, wenn man die deutschen und die französischen Verlage so hört. Andererseits ist es ja nun wirklich so, dass es nicht so viel kostet, sich ein Buch herunterzuladen, und für den Leser ist das Risiko, dafür Geld auszugeben, sehr viel geringer als die eventuellen Kosten, wenn er illegal ein Buch runterlädt und dann eine Strafe zu zahlen hat. Deswegen denke ich schon, es besteht schon ein gewisser Komfort darin, Bücher herunterzuladen, und sie sind ja auch in einer guten Qualität erhältlich. Und dann, wenn das so weitergeht, wird ein legales Angebot auch bestimmt einen Erfolg haben, und damit werden dann auch illegale Downloadportale abnehmen.

Hatting: Thema des runden Tisches, an dem Sie hier teilgenommen haben, waren die neuen Beziehungen zwischen Autor, Verleger und Leser im digitalen Zeitalter. Was ist denn die entscheidende Veränderung?

"Statussymbol eines Buches verändert sich"
Darcos: Nun, natürlich gibt es große Veränderungen, vor allen Dingen beim Leser selbst. Wenn man im Internet seine Bücher bestellt, beispielsweise bei Amazon, dann kauft man dort das Buch und erhält es plötzlich im Briefkasten oder man bekommt sogar nur Teile des Buches in Kopie. Und das Verhältnis des Lesers zum Buch verändert sich damit. Auch das Statussymbol eines Buches verändert sich dadurch. Und früher war das so: Man ging in eine Buchhandlung, man schaute sich ein bisschen um, man diskutierte vielleicht auch mit anderen Leuten, die sich gerade dort aufhielten oder aber mit dem Buchhändler.

Und heute, wenn man alleine vor seinem Computer sitzt, dann hat man doch ein ganz anderes Verhältnis, weil sich eigentlich nur der Anbieter, sprich der Verkäufer, derjenige ist, der einem Vorschläge unterbreitet. Und damit hat der Leser eigentlich gar keine Freiheit mehr. Das führt zu einer gewissen Frustration beim Leser, der sich irgendwo auch alleingelassen fühlt. Und deswegen denke ich, dass Bibliotheken, aber auch die Buchhandlungen wieder einen größeren Zulauf haben werden, weil das frustrierend ist, wenn man nur noch digital einkauft.

Hatting: Umgekehrt gefragt, bietet das digitale Zeitalter denn zumindest für die Autoren auch eine Chance?

Darcos: Ja, auf jeden Fall. Durch die sozialen Netzwerke ist ja eine ganz andere Form der Werbung auch möglich. Und das hilft natürlich vielleicht einigen Schriftstellern, die sonst nicht eine so große Leserschaft erhalten hätten. Es ist einfach eine andere Form der Kommunikation, und für junge Schriftsteller stellt das auf jeden Fall eine sehr interessante Herausforderung dar.

Hatting: Bücher und Schriftstücke im Allgemeinen haben die Geschichte des europäischen Kulturraums entscheidend geprägt. Was bedeutet es für diesen Kulturraum, wenn eines Tages das digitale Wort dominiert?

Darcos: Also ich glaube noch nicht daran, dass es einen Durchmarsch des Digitalen gibt, weil unsere europäische Kultur ist doch eine sehr mächtige Kultur, und wir haben doch ein großes kulturelles Erbe, und es wird nach wie vor Künstler geben, es wird Museen geben, es wird Bibliotheken geben, Lesungen geben, Konzerte geben – man kann nicht alles digitalisieren.

Man kann kein Museum digitalisieren, Sie werden sich keine Oper nur noch digital anhören, und Sie werden auch nicht Proust oder Goethe nur noch digital lesen, weil der Computer selbst ist ja kein kulturelles Gut, er ermöglicht ja einfach nur den Zugang zu Kultur, und deswegen glaube ich nicht, dass das Digitale dieses kulturelle europäische Erbe verdrängen wird. Ich bin mir sicher, dass das Buch in dieser europäischen Tradition des kulturellen Erbes eben auch als ganz normales Buch Bestand haben wird.

Hatting: Merci beaucoup.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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