St. Paul and the Broken Bones

Geschichtsbewusster Soul

Der Buchhalter mir der schwarzen Soul-Stimme: Paul Janeway in Aktion
Der Buchhalter mir der schwarzen Soul-Stimme: Paul Janeway beim Eurockeennes Festival 2015 © picture alliance / dpa / Hugo Marie
Paul Janeway im Gespräch mit Carsten Beyer · 19.01.2017
St. Paul and the Broken Bones haben den Soul - und zwar jenen, der auch schon die Menschen in den 1960-er Jahren bewegte. Sänger Paul Janeway, früher Buchhalter und tief im Süden der USA verwurzelt, bekennt: Auftreten ist für ihn wie Psychotherapie.
Der Retro- Soul war in den letzten 10,15 Jahren eines der erfolgreichsten musikalischen Genres überhaupt: Im Fahrwasser des Erfolgs von Sängerinnen wie Adele und Amy Winehouse schossen immer neue Bands wie Pilze aus dem Boden.
Viele Retrosoul-Bands setzen dabei eher auf eine Pop-beeinflusste Neuinterpretation von Soul. Es gibt aber auch Musiker, die graben tiefer, in den 60-er Jahren, in den Gospel-beeinflussten Ursprüngen des Sounds, bei Musikern wie Otis Redding oder Aretha Franklin.
Zu diesen eher geschichtsbewussten Bands gehört auch St. Paul & the Broken Bones, ein Sextett aus der Stadt Birmingham im US-Bundesstaat Alabama, das nicht nur in den USA derzeit sehr gefeiert wird. Vor zwei Jahren - da hatte die Formation gerade mal das Debutalbum veröffentlicht - durfte sie bereits als Vorgruppe der Rolling Stones ran.
Mittlerweile ist ihr zweites Album erschienen, "Sea of Noise", und mit dem sind St. Paul and the Broken Bones derzeit auf Deutschlandtournee. Wir haben das zum Anlass genommen, Paul Janeway, den Sänger der Gruppe, zu uns ins Studio einzuladen – und ihn zunächst gefragt, woher der Name der Band stammt. St. Paul and the Broken Bones – ist er das selbst, der Heilige Paul?
Paul Janeway: Ja, irgendwie schon: Ich wollte eigentlich nicht, dass mein Name im Bandnamen vorkommt, aber Jesse, unser Bass-Player, hat sich da durchgesetzt. Er fand es lustig.

Janeway wollte eigentlich Priester werden

St. Paul, das kommt daher, dass ich als Kind oft in die Kirche gegangen bin: Ich habe auch nicht so viele Laster, ich trinke zum Beispiel bis heute keinen Alkohol. Und die Broken Bones, die beziehen sich auf einen Song, den wir mal geschrieben haben, da hieß es: Knochenbrüche und ein bisschen Kleingeld, das ist alles, was mir geblieben ist. Das passte ganz gut zu unserer Band.
Carsten Beyer: Sie haben in der Kirche mit dem Singen angefangen, habe ich gelesen: Später wollten Sie sogar mal Priester werden. Wenn ich mir Ihre Liveperformance anschaue, könnte ich mir vorstellen, dass Sie sich da so manches von einem Kirchenprediger abgeschaut haben.
Janeway: Ja, das stimmt: Musik zu machen und auf der Bühne zu stehen ist für mich wie eine spirituelle Erfahrung. Als ich klein war, wollte ich nicht Musiker werden und um die Welt reisen, sondern da wollte ich tatsächlich Prediger werden. Ich wollte sogar meine eigene Kirche gründen.
Das habe ich dann später auf die Musik übertragen – das heißt ich habe mir eine Art Alter Ego zugelegt. Im wahren Leben bin ich nicht so ein schriller Typ wie auf der Bühne. Ich bin immer noch ziemlich laut, aber was ich bei Konzerten mache, ist schon eine Performance und nicht mein wahres Ich.
Beyer: Und was predigen Sie so in Ihren Liedern?
Janeway: Naja, predigen würde ich das nicht nennen. Dazu sind unsere Texte dann doch ein bisschen zu anzüglich. Da geht es doch um sehr weltliche Themen.
Aber trotzdem, immer wenn wir auf die Bühne gehen, geht es schon darum, eine Verbindung mit dem Publikum aufzubauen, das heißt, da wird der Künstler zu einer Art Medium.

Prince zu sehen war eine spirituelle Erfahrung

Ich kann mich erinnern, als ich Prince zum ersten Mal live gesehen habe. Das war für mich auf jeden Fall eine spirituelle Erfahrung. Und seitdem versuche ich das auch, jedes Mal wenn wir spielen: Dass es für unsere Zuschauer einen solch magisches Erlebnis gibt.
Also, das ist schon so ähnlich wie in einer Kirche. Es geht mehr um Sex und die Sprache ist eine andere, aber es geht trotzdem um diesen einen Moment.
Beyer: In Besprechungen ihrer Musik wird immer wieder mit Verwunderung zur Kenntnis genommen, dass Sie zwar weiß sind, aber von der Stimme her genauso klingen wie ein schwarzer Sänger. Sind das nur Klischees, oder sind Sie tatsächlich eine Ausnahme – ein weißer Typ, der es schafft zu klingen wie Schwarze?
Blickt tief in die 60-er Jahre: Paul Janeway beim Interview in einem Studio von Deutschlandradio Kultur
Blickt tief in die 60-er Jahre: Paul Janeway beim Interview in einem Studio von Deutschlandradio Kultur© Deutschlandradio
Janeway: Also, um ehrlich zu sein, ich hatte nie das Gefühl, dass ich besonders schwarz oder besonders weiß klinge. Als ich aufwuchs, habe ich die Musik mitgekriegt, die man damals bei uns im Süden gehört hat: Otis Redding, Marvin Gaye und Sam Cooke, das war für mich Gesang!
Ich habe zwar nie gedacht: Ich möchte genauso klingen wie der oder jener, aber natürlich hat mich dieser Sound beeinflusst, ganz sicher.
Was mir wichtig ist beim Singen, ist die Leidenschaft. Ich bin kein großer Techniker, mir kommt es auf die Wärme an, auf die Überzeugungskraft eines Songs, also alles Dinge, die im Soul schon immer eine Rolle gespielt haben. Wenn das stimmt, dann ist es mir egal, ob ich nun schwarz oder weiß klinge. Ich klinge einfach so wie ich klinge!
Beyer: Wie werden Sie denn in ihrer Heimat, in den amerikanischen Südstaaten, rezipiert? Ist Hautfarbe da ein großes Thema, wenn es um Black Music geht, oder eher nicht?

Weiße Musiker bedienten sich bei schwarzen Musikern

Janeway: Was im Süden durchaus eine Rolle spielt, das ist die Musikgeschichte, das ist die Tatsache, das sich weiße Musiker immer wieder bei schwarzen Vorbildern bedient haben, manchmal auch ohne es zuzugeben oder ohne den Originalen den gebührenden Respekt zu erweisen. Das ist auf jeden Fall ein Thema im ganzen Land, und bei uns in Alabama ganz besonders.
Was mich angeht – ich liebe nun mal den Soul der 60er Jahre und er passt auch am Besten zu meiner Stimme. Ich will mich ja nicht mit Gewalt verbiegen. Was soll ich denn singen? Bluegrass? Das mag ich nicht besonders! Oder Popsongs? TripHop? Ich denke, die meisten Leute, die mich kennen, verstehen das - und das ist für mich das Entscheidende.
Beyer: Sie haben einen Teil Ihres ersten Albums, Half City, in den berühmten FAME Studios in Muscle Shoals eingespielt – ein Ort in dem auch schon Leute wie Aretha Franklin, Wilson Pickett, Etta James aufgenommen. War das für Ihre Band sowas wie ein Ritterschlag? Oder ist das ganz normal, in Muscle Shoals aufzunehmen, wenn man in Alabama lebt?
Janeway: Also für mich war das eine große Ehre. Muscle Shoals ist ein heiliger Ort für mich. Einige Musiker in meiner Band kommen von dort, für die war es nicht das erste Mal, dass sie in den Fame–Studios waren und bestimmt auch nicht das letzte Mal, aber für mich war das etwas ganz Großes.

Das Studio als heiliger Ort

Das Verrückte an diesem Ort ist, dass sich da kaum etwas verändert hat. Die Teppiche, die Möbel, alles sieht noch so aus wie in den 70er Jahren – und es liegt auch noch der Spirit aus dieser Zeit in der Luft. "Southern Soul" war ja schon immer was Anderes als die Musik des Nordens, was sie in Philadelpia gemacht haben oder bei Motown.
Southern Soul ist viel entspannter, groove-orientierter. Die Musik klingt immer so, als wäre sie ein ganz kleines bisschen hintendran, als würde sie fast den Rhythmus verpassen und dann trifft sie ihn doch noch, gerade im letzten Moment.
Das hat, glaube ich, auch etwas damit zu tun, wie die Leute im Süden drauf sind. Bei uns gehen die Uhren einfach anders. Wir laufen nicht so schnell, wir reden auch nicht so schnell, ich sage immer: Das liegt schon im Grundwasser.
Beyer: Der Weiße mit der Schwarzen Stimme, das ist das eine Klischee, mit dem Sie gerne konfrontiert werden. Das andere ist, dass Sie von Beruf Buchhalter waren, bevor Sie mit dem professionellen Singen angefangen haben, und, nun ja, tatsächlich auf den ersten Blick nicht aussehen wie der unglaublich charismatische Soulsänger, der Sie auf der Bühne sind. War das jemals ein Problem für Sie, oder waren Sie schon immer so selbstbewusst wie heute?

Auf der Bühne: Das ist wie Psychotherapie

Janeway: Wenn ich auf die Bühne gehe, das ist für mich immer so wie anderthalb Stunden Psychotherapie. Da kann ich mich so richtig gehen lassen. Das brauche ich einfach. Ich hab es ja gesagt: ich war schon immer so. Als ich klein war, bin ich vor meinen Kuscheltieren aufgetreten. Meine Mutter hat damals immer gesagt: Du wirst später mal entweder Prediger oder Zirkusdirektor – und sowas Ähnliches habe ich ja dann auch gemacht.
Beyer: Nun sind Sie mit Ihrer Band in den nächsten Wochen praktisch durchgängig auf Tournee – in Deutschland, aber auch in England, in Frankreich, in Belgien und in Skandinavien. Später kommen dann auch noch ein paar Shows in Australien dazu. Gleichzeitig finden bei Ihnen zu Hause bedeutende Veränderungen statt: Morgen wird Donald Trump als 45. Präsident der Vereinigten Staaten vereidigt. Kriegen Sie das überhaupt mit auf Tour, was bei Ihnen zu Hause so los ist?
Janeway: Ich versuche, das so gut wie möglich zu ignorieren: Ich hab schon immer für die Demokraten gestimmt, deswegen war das keine schöne Wahl für mich.
Die meisten Musiker in den USA sind eher liberal, das ist ja schon fast ein Stereotyp. Deswegen hat Donald Trump es auch so schwer gehabt, jemanden zu finden, der bei seiner Vereidigung auftritt.
Das ist echt vermintes Gelände. Selbst Musiker, die Trump mögen, würden sich nicht trauen, da zu spielen. Das wäre wie der Kuss des Todes.
Ich werde mir die Vereidigung nicht ansehen. Ich habe damals die Vereidigung von Obama gesehen, aber das war auch die einzige. Das war mehr als Politik, das war wirklich ein historischer Moment: Der erste schwarze Präsident! Und jetzt haben wir einen Reality TV-Star!

Zweimal sind St. Paul and the Broken Bones auf ihrer aktuellen Tour noch in Deutschland zu erleben – am 26. Januar in Köln im Luxor und am Tag darauf in Hamburg im Mojo.

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