Spuren des Aufstands

Von Claudia van Laak · 17.06.2013
Zum 60. Jahrestag des Volksaufstands bietet die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur Bustouren zu den Schauplätzen von damals an. Mitgefahren ist auch Klaus Gronau, der den Aufstand als 16-jähriger Lehrling erlebte.
Karl-Marx-Allee 72, früher Stalinallee. Das Café Sibylle. Auf der Originalwandbemalung aus den 50ern tanzen blaue und grüne Eisbecher. Im hinteren Raum Nierentische, an den Wänden Fotos von streikenden Bauarbeitern. Dazwischen hängt gerahmt ihr Brief an den DDR-Ministerpräsidenten Otto Grotewohl vom 15.Juni 1953: "Die 10prozentige Normerhöhung ist ein große Härte" ist da zu lesen, und: "Erwarten Ihre Stellungnahme bis morgen Mittag."

Klaus Gronau: "Es waren jetzt schon weit über 1.000 Leute und mehr. Und die Stalinallee war jetzt schwarz voll Menschen. So in der gesamten Breite wie sie war. In die Richtung runter bin ich mitgelaufen, in Richtung Stadtmitte. Also Alexanderplatz weiter."

Klaus Gronau steht auf einem improvisierten Podium, am Revers seines schwarzen Jacketts das Bundesverdienstkreuz. Am 16.Juni 1953 ist der Lehrling auf dem Weg von der Berufsschule nach Hause, als er einen Trupp Bauarbeiter sieht, die mit einem Vorschlaghammer die Scheibe eines Autos zertrümmern.

"Oh, ich hin, gucken, was da los ist. Das fiel mir sehr auf und es war ungewöhnlich, Autos waren noch Raritäten, waren Mangelware."

Eine Revolte liegt in der Luft. Klaus Gronau ist 16 - die Abenteuerlust zieht ihn hin zu den Aufständischen.

"Also, in der Innenstadt angekommen wurden beim Laufen die Forderungen gerufen: 'Es hat keinen Zweck, der Spitzbart, der muss weg.' Damit war Ulbricht gemeint. 'Wir brauchen keine Volksarmee, wir brauchen Butter.'"

Vor 60 Jahren legt Klaus Gronau die Strecke zum Haus der Ministerien zu Fuß zurück, Schlachtrufe skandierend. Heute fährt er mit dem Bus. Eingeladen von der Stiftung Aufarbeitung. Das kleine Bundesverdienstkreuz am Revers, das große zusammen mit der von Horst Köhler unterschriebenen Urkunde in der Aktentasche zu seinen Füßen verstaut.

Jens Schöne: "Links, da sehen Sie den Rosengarten. Diesen zurückgeführten Block, das ist der berühmte Block 40. Da, wo die Bauarbeiter der Stalinallee als erstes streikten."

Der Historiker Jens Schöne hat gerade ein neues Buch zum Volksaufstand in der DDR veröffentlicht. Jetzt betätigt er sich als Stadtführer, zeigt aus dem Busfenster.

"Wenn Sie 1953 hier lang kämen, dann hätten Sie eine bunte Mischung von Rohbauten, von schon fertigen Bauten. Es ist seit Ende 1951 die Stalinallee, die hier dann zu dem Prestige-Bauobjekt der DDR wird."

Station beim Westrundfunk
Monumentale Gebäude im Zuckerbäckerstil, heute sorgfältig restauriert. Die Fahrt geht weiter in den Westteil Berlins, zu einem fünfgeschossigen Betonbau aus den 30er Jahren mit einer runden Ecke. Zum früheren RIAS, dem Rundfunk im amerikanischen Sektor, heute Sitz von Deutschlandradio Kultur. Klaus Gronau ist gespannt, denn auch er und seine Eltern schalteten vor 60 Jahren den RIAS ein, um sich über den unvorstellbaren Volksaufstand zu informieren.

"Hinterher, also nach dem Abend des 17. Juni, wo wir dann auch hinter den Gardinen schmulten, wo unten die Sowjets gingen und schossen mit Maschinenpistolen in die Luft, da hörten wir dann auch RIAS Berlin. Aber leise. Die Angst war wieder dann absolut vorherrschend."

Durch das große ovale Treppenhaus geht es nach oben, in einen holzvertäfelten Saal. Dort wartet der SPD-Politiker Egon Bahr. Hellwach, trotz seiner 91 Jahre. Im Juni 1953 war Bahr Chefredakteur des RIAS.

"Ich bekam die Meldung, dass eine Abordnung der Streikleitung da sei und mit mir reden wollte. Und die haben die Erwartung gehabt, den Vorschlag gemacht, die Forderung erhoben, der RIAS sollte zum Generalstreik in der Zone aufrufen."

Klaus Gronau hat sich in die erste Reihe gesetzt, lauscht dem früheren RIAS-Mann. In einem Punkt ist sich der SPD-Politiker und enge Freund Willy Brandts aber ganz sicher:

Bahr: "Der Sender hat, ohne es zu wollen und ohne es zu wissen, den Aufstand ausgelöst. Dies ging nur wegen der absoluten Glaubwürdigkeit, die der RIAS damals für die Zone hatte."

"Auf Wiedersehen, tschüs.
Können wir einsteigen? Ja, sicher, machen wir Herr Gronau."

Auf dem Weg zur letzten Station an diesem Tag: dem berüchtigten Polizeigefängnis in der Keibelstraße. Hier landeten viele Aufständische des 17.Juni. DDR-weit wurden in den Tagen danach 15.000 Personen verhaftet, erzählt Ulrich Mählert von der Stiftung Aufarbeitung.

"Das ist ein ganz bemerkenswerter historischer Ort, weil dieses Gefängnis weitgehend unverändert, jetzt seit, ich glaube 15, 16, 17 Jahren, ungenutzt in diesem Gebäudekomplex ist."

Die Zellen sind winzig - Pritsche, Toilette, Waschbecken, zwei Schritte Auslauf. Grünlich-graue Ölfarbe an den Wänden. Klaus Gronau nimmt seine schwarze Baseballkappe vom Kopf, sieht sich um, schweigt. Er ist zum ersten Mal hier.

Zum Schluss appelliert er an alle: Der 17.Juni muss wieder in unseren Kalendern auftauchen. Der Ramadan steht drin und der Berliner Karneval der Kulturen, aber nicht der 17.Juni 1953.

Gronau: "Da es ja kein Feiertag mehr ist, wird es ja letzten Endes ganz und gar vergessen und das möchte ich nicht."
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