Spring oder stirb

Moderation: Jürgen König · 06.05.2008
Jedes Jahr im Juni springen junge Trottellummen vom Helgoländer Vogelfelsen 30 bis 40 Meter tief ins Meer, und das, obwohl sie noch gar nicht fliegen gelernt haben. Sie gleichen damit einen Nachteil gegenüber anderen Seevögeln aus, sagte der Leiter der Vogelwarte Helgoland, Ommo Hüppop. Da Trottellummen schlecht fliegen können, können die Elterntiere irgendwann nicht mehr genug Nahrung für den Nachwuchs herbeischaffen. Also springen die Küken ins Meer zur Nahrung hin.
Jürgen König: In diesen Frühlingswochen frühmorgens, da zwitschern die Vögel besonders schön. Und also wollen wir uns eine Woche lang intensiver mit den Vögeln beschäftigen gemeinsam mit dem Naturschutzbund NABU, der Ende der Woche in ganz Deutschland die Gartenvögel zählen lassen will. Im vergangen Jahr haben sich an die 100.000 Menschen an dieser Aktion beteiligt. Die große Vogelschau im Deutschlandradio Kultur. Ich begrüße am Telefon Ommo Hüppop, er leitet die Vogelwarte in Helgoland, auf Helgoland, muss man sagen. Guten Morgen, Herr Hüppop!

Ommo Hüppop: Ja, guten Morgen, Herr König!

König: Über den Lummensprung wollen wir sprechen. Wenn Sie einverstanden sind, stellen wir unsere Hauptdarsteller erst mal vor, die Trottellummen, okay?

Hüppop: Ja, natürlich.

König: Dann sind hier die Trottellummen.

((O-Ton-Einspielung))

König: Die Trottellummen von Helgoland. Herr Hüppop, waren das Jungvögel oder Altvögel? Können Sie das unterscheiden?

Hüppop: Das kann man sehr gut unterscheiden. Das waren eben Altvögel. Die Jungvögel haben einen hohen fiependen Ruf und werden hier auf Helgoland, wo ja ein eigener friesischer Dialekt gesprochen wird, als Fürrit bezeichnet, so wie man den Kuckuck im Hochdeutschen eben lautmalerisch nach seinem Ruf benannt hat, heißt die junge Lumme Fürrit im Helgoländischen.

König: Können Sie den Unterschied zwischen Jungvögeln und Altvögeln akustisch wiedergeben?

Hüppop: Na, das fällt mir schwer. Sie hatten eben so eine schöne Aufnahme, und der Fürrit ist es eigentlich schon. Den Altvogel haben wir ja eben gehört.

König: Woher kommt der Name Trottellumme? Klingt lustig.

Hüppop: Das ist, ja, so eine Verballhornung des früheren wissenschaftlichen Namens nach einem französischen Zoologen Troal benannt, hieß die Uria troile, früher mal. Und daraus ist dann im Deutschen Trottellumme geworden. Und man hat diesen Begriff offensichtlich gerne aufgegriffen, weil dieser ausgesprochene Meeresvogel, der Zeit seines Lebens auf dem Wasser lebt, nur zum Brüten an Land kommt, eben an Land entsprechend etwas unbeholfen wirkt. Und das greifen Menschen ja gerne auf, um dann Organismen mit einem Negativbegriff zu kennzeichnen.

König: Können Sie uns eine Trottellumme beschreiben? Wie sieht die aus?

Hüppop: Die sieht zunächst erst mal so aus wie ein Pinguin, und wir hören hier häufig am Felsen auch von Besuchern, dass sie sagen, oh, guck mal, die netten Pinguine dort oben. Sind oben dunkelbraun, fast schwarz gekennzeichnet, unterseits hell und haben sehr, sehr schmale Flügel. Und das leitet eigentlich auch schon auf den Lummensprung hin. Denn Pinguine wie Trottellummen sind beides Flügeltaucher. Das heißt, die fliegen unter Wasser, nicht so wie Haubentaucher, Kormoran, Reiherente, Blesshuhn, die wir so von unseren Süßgewässern kennen, die sich unter Wasser mit den Füßen fortbewegen, also Fußtaucher sind, fliegen eben Pinguine wie die alten Vögel, zu denen die Trottellummen gehören, unter Wasser.

König: Gebrütet wird in großen Kolonien. Woher weiß Mutter Lumme, welches Ei ihr gehört?

Hüppop: Ja, das weiß sie, weil sie sich eben merken kann, wo sie ihr Ei abgelegt hat.

König: Aber es sind Tausende Vögel, das stelle ich mir nicht so einfach vor.

Hüppop: Nun, das sind Tausende Vögel, aber da finden sie sich schon zurecht. Und meistens ist natürlich auch der Partner am Ei. Es muss immer ein Altvogel die Eier bewachen. Bei den allermeisten Seevogelarten teilen sich Männchen und Weibchen das Brutgeschäft ungefähr zu gleichen Teilen. Das heißt, es ist auch immer jemand da. Und wie wir ja eben in der Tonaufnahme gehört haben, ist akustische Kommunikation eine ganz, ganz wichtige Errungenschaft dieser Tiere, die sich eben auch über die Stimme individuell wiedererkennen können.

König: Aha, es gibt eine wirkliche Sprache der Tiere untereinander oder Wiedererkennungswerte?

Hüppop: Ja, eine Sprache beinhaltet natürlich mehr als nur diese Wiedererkennung, so nach dem menschlichen Verständnis zumindest. Aber für die individuelle Erkennung ist das ganz, ganz wichtig.

König: Der Lummensprung. Jedes Jahr im Juni, ungefähr, springen junge Trottellummen vom Helgoländer Vogelfelsen 30 bis 40 Meter tief ins Meer, und das, obwohl sie noch gar nicht fliegen gelernt haben. Warum machen die das?

Hüppop: Ja, ich hab das ja eben schon angedeutet, dass die Lummen oder die alten Vögel ganz allgemein Flügeltaucher sind. Und die fliegen ganz hervorragend unter Wasser. Da ist der Name Trottel überhaupt nicht mehr gerechtfertigt. In der Luft wird das natürlich schwieriger, weil das ein ganz anderes Medium ist.

Man muss sich das nun so vorstellen, einerseits kann man als Mensch ja im Wasser sich so einigermaßen fortbewegen, in der Luft geht das natürlich überhaupt nicht. Und für die Trottellummen ist es ähnlich kompliziert, dann in der Luft zu fliegen. Um es ein bisschen mehr physikalisch auszudrücken, von allen Vögeln sind das die Arten mit der höchsten Flächenbelastung, heißt Gramm pro Quadratzentimeter Flügelfläche.

Und der Flug ist für diese Tiere enorm energieaufwendig. Damit ist der Bereich, aus dem sie Nahrung für die Jungvögel eintragen können, begrenzt. Sie können nicht so weit fliegen, wie das andere Seevögel können. Und in großen Kolonien führt das dann dazu, dass die Nahrung im Umfeld dieser Kolonie immer knapper wird. Das heißt, irgendwann können die Altvögel die Nahrungsversorgung der Küken nicht mehr gewährleisten.

Und deswegen ist die Evolution einen anderen Weg gegangen, dass eben die Küken dort hingehen, wo die Nahrung zu finden ist. Das heißt, sie verlassen dann im Alter von ungefähr drei Wochen, sie wiegen dann so 200 bis 300 Gramm, während ein Altvogel knapp unter einem Kilo wiegt, den Felsen. Das erfolgt in der Abenddämmerung. Die Altvögel locken dann mit ähnlichen Rufen, wie wir es im Vorspann gehört haben, die Küken aus dem Felsen runter, und die antworten von oben mit diesen hohen Fürrit-Rufen und trauen sich dann endlich, von dort oben ins Wasser zu springen.

König: Die Eltern signalisieren, Lumme, du bist alt genug und locken sie richtig hervor von ihren Plätzen?

Hüppop: Genau. Nicht nur, du bist alt genug, sondern auch, das Wetter ist heute geeignet. Es hat keinen Zweck, wir sprachen ja eben da drüber, diese Kommunikation, diese akustische Kommunikation über die Rufe ist ganz, ganz wichtig, und dann macht es natürlich nur Sinn, bei gutem Wetter zu springen. Wenn es stürmisch ist, und das kann es hier auf Helgoland im Sommer ja auch sehr, sehr häufig sein, verstehen sie sich einfach nicht mehr gegenseitig. Und die Gefahr ist sehr groß, dass das Küken verloren geht, auch alleine durch den Wellenschlag schon. Das heißt, es muss auch entsprechend ruhiges Wetter sein, damit die Altvögel die Jungen aus dem Felsen runterlocken.

König: Überleben das alle Jungvögel?

Hüppop: In der Regel schon, selbst wenn die Küken bei Niedrigwasser springen und dann unten auf die algenbewachsenen Felsen aufschlagen. Das ist so heftig, dass man von oben vom Felsen so ein durchaus gut hörbares Plopp erkennen kann, das überleben sie dann ohne Probleme.

Problematischer wird es in dem Fall, wo der Mensch mal wieder seine Finger im Spiel hat. Denn die Trottellummenkolonie hat sich immer weiter nach Süden ausgebreitet hier auf Helgoland und siedelt jetzt auch in Bereichen, die sehr weit hinter dieser Uferschutzmauer liegen, die bereits zu Anfang des 20. Jahrhunderts begonnen wurde, um eben die Erosion des Felsens zu stoppen. Und wenn die dort hinterspringen, kommen sie natürlich über die Mauer nicht mehr rüber und verenden dann dort, wenn nicht freiwillige Helfer sie über die Mauer hinwegsetzen.

Aber durch den Aufschlag, um auch noch mal auf Ihre Frage zurückzukommen, durch den Aufprall, von dem man ja zunächst annehmen sollte, dass das ganz gefährlich ist für die Küken, kommen ganz, ganz wenige nur zu Schaden.

König: Der Vogelfelsen von Helgoland ist Deutschlands einziger Hochseevogelfelsen, die Vogelwarte Helgoland die zweitälteste in Deutschland, gegründet 1909. Es gibt ja, habe ich gelesen, vergleichsweise viele Trottellummen. Wozu braucht man ein Naturschutzgebiet Helgoland?

Hüppop: Darf ich Sie ganz kurz korrigieren? 1910 ist das Institut für Vogelforschung, Vogelwarte Helgoland gegründet worden.

König: Ich bitte um Nachsicht.

Hüppop: Wir werden in zwei Jahren erst 100. 1901 dann die erste deutsche Vogelwarte …

König: Irgendwo steht es falsch, und da habe ich es halt abgeguckt.

Hüppop: Ich kann es ja kurz erläutern. 1909 ist Hugo Weigold, der spätere Gründer der Vogelwarte, hier nach Helgoland gekommen. Und diese Zahlen geistern da nebeneinander hin und wieder durch die Literatur.

Gut, aber zurück zu Ihrer Frage, warum braucht man ein Naturschutzgebiet dafür. Zum einen gibt es zum Beispiel auf Länderebene sogenannte rote Listen gefährdeter Arten. Und natürlich ist eine Art, die in Deutschland nur an einer Stelle vorkommt, auf nationaler Ebene besonders gefährdet. Im Jahr 1993 ist uns das mal sehr eindrücklich vor Augen geführt worden. Da ist fast ein über 200 Meter großes Schiff hier vor Helgoland auf Grund gelaufen. Wenn das hier auseinandergebrochen wäre, hätte es natürlich eine riesige Ölkatastrophe gegeben in einem Bereich, der mit schwerem Gerät gar nicht zugänglich ist, wo man keine Rettungsmaßnahmen hätte machen können. Und das hätte mit Sicherheit dazu geführt, dass auf einen Schlag ein Großteil dieser Kolonie ausgelöscht worden wäre.

Zusätzlich hat sich in den letzten Jahren eine Situation entwickelt, die man so gar nicht vorhersehen konnte. Bei der Trottellumme oder auch bei anderen Seevogelarten, wie zum Beispiel der Dreizehenmöwe, beobachtet man in den letzten zehn Jahren ungefähr einen ganz, ganz starken Rückgang der Bestände auf den britischen Inseln. Die britischen Inseln sind für viele dieser Arten ein Verbreitungsschwerpunkt. Aber die Dreizehenmöwe zum Beispiel ist seit 1992 um mehr als die Hälfte im Bestand zurückgegangen.

Hier auf Helgoland haben die Bestände in dieser Zeit eher noch zugenommen, haben kurz nach 2000 ihren höchsten Stand erreicht uns sind seitdem geringfügig zurückgegangen. Wir können hier von stabilen Beständen ausgehen, und es kann natürlich sein, wenn diese möglicherweise klimabedingte Veränderung auf den Britischen Inseln anhält, Helgoland eine ganz andere Dimension als Brutplatz für diese Arten erhält, als es derzeit der Fall ist, auch im internationalen Rahmen erhält, als es derzeit der Fall ist.

König: Spring oder stirb. Über den Helgoländer Lummensprung ein Gespräch mit dem Leiter der Vogelwarte Helgoland, Ommo Hüppop. Die große Vogelschau im Deutschlandradio Kultur. In einer guten Stunde besprechen wir hier einen Vogelführer von Detlef Singer, "Welcher Vogel ist das? - Die Vögel Europas". Heute Nachmittag, um kurz nach 14.00 Uhr, wird Uwe Westphal zu Gast sein. Er kann 95 Vogelstimmen imitieren, um viertel vor vier sind Sie dann dran. Erzählen Sie uns von Ihren Lieblingsvögeln. Ihre Fragen dazu beantwortet hier ein Experte vom Naturschutzbund Deutschland NABU. Herr Hüppop, vielen Dank!