Sprache kann töten

Rezensiert von Matthias Küntzel · 05.05.2013
Die Autoren präsentieren in ihrem Buch die typischen Muster des Antisemitismus der letzten 150 Jahre. Vor diesem Hintergrund interpretieren sie die Sprache von 14.000 Briefen, die deutsche Bürger an den Zentralrat der Juden oder den israelischen Botschafter schickten - beschämend.
14.000 Briefe aus den letzten zehn Jahren, die deutsche Bürger an den Zentralrat der Juden oder den israelischen Botschafter schickten: Das ist der Fundus, den die Linguistin Monika Schwarz-Friesel und der Historiker Jehuda Reinharz in ihrem jetzt erschienenen Buch "Die Sprache der Judenfeindschaft im 21. Jahrhundert" analysieren.

Die Autoren präsentieren zunächst in einem historischen Rückblick die typischen Muster des Antisemitismus der letzten 150 Jahre. Vor diesem Hintergrund interpretieren sie die Sprache der 14.000 Briefe sowie die Denkstrukturen und Gefühle, die in darin zum Ausdruck kommen.

Erschreckend und beschämend zugleich
Nur knapp ein Viertel der eingegangenen Briefe werden als "freundlich" oder" legitim kritisch" eingestuft, während die Autoren die übergroße Mehrheit der spontanen Meinungsbekundungen als "antisemitisch" klassifizieren.

Viele der mehr als 800 Briefauszüge, die ihre Studie dokumentiert, sind erschreckend und beschämend zugleich. 50 Jahre nach dem Holocaust werden der Botschafter Israels und die höchsten Repräsentanten des Judentums in Deutschland als

"bluttriefende Judenschweine", "Kinderschlächter", "Kriegsverbrecher", "Völkermörder" oder "Untermenschengesindel"

beschimpft und mit Mordfantasien konfrontiert, wie:

"ab in die Gaskammer", "als Futter sollte man euch verarbeiten", "ich hoffe, ihr verreckt bald".

Doch machen derartige Selbstentblößungen des Rechtsextremismus nur einen kleinen Teil der Zuschriften aus. Zwei Drittel der zum Teil seitenlangen Elaborate stammen von Menschen, die sich politisch der gesellschaftlichen Mitte zurechnen; von Personen also, die von Auschwitz wissen und sich als Anti-Antisemiten verstehen, die sich aber trotzdem dazu berufen fühlen, den Israelis oder dem Zentralrat der Juden die Leviten zu lesen.

Und bei genau deren Briefen tritt die Stärke des sprachwissenschaftlichen Ansatzes zutage. Hervorragend gelingt es den Autoren, den versteckten Antisemitismus, der sich auf der Oberfläche nicht zeigt, zu dechiffrieren. Die Judenfeindschaft der Gebildeten, die das Wort "Jude" nicht erwähnt, gibt sich "anti-rassistisch und ehrbar", schreiben die Autoren,

" ... bedient sich aber nahezu aller gängigen judenfeindlichen Stereotype und Vorurteile, benutzt dämonisierende NS-Vergleiche und artikuliert sich über einen extremen Anti-Israelismus."

Zu den immer wiederkehrenden Mustern jener Briefe gehört der Glaube, dass Juden keine Deutschen seien und keine sein könnten; eine Wahnvorstellung, die Richard Wagner einst erfand. Hier wird die "Wir-Gruppe" der Deutschen für kategorisch judenfrei erklärt, etwa wenn es in einem Brief an den Zentralrat der Juden in Deutschland heißt:

"Ich und meine Freunde fragen uns, warum Sie immer wieder in Angelegenheiten, die nur uns Deutsche betreffen, sich einmischen."

Da ist zweitens das Klischee vom gierigen Schacherer und parasitären Schmarotzer, an das unsere modernen Antisemiten, die keine sein wollen, anknüpfen, indem sie den Juden in Deutschland unterstellen, den Holocaust auszunutzen und die öffentliche Meinung in Deutschland in ihrem Sinne zu manipulieren.

Monika Schwarz-Friesel: "Die Sprache der Judenfeindschaft im 21. Jahrhundert"
Monika Schwarz-Friesel: "Die Sprache der Judenfeindschaft im 21. Jahrhundert"© De Gruyter Verlag
Sprachmuster, die seit Jahrhunderten verwendet werden
Und da ist schließlich der reflexhafte Hass auf Israel, dem die Autoren ein eigenständiges Kapitel widmen. Israel, schreiben sie,

" ... steht als Hassobjekt im Mittelpunkt des aktuellen Antisemitismus. Es sieht sich einer im Vergleich zu anderen Krisen- und Konfliktregionen quantitativ wie qualitativ unverhältnismäßigen Kritik ausgesetzt, die ein auffälliges Ausmaß von extremer Emotionalität besitzt."

Doch auch hier entsprechen die Sprachmuster, die benutzt werden, um Israel zu stigmatisieren, den Mitteln und Strategien, die seit Jahrhunderten verwendet werden, um Juden zu diskriminieren. So stecke hinter der Behauptung, Israel sei "der Störenfried in Nahost" das Klischee vom Juden, der in nicht-jüdischen Gesellschaften angeblich immer schon ein Störfaktor gewesen sei.

"Wörter sind oft wie Pfeile. Sie bohren sich in unser Bewusstsein ein",

schreiben Monika Schwarz-Friesel und Jehuda Reinharz in ihrer hervorragenden Studie.

"Wörter können aber auch wie Gift wirken. Sie tröpfeln Urteile ein, die langfristig Schaden anrichten."

Dies war erneut diesen April der Fall, als eine große deutsche Tageszeitung ihren Artikel mit der folgenden Überschrift versah: "Israel greift Ziele im Gazastreifen an. Krise belastet Friedensgespräche." Erst aus dem Kleingedruckten erfuhren wir, dass ein mehrfacher Raketen- und Granatenbeschuss von Gaza auf Israel vorangegangen war. Erneut hat eine bestimmte Wortwahl das Denken gelenkt und Wirklichkeit verfälscht.

Worte sind wesentlich; Sprache kann töten: Auschwitz begann nicht mit dem Bau von Krematorien, sondern mit dem Gebrauch bestimmter Worte. Die Tatsache, dass judenfeindliche Denkmuster aus der Nazizeit auch heute noch Verbreitung finden, ist ein Alarmzeichen. Dieses Buch über "Die Sprache der Judenfeindschaft im 21. Jahrhundert" sollte deshalb auch für angehende und ausübende Journalisten eine Pflichtlektüre sein.

Monika Schwarz-Friesel und Jehuda Reinharz: Die Sprache der Judenfeindschaft im 21. Jahrhundert
De Gruyter Verlag, Berlin 2012
444 Seiten, 79,95 Euro (auch als Ebook erhältlich)
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