Sportkommentatoren

Von den Emotionen zur Sachlichkeit und zurück

Der einstige Fußball-Bundestrainer Sepp Herberger (l.) wird nach der Rückkehr vom WM-Turnier 1954 in der Schweiz auf dem Münchner Hauptbahnhof stürmisch begrüßt.
Als Fußball noch großes Drama war: Sepp Herberger (l.) wird nach der Rückkehr vom WM-Turnier 1954 in der Schweiz auf dem Münchner Hauptbahnhof stürmisch begrüßt. © picture-alliance / dpa - Gerhard Rauchwetter
Von Peter Sawicki · 29.05.2016
Noch bis in die 1950er-Jahre waren Sportkommentare großes Drama: Blut, Schweiß, Tränen und Kampf. Danach kehrte Sachlichkeit ein - bis das Privatfernsehen kam. Seitdem sind wieder mehr Emotionen gefragt.
"Einer nach dem anderen – von diesen Helden des Zementes, wie wir sie nennen – kommt an uns vorüber."
Am Anfang hörte man kaum mehr als Knistern und Rauschen.
"…die nachher mit Stieraugen aus dem Wagen steigen…rußüberdreckt…zweieinhalb Stunden den Blick starr geradeaus..."
Mit der Hörfunk-Livereportage wie jener vom Großen Preis von Deutschland 1927 auf dem Nürburgring wurde Bernhard Ernst zu einem der Pioniere der deutschen Sportkommentatoren. Seine lebendigen Berichte brachten den Radiohörern das Sportgeschehen mitten ins heimatliche Wohnzimmer.

Die Sportreportage als kulturelles Glanzlicht

Sportreportagen im Hörfunk wurden ab Ende der 20er Jahre zu kulturellen Glanzlichtern. Auch die Nationalsozialisten machten sich die Popularität der Reporter zunutze. Die Stimme des damaligen Starkommentators Rolf Wernicke begleitete nicht nur linientreu Olympia 1936 in Berlin, sondern auch mehrere Nürnberger Reichsparteitage:
"Der Handschuh des Negers ist vollkommen verblutet. Ten Hoff blutet stark! Die erste Runde ist beendet…Walcott hat sie gewonnen diese erste Runde…eiskalt sitzt der Neger in seiner Ecke."
Wernicke benutzte auch später noch NS-Vokabular, wie 1950 beim Bericht vom Boxkampf zwischen dem Deutschen Hein ten Hoff und dem US-Kämpfer Jersey Joe Walcott.
Doch Ausfälle wie dieser blieben die Ausnahme – im Nachkriegsdeutschland waren die Sportkommentatoren angehalten, präzise auf ihre Wortwahl zu achten.
"…Schuss – Abwehr von Turek! Turek, du bist ein Teufelskerl! Turek, du bist ein Fußballgott!"
Für sein Loblied auf Nationaltorwart Toni Turek beim WM-Finale 1954 wurde Kommentator Herbert Zimmermann gemaßregelt. Zimmermann durfte zwar weiterhin kommentieren, der Stil von Sportkommentatoren aber änderte sich – auch durch das Fernsehen. Die TV-Reporter kamen mit deutlich weniger Sprechzeit aus, Emotionen wurden auf ein Mindestmaß reduziert.

"...schließen wir uns dieser Freude an!"

Und so wurden einige deutsche Sporterfolge von betont schlichten Kommentaren begleitet. Zum Beispiel durch Rudi Michel beim Fußball-WM-Sieg 1974...
"Bonhof…Müller…und 2:1!"
"Zweiter Matchball, in diesem Fall vergeben. Aber er hat ja noch einen."
…oder durch Gerd Szepanski, der 1985 Boris Beckers ersten Wimbledon-Sieg kommentierte.
"…schließen wir uns dieser Freude an!"
Seit den 90er-Jahren ist die Sprache von Sportkommentatoren lockerer und wieder emotionaler geworden, auch durch den Einfluss des Privatfernsehens. Für ARD-Kommentator Tom Bartels spiegelt diese Entwicklung generell den Stellenwert des Sports in der Gesellschaft wider.
"Sport ist Freizeitbeschäftigung, ist Unterhaltung, ist Zerstreuung. Und es hat sich sicherlich in diese Richtung entwickelt, dass es mehr unterhaltende Elemente hat und vielleicht jünger geworden ist in der Sprache."

Man kann es nicht allen Zuschauern recht machen

Bartels kommentiert seit mehr als 20 Jahren, neben Schwimmen und Skispringen vor allem Fußball – 2014 begleitete er Deutschlands WM-Sieg in Rio.
"…Schürrle…der kommt an! Mach ihn! Mach ihn – der macht ihn! Das ist doch Wahnsinn!"
Das WM-Finale verfolgten in Deutschland etwa 35 Millionen Menschen am Fernseher. Bartels ist bewusst, dass er es mit seinem Stil nicht jedem Zuschauer recht machen kann. Überhaupt sollte die Rolle des Kommentators seiner Meinung nach nicht allzu hoch gehängt werden.
"Was mir wichtig ist als Kommentator, ist, dass ich nicht wichtig bin. Ich bin austauschbar. Die Menschen schauen natürlich nicht, weil ich kommentiere – das sollte mir als Kommentator von Beginn an klar sein. Ich bin praktisch Begleitprogramm, was die Leute auch nicht wählen können."
Bartels plädiert deshalb dafür, zum einen diskret genug zu kommentieren, um nichts zu verzerren – zum anderen aber auch, ausreichend Fakten zu vermitteln, um das Geschehen einem möglichst breiten Publikum nahezubringen.
"Aber ich muss auch vom Reporter nicht permanent angeschrien werden, wenn Federer gegen Nadal spielt, permanent. Weil ich ja sehe, was passiert, und eigentlich nur zuschauen möchte. Und das Spiel läuft ja, das Spiel ist die Realität. Der Reporter kann eine andere Realität schaffen, durch die Art wie er mitgeht. Das Natürlichste wäre eigentlich, das ohne Ton zu schauen. Aber ich glaube, dafür sind nicht alle gut genug informiert."

Wie patriotisch dürfen Sportkommentatoren sein? Interview mit Prof. Michael Schaffrath, Kommunikationswissenschaftler an der TU München
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