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Pokalfinale im Volleyball: Ladies in Black Aachen gegen Allianz MTV Stuttgart
Pokalfinale im Volleyball: Ladies in Black Aachen gegen Allianz MTV Stuttgart © picture alliance / dpa / Friso Gentsch
Von Günter Herkel · 24.05.2015
König Fußball verdrängt die anderen Sportarten. Handball, Eishockey, Volleyball und Leichtathletik müssen um TV-Präsenz buhlen. Die vernachlässigten Sportarten suchen daher nach neuen Bühnen im Fernsehen und im Internet.
CL-Halbfinale Bayern-Barcelona:
"Benatia 1:0 FC Bayern München. Mehdi Benatia – und aus der Finalfantasie ist jetzt immerhin schon mal wieder ein Traum geworden."
Ein Traum, der allerdings wenige Minuten später mit dem 1:1 Ausgleichstor von Neymar wieder platzte. So geschehen kürzlich beim Champions-League-Halbfinale in München, übertragen vom Zweiten Deutschen Fernsehen. Ein Fußballabend, der inklusive Vor- und Nachberichterstattung an die vier Stunden dauerte und zeitweilig 12,5 Millionen Zuschauer vor die Bildschirme lockte. In der Schlussphase der laufenden Saison verging kaum ein Tag, an dem die Freunde des Rasensports nicht auf ihre Kosten kamen: 1. und 2. Bundesliga von Freitag bis Sonntag, live bei Sky, per Highlight-Berichterstattung in ARD und ZDF. Montagsspiel der Zweiten Liga bei Sport 1, während der Woche dann Champions und Euro League auf unterschiedlichen Kanälen. Was tat sich sonst noch so in der Welt des Sports?
"Marcus Rehm, darf er starten bei den nichtbehinderten Leichtathleten? Durfte er letztlich nicht, er ist gestartet bei der IPC-Leichtathletik-Europameisterschaft im Behindertensport, hat dort Gold für Deutschland geholt. Volleyball-WM: Bronze für Deutschland, erste Medaille seit 44 Jahren für ne Volleyball-Nationalmannschaft; die Youth Olympic Games, Karim Hamza im Taek Won Do, holt Silber für Deutschland – all das tolle faszinierende Sport-Events, tolle faszinierende Sportler und Sportlerinnen. Und ich sag Ihnen kurz, was davon im Fernsehen gelaufen ist: gar nix. Es war einfach nichts zu sehen."
Oliver Beyer, Geschäftsführer von DOSB New Media, einer Tochter des Deutschen Olympischen Sportbundes, im Februar auf der Sportbusiness-Konferenz SPOBIS der Fachzeitschrift SPONSORS. Sicher: Die vom Fernsehen verschmähten Sportereignisse, die er da auflistete, lagen damals schon einige Zeit zurück. Aber die Stoßrichtung erscheint klar. König Fußball dominiert die TV-Sportberichterstattung, danach kommt eine Weile gar nichts, dann einige wenige massenattraktive Sportarten wie Formel Eins, Boxen, im Winter noch Skispringen und Biathlon. Anderes findet sich allenfalls in Spurenelementen oder im Kontext großer Turniere wie Welt- und Europameisterschaften. Nach welchen Kriterien entscheiden die öffentlich-rechtlichen Anstalten eigentlich, welchen Sport sie übertragen? Axel Balkausky, Sportkoordinator der ARD:
"Das eine ist natürlich eine gewisse Publikumswirksamkeit, denn wenn wir über's Vollprogramm, über das Erste reden, dann muss es natürlich eine gewisse Menge an Menschen interessieren. Wir können ja nicht nur ausschließlich für Minderheiten senden, sondern wir senden ein Programm, das ja ein Vollprogramm ist und das sich eigentlich an alle richtet."
Ein Vollprogramm, das sich an alle richtet? Klingt zunächst demokratisch. Balkauskys Pendant beim ZDF, Sportchef Dieter Gruschwitz nennt die Sache deutlicher beim Namen. Nach dem erfolgreichen Poker seines Senders um die Champions-League-Übertragungsrechte vor vier Jahren sagte er:
Gruschwitz: "Der Fußball ist ein Quotengarant im Programm des ZDF. Sicherlich, und da muss man ganz ehrlich sein, hat man aus diesem Blickwinkel heraus auch sich um die Rechte der Champions League bemüht, wobei wir dann uns einfach erhoffen, dass der Fußball und die Champions League eine Art Sogwirkung auf das andere Programm des ZDF ausüben wird."
28 olympische Sportarten gibt es - aber nicht im Fernsehen
Sogwirkung auf andere Programme? Vielleicht. Auswirkungen auf den Rest der Sportberichterstattung? Mit Sicherheit. Die Entscheidung des ZDF, ein kostspieliges Rechtepaket an der Champions League zu erwerben, traf schon damals auf heftige Kritik.
"Wenn öffentlich-rechtliches Fernsehen 50 Millionen ausgibt für die Champions-League-Rechte, dann steht das Geld nicht für den Erwerb anderer Rechte zur Verfügung."
Helmut Digel, ehemals Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV).
28 olympische Sportarten haben durchaus, in je unterschiedlicher Form, spektakuläre sportliche Leistungen dem Publikum zu bieten. Sie haben immer weniger die Chance, im Fernsehen – und das Fernsehen definiert nun mal die Wirklichkeit: was ist relevante Unterhaltung und was ist nicht relevante Unterhaltung – also im Bewusstsein der Bevölkerung noch eine Rolle zu spielen. Wir haben im Moment eine Entwicklung unter dem Aspekt der Ungleichheit der Sportarten, die geradezu dynamisch ist.
Dabei trifft es sogar Sportdisziplinen, die sich über mangelnde Publikumsresonanz normalerweise nicht zu beklagen haben. Etwa den Handball, nach dem Fußball die wohl populärste Sportart hierzulande. So war die diesjährige Handball-Weltmeisterschaft in Katar hierzulande nicht im Free TV zu sehen. An ARD und ZDF lag es diesmal nicht. Ihr Angebot wurde vom Rechteinhaber abgelehnt. Begründung: Die von den Öffentlich-Rechtlichen Anstalten genutzten Satelliten würden unverschlüsselt senden. Frank Bohmann, Geschäftsführer der Handball-Bundesliga bedauert:
"Wir hätten uns gewünscht, dass im öffentlich-rechtlichen Fernsehen mehr zu sehen gewesen ist. Das ging nicht, und da kann man die Schuld glaube ich auch nicht allzu sehr bei den öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten suchen. So wurde von Sky eine außerordentliche Produktion geleistet und wir haben einen Sender mehr, der sich für Handball interessiert. Da sind wir nicht unzufrieden mit."
Eine ähnliche Situation ereignete sich bei der Volleyball-WM der Männer im vergangenen Jahr in Polen. Nicht ARD oder ZDF - der Spartensender Sport 1 hatte kurzfristig die Lizenzrechte erworben, um das Turnier im deutschen Free TV zu übertragen. Dies wurde vom polnischen Pay-TV-Sender Polsat, dem exklusiven Rechte-Inhaber aus kommerziellen Gründen unterbunden. Denn viele unverschlüsselte TV-Sender aus Deutschland sind auch in Polen empfangbar. Die tollen Leistungen der deutschen Volleyballer wären also in der Heimat unsichtbar geblieben, wäre nicht ein ganz neuer Player eingesprungen: sportdeutschland.tv, der Internet-Kanal des Deutschen Olympischen Sportbundes. DOSB-Mann Oliver Beyer:
"Wir haben alle Spiele der Volleyball-WM live gezeigt, alle 103 Spiele, die deutschen aufgebohrt mit Kommentar, aber auch die anderen waren sehr hochwertig produziert, wir haben allein durch dieses eine Event in diesen drei Wochen mehr als zwei Millionen Video-Abrufe und davon n Großteil live, da geht's also nicht um on-demand-Abrufe, und wir haben, und das gehört meiner Meinung nach auch zum Thema Aufmerksamkeit, ne Diskussion gesehen in Deutschland, wie es sie lange nicht mehr gab: Warum ist das Ganze eigentlich nicht im Fernsehen zu sehen?"
Für den neuen Internetkanal sportdeutschland.tv war die Übertragung der Volleyball-WM der Männer im September 2014 ein echter Scoop. Mitsamt dem kleinen Finale gegen Frankreich, in dem die Deutschen Bronze errangen. Vielleicht hätten die Verantwortlichen der öffentlich-rechtlichen Anstalten intensiver um die Ausstrahlungsrechte gekämpft, wenn der sportliche Erfolg der deutschen Volleyball-Männer absehbar gewesen wäre. Für nationale Helden mobilisieren ARD und ZDF nun mal lieber Etatmittel als für Sportler, die unter „ferner liefen" landen.
Balkausky: "Ein Kriterium ist natürlich auch, dass deutsche Athleten natürlich unsere Zuschauer am meisten interessieren. Das heißt, in einer Sportart, wo deutsche Athleten erfolgreich sind, ist das Interesse am allergrößten. Insofern hinterfragen wir natürlich regelmäßig im Kreise der Sportchefs: Welche Sportarten sind das? Wie können wir die darstellen? Haben wir ne Möglichkeit, auch das muss man ja sagen im Sportbereich, die Rechte zu erwerben? Denn viele Rechte sind ja auch bei anderen Sendern."
ARD-Sportkoordinator Balkausky. Ein schlechtes Gewissen, dass bei dieser Sicht viele so genannte Randsportarten unter den Tisch fallen, plagt ihn nicht:
"Wenn man sich anschaut, wie vielfältig das Programm des Ersten ist, und dass der Sport eben nur eine gewisse Fläche erreichen kann, so können wir gar nicht alles abbilden, sondern wir müssen uns wirklich nur auf Highlights konzentrieren, und wir sind ja dabei, auch im Zusammenspiel mit den Dritten auch regionale oder auch nationale Ereignisse zu zeigen."
"Jede Sportart steht in einer gewissen Konkurrenzsituation"
ZDF-Sportchef Dieter Gruschwitz sieht den Sport selbst in der Pflicht. Sportliche Veranstaltungen und Wettkämpfe, findet er, müssten heute medial vermarktet, aufwändig inszeniert und mit reichlich Unterhaltung und Erlebnisfaktoren angereichert werden. Ganz so deutlich sagt er es allerdings nicht:
"Eine Sportart muss in sich stark sein. Sie muss aber auch in sich attraktiv sein. Wer glaubt, das Fernsehen macht eine Sportart attraktiver oder interessant, ich glaube, der ist heutzutage auf dem falschen Weg. Die Sportart an sich muss bereit sein zur Veränderung, muss ständig den Markt beobachten. Jede Sportart steht auch in einer gewissen Konkurrenzsituation zur anderen Sportart, da ist man nicht mehr allein auf dem Markt. Und das muss man beherzigen. Man muss wirklich offen sein auch für Veränderung."
Offen für Veränderung? Es geht also nicht nur um Spitzenleistungen von Sportlern. Spitze muss auch die Art und Weise sein, in der die jeweilige Sportart sich und ihre Wettbewerbe präsentiert. Welches aber ist die beste Strategie, um ins Fernsehen zu kommen. Die Münchner Medienwissenschaftlerin Stephanie Heinecke hat unlängst die Anpassungsbemühungen einiger Sportarten an die TV-Logik untersucht. Im Rahmen ihrer Dissertation "Fit fürs Fernsehen? Die Medialisierung des Spitzensports als Kampf um Gold und Sendezeit" widmete sie sich unter anderem der erstaunlichen Karriere der einstigen Nischensportart Biathlon.
Heineke: "Biathlon hat sich tatsächlich aus militärischem Ursprung heraus entwickelt. Und noch in Sarajewo, während der Olympischen Spiele 1984, fand Biathlon im Grunde genommen unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Dann während der 90er Jahre hat der Biathlonverband ganz gezielt fernsehtaugliche Formate erfunden."
Dass diese Veränderungen nach 1984 einsetzten, ist kein Zufall. Denn in jenem Jahr fiel in der Bundesrepublik auch der Startschuss für das Privatfernsehen, setzte bei den Programmmachern der Hunger nach quoten- und reichweitenstarken Events ein. Dabei traten die Bedürfnisse der Sportler gegenüber denen von Sendern und Zuschauern mehr und mehr zurück.
Heineke: "Wir müssen auch mal auf die körperlichen Anforderungen gucken. Und die verschieben sich gravierend. Wenn wir beim Biathlon sind: Früher fanden Biathlonrennen in den frühen Morgenstunden statt. Und dann war der Tag zur Regeneration oder noch mal Vorbereitung auf den nächsten Wettkampf. Heute möchte der Zuschauer Flutlichtrennen sehen, zur nachtschlafender Stunde."
Bei den Regeln, nach denen die Wettkämpfe stattfinden, mischen die Anstalten mittlerweile kräftig mit. Nicht immer findet dies den Beifall der Betroffenen. Heineke nennt ein weiteres Beispiel:
Da wurden Disziplinen so verändert, dass sie ganz neue Anforderungen hatten. Früher ging der Moderne Fünfkampf über vier bis fünf Tage. Heute ist das alles an einem Tag. Das Schießen findet nicht mehr mit Munition statt, sondern mit Laserpistolen. Da kam tatsächlich aus Athletenreihen auch schon die kritische Anmerkung, wie weit sich eine Sportart überhaupt verbiegen soll, um medientauglich zu sein.
Vor der Rekordkulisse von über 40.000 Zuschauern in der Frankfurter Commerzbank Arena feiern die Rhein-Neckar-Löwen gegen den HSV Hamburg den vierten Sieg im vierten Saisonspiel und stehen damit weiterhin ungeschlagen an der Tabellenspitze der DKB Handball Bundesliga.
Spitzenhandball in einem ungewöhnlichen Ambiente: Mehr als 44.000 Zuschauer sahen im September vergangenen Jahres einen knappen 28:26 Sieg der Badener. Ein neuer Weltrekord, wie Liga-Geschäftsführer Frank Bohmann, stolz vermeldet.
Bohmann: "Der „Tag des Handballs" ist ein Format, das gut ist, was man auch in einer anderen Form machen kann. Es wird die Ausnahme bleiben, dass der Handball ins Fußballstadion geht, weil das Fußballstadion eigentlich nicht für den Handball gemacht ist."
Warum dann aber überhaupt ein solches Ereignis? Gut, neben dem Spitzenspiel wurde noch allerlei Volkstümliches serviert: vom Nachwuchsturnier bis zum Talk mit ehemaligen Handballgrößen. Aber jenseits von Rekordziffern und -umsätzen erscheint es wenig zwingend, die eigene Sportart, die doch auch von der atmosphärischen Nähe der Zuschauer zum relativ kleinen Handballfeld lebt, eventmäßig derart aufzumotzen. Bohmann verteidigt den Coup.
"Eventisierung des Sports gehört mit dazu. Jedes normale Handballspiel ist auch ne Eventisierung. Das ist jetzt ne besondere Ausprägung, die eine wirtschaftliche Absicht hat. Und wo wir tatsächlich auch eine ganze Reihe von Leuten neu für den Handball begeistert haben. Ob das unterm Strich ein lohnendes Investment ist, das kann ich Ihnen hier und heute gar nicht sagen. Aber das wird es periodisch sicher immer mal wieder geben."
Daniel Tjärnqvist (Köln, links) und Travis Turnbull (Ingolstadt) im Finale um die deutsche Eishockey-Meisterschaft 2014
Daniel Tjärnqvist (Köln, links) und Travis Turnbull (Ingolstadt) im Finale um die deutsche Eishockey-Meisterschaft 2014© dpa / picture alliance / Revierfoto
Nächstes Beispiel: Eishockey. Seit knapp drei Jahren kooperiert die Deutsche Eishockey-Liga mit dem österreichischen Privatsender Servus TV, einer Tochter der Red Bull Media House GmbH. Zuvor lagen die Übertragungsrechte beim Pay-TV-Sender Sky. Klar würde die Liga gern häufiger im öffentlich-rechtlichen Fernsehen vorkommen. Aber Wintersport live findet bei ARD und ZDF nur tagsüber statt.
"Das ist nun unser eigenes Problem, dass letztlich der Regelspielbetrieb in den Profiligen abends und am Wochenende ist. Und dann bleibt eigentlich nur das Morgenmagazin, und diese zwei, drei Sportregelsendungen, die es noch gibt."
Gernot Tripcke, Geschäftsführer der Deutschen Eishockey-Liga. Früher, so klagt er, habe es mehr Spielräume gegeben:
"Wenn man 10, 15 Jahre zurückdenkt, da gab's mehr Sport in der Tagesschau, es gab eine Freitagabendsportsendung, es gab das Sportschau-Telegramm am Sonntag, Sportreportage, Sportschau Sonntag waren doppelt so lang in der Regel. Und da ist natürlich jetzt der Markt sehr umkämpft, man kommt da nur nachrichtlich mit kurzen Stippvisiten rein. Von daher würden wir natürlich immer viel mehr haben und viel mehr machen wollen."
Ähnlich wie die Handballer organisiert auch die DEL ihr Mega-Event, das Winter Game. Anfang dieses Jahres beobachteten mehr als 51.000 Zuschauer in der Düsseldorfer Arena, wie die Lokalmatadoren der DEG die Kölner Haie mit 3:2 bezwangen. Bessere TV-Quoten oder gar ein neuer Eishockey-Boom ist im Gefolge solcher Events kaum zu erwarten. Vor einer Woche wurde das zentrale Ereignis des Eishockeysports, die Weltmeisterschaft in Tschechien, abgeschlossen.
Eishockey-WM: "Die Mission Viertelfinale, sie ist für Pat Cortina und die deutsche Mannschaft leider beendet. Sein Team gegen Gastgeber Tschechien mit der besten Anfangsphase des Turniers – Daniel Pietta bleibt vorm tschechischen Keeper eiskalt - 1:0."
Am Ende verlor das DEB-Team mit 2:4, schaffte es aber immerhin, den Abstieg zu vermeiden. Mit einer halben Million Zuschauern erzielte der Spartensender Sport 1 bei den Spielen mit deutscher Beteiligung eine beachtliche Quote. Gernot Tripcke:
„Der große Schritt für's Eishockey wär sicherlich, wenn ARD und ZDF sich mal wieder um die Weltmeisterschaften kümmern würden. Das sind, glaube ich Dinge, wo auch ein öffentlich-rechtlicher Auftrag ist. Die Eishockey-WM findet ja seit zehn Jahren bei Sport 1 statt. Die machen das gut, aber man weiß ja von den Einschaltquoten, dass automatisch bei den Öffentlich-Rechtlichen das 8-10fache dabei rumkommen würde. Und das wär für ne Sportart sehr wichtig."
Gerade massenattraktive Disziplinen wie Handball, Basketball, Volleyball und eben auch Eishockey, so findet Tripcke, hätten mehr TV-Präsenz bei ARD und ZDF verdient. Zumindest im Umfeld von Welt- und Europameisterschaften. Mangelnde Bereitschaft, sich an die Produktionsbedürfnisse der Sender anzupassen, könne den Sportverbänden nicht nachgesagt werden.
"Wir liefern Full-HD-Bilder mundgerecht an, wir adaptieren die Spielzeiten, die für die Sportregelsendungen der Öffentlich-Rechtlichen erforderlich sind – also da können wir nicht mehr machen. Wenn jemand mal beim Eishockeyspiel oder einer anderen Sportart war. Die Inszenierung, wie wir Profisport in Deutschland inszenieren, sucht seinesgleichen. Egal, in welcher Sportart wir sind."
ARD-Sportkoordinator Balkausky gibt sich aufgeschlossen:
"Wir wollen genau das tun, dass olympische Sportarten nicht nur während der Olympischen Spiele zu sehen sind, sondern auch in der Zeit dazwischen. Und es gibt immer wieder neue Sportarten, die wir auch ausprobieren, wie wir es im Wintersport machen, mit Ski-Cross, oder wie wir es im vergangenen Jahr auch mit der Sportart Basketball gemacht haben, die bei uns längere Zeit nicht mehr live zu sehen war, bei der wir Spiele der deutschen Nationalmannschaft übertragen haben, und den Supercup, in Hinführung auf große Ereignisse."
Beim Deutschen Olympischen Sportbund gibt man sich mit unverbindlichen Versprechen und Häppchen-Berichterstattung nicht länger zufrieden. Mit Sportdeutschland.tv. trat im August 2014 ein Online-Sportkanal mit dem Ziel an, den Sport in seiner ganzen Vielfalt zu zeigen. Und zwar in Form von Live-Streams und On-demand-Videos, sortiert nach Channels und Sportarten.
Beyer: "Der Ansatz ist, zu sagen: Beschwert euch nicht immer nur, dass ihr nicht zu sehen seid. Wir haben das ja oft, dass dann nach den Öffentlich-Rechtlichen gerufen wird für einzelne Sportevents oder Sportarten, sondern: Nehmt die Sache selber in die Hand."
sportdeutschland.tv – verantwortlich für den Inhalt sind die Verbände und Ligen
Oliver Beyer, Geschäftsführer des Betreibers DOSB New Media .Der Aufruf blieb nicht ungehört. Los ging es 2014 mit Übertragungen von der EM der paralympischen Schwimmer. Es folgten die Olympischen Jugendspiele in Nanjing. Parallel dazu liefen die Wakeboard-Weltmeisterschaften und die Badminton-WM. Ein gutes halbes Jahr nach dem Launch von sportdeutschland.tv zog Beyer eine stolze Zwischenbilanz:
"Wir haben eine Million Menschen erreicht mit unseren Sportübertragungen, neun Millionen Seitenabrufe auf der Plattform, ca. 50 Sportarten alles in allem da sieht man schon, da tut sich einiges, und es bietet auch unheimlich vielen, vielleicht kleineren Zielgruppen, aber in der Bündelung dann doch ne sehr große Reichweite, eine Anlaufstelle, um ihren Sport zu sehen."
Wer sportdeutschland.tv schaut, muss wissen: Verantwortlich für die gezeigten Inhalte, die Bilder und Kommentare, zeichnen die Sportverbände und Sportligen. Die Kommentatoren sind in der Regel sachkundig, Experten und Liebhaber der jeweiligen Disziplin. Im Grunde holen die Olympischen Sportarten jetzt nach, was etwa viele Bundesliga-Klubs mit ihren vereinseigenen TV-Kanälen seit Jahren vormachen: Fernsehen aus der Fan- und Verbandsperspektive. Allzu Kritisches, was über die reinen sportlichen Inhalte hinausgeht, sollte niemand erwarten.
Schon im Rahmen des sozialen Netzwerks splink.de hatte der DOSB seit Frühjahr 2014 mit Bewegtbildern von Veranstaltungen einiger seiner Mitglieder experimentiert. Mit positiver Resonanz: Viele der Mitgliedsverbände signalisierten starkes Interesse an einer übergreifenden Videoplattform. So entstand sportdeutschland.tv. als echte Gemeinschaftsinitiative.
Beyer: „...da wollen wir eben zusammen mit Sportverbänden, mit Ligen, mit Veranstaltern Hand in Hand gehen und erstmalig das alles bündeln, damit ich auch für Sportfans eine zentrale Anlaufstelle habe."
Es gehe darum, den einzelnen Verbänden und Sportarten eine zentrale Infrastruktur zur Verfügung zu stellen. So lässt sich umständlicher Mehrfachaufwand vermeiden: Rechteerwerb, Technik, redaktionelle Betreuung – das alles liefert der DOSB aus einer Hand. Bei den Öffentlich-Rechtlichen wird der neue Medienplayer nicht als Konkurrent angesehen. Eher als jemand, der komplementär über Sportarten berichtet, die in den großen Sendern auch aus Quotengründen meist durch den Rost fallen. ARD-Sportkoordinator Axel Balkausky:
"Sportdeutschland.tv, das ist, glaube ich eine sinnvolle Ergänzung, dass nämlich die Verbände die jetzigen Möglichkeiten, nämlich günstiger produzieren zu können, günstiger verbreiten zu können über das Internet, dass die genutzt werden, die wir nämlich gar nicht nutzen konnten. Ich glaube, dass das auch beiträgt zu einer Versachlichung der Diskussion: Was müssen ARD und ZDF zeigen, wie viel müssen sie zeigen, welche Sportarten müssen sie zeigen?"
Steigt das Nutzerinteresse weiter so rasant an, will der DOSB mit der Plattform auch Geld verdienen – schließlich soll sie sich eines Tages selbst tragen. Schon jetzt müssen die Nutzer Werbebanner und –filmchen über sich ergehen lassen. In der Videoclip-Vermarktung kooperiert DOSB New Media mit einer Tochter der RTL-Gruppe. Eine Bereicherung für die Freunde auch nicht so massenattraktiver oder gar Nischen-Sportarten ist sportdeutschland.tv allemal. Problematisch erscheint allerdings die Konstruktion, dass hier Sportverbände im Grunde über sich selbst berichten.
Zörner: "Ja, das ist durchaus fragwürdig. Denn die Berichterstattung über den Sport ist schon Aufgabe der Medien."
Meint Hendrik Zörner, Sprecher des Deutschen Journalisten-Verbandes. Natürlich könne es keiner Sportorganisation verwehrt werden, eigene Bilder zu produzieren und diese eigenen Bilder auch auf der eigenen Seite online zu stellen. Aber:
"Jeder User muss eben wissen, es handelt sich nicht um journalistisch aufbereitetes Material. Es handelt sich nicht um ne kritische Sportberichterstattung, sondern das ist Berichterstattung aus der Sicht des Veranstalters."
New-Media-Geschäftsführer Oliver Beyer wiegelt ab. Die Kriterien professioneller Sportberichterstattung mag er einstweilen auf sportdeutschland.tv nicht anwenden.
"Die wollen erstmal die Begeisterung vermitteln, die Leistung vermitteln, die dahinter steht. Da geht's auch erst mal gar nicht um journalistische Kategorien, die wollen erstmal zeigen, Mensch: Volleyball ist n toller Sport, Tischtennis ist n toller Sport, Wakeboarden ist n toller Sport. Den kann man sich einfach ankucken, damit man den überhaupt mal sieht."
Was aber, wenn demnächst doch in einer DOSB-Sportart mal wieder ein Dopingfall oder ein Verbandsskandal ruchbar wird?
Beyer: "Da kann ich ganz pauschal sagen: Es gibt keine Stallorder in der einen oder anderen Richtung."
Bei aller Wertschätzung des neuen Angebots: Wer kritischen, unabhängigen Sportjournalismus schätzt, wird sich auch weiterhin aus anderen Quellen unterrichten müssen. Wie wird sich die Sportberichterstattung in den nächsten Jahren entwickeln? An der Dominanz von König Fußball dürfte sich einstweilen wenig ändern. Aber im Gefolge der Digitalisierung werden auch andere Sportarten mehr Möglichkeiten bekommen, sich stärker zu profilieren und neue Fans zu gewinnen. Die Aufwertung eines Sports zur massenattraktiven Unterhaltungsware wird jedoch weiter an Bedingungen geknüpft sein. Glaubt zumindest ZDF-Sportchef Dieter Gruschwitz:
"Wenn eine Sportart sagt: Mich interessiert das alles nicht so sehr, ich bin zufrieden mit den Fans, die ich habe und ich bin vielleicht zufrieden mit den Hardcore-Fans, die meine Veranstaltung im Netz verfolgen, dann ist das auch in Ordnung. Nur wenn man eine breitere Masse ansprechen will und auch vielleicht mal Kinder und ältere Zuschauer, die sonst nicht mit einer Sportart so verbunden sind, dann muss man offen sein für neue Wege."
Wenn die Vollversorgung deutscher Fernsehhaushalte mit Smart-TV erst einmal abgeschlossen ist, dürfte auch das eher ein theoretisches Problem sein. Das Umschalten von einem langweiligen Bundesliga-Kick im Free TV zu einer spannenden Beachvolleyballpartie im Internet geht dann ganz schnell – mit zwei, drei Klicks auf der Fernbedienung.
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